Radings Fuxenstunde (1) – Der Fuxmajor
Das Korporationswesen ist durchzogen von einem fast geheimen Code, der mit seinen zahlreichen Eigenwörtern, Abkürzungen und Persiflagen auf anderweitig verwendete Begriffe für Außenstehende oft ein Buch mit sieben Siegeln zu sein scheint. Niclas Rading gibt in seiner Kolumne Einblicke in diese besondere Welt – und deckt auf humorvolle Weise das Selbstverständnis mancher Korporierter auf.
Den Fuxmajor einer Studentenverbindung erkennt man unter anderem am Fuchsschwanz, der die Kopfbedeckung ziert. Oft wird der Fuchsschwanz auch anders getragen.
© IMAGO / Christian DitschJede Korporation hat einen Sprecher an der Spitze. Als primus inter pares ist er der geistige Führer seiner Aktivitas, er ist der Fahnenträger seiner Aktivengeneration. Die Erfolge der Aktivitas sind seine Erfolge, ihre Misserfolge sind seine Misserfolge. Doch an der Seite jedes erfolgreichen Sprechers steht ein Mann, der oft übersehen wird: der Fuxmajor. Er verrichtet seinen Dienst am Bund im Verborgenen, was er leistet, bleibt oft unbemerkt: Ihm obliegt die Erziehung der Füxe, die Prägung der nächsten Generation von Burschenschaftern. Der Fuxmajor ist ein unbeliebtes Amt. Den Füxen haftet das Unerfahrene, das Unwissende an, und wer will schon kraft seines Amtstitels das Unwissen verkörpern? Die tatsächliche Leistung des Fuxmajors bleibt chronisch unterschätzt.
Seine Mühen, der anderen Lob
Mit Hingabe widmet er sich seiner Aufgabe, der Einführung und Ausbildung der jungen Mitglieder. In wöchentlichen Fuxenstunden führt er sie in das Wissen des Bundes ein und muss sich dabei stets beherrschen, um die jungen Geister nicht mit seinem manchmal unerschöpflich scheinenden Wissen zu überfordern. Langmütig erträgt er den unbedarften Schabernack seines Fuxenstalls und straft, selbst bei ärgsten Übertretungen, lediglich mit stärkendem Gerstensaft. Das gemeinsame Trinken ist ihm ebenso wichtig wie die Disziplin auf dem Paukboden oder während der angesetzten Fuxenstunden. Als erfahrener Bursche übernimmt er Verantwortung: Jeder ausgerufene, aber verschmähte Bierjunge wird von ihm pflichtbewusst übernommen. Jede noch so schlaffe Fuxenschulter trägt er in das passende Schlafgemach. Jeden noch so dummen Spruch weiß er zu erklären und einzuordnen.
Man könnte sich fragen, warum der Fuxmajor das alles erträgt. Sind doch die Fehler der Füxe auch seine Fehler, ihre Glanzlichter gleichzeitig aber nie die seinen, sondern werden von den ihm Ebenbürtigen fast ausschließlich als Eingebungen übernatürlicher Art gewertet. Was für ein außergewöhnlicher Mensch ist der Fuxmajor, der für seine Arbeit und seinen Frust keine andere Belohnung braucht als die glänzenden Augen der Füchse, die ihn neugierig anblicken! Und wie glücklich können sich die Füxe schätzen, dass sie den Fuxmajor haben! Der junge Fux, der in den Augen aller Bundesbrüder die Grenze zum Menschen noch nicht überschritten hat, ist aus der Sicht seines Fuxmajors schon ein halber Mensch. Er ist die Verkörperung dessen, was der Bund kraft seines Potentials sein kann – er ist Hoffnungsschimmer und Schwarzpille zugleich. Kurzum: herzensnaher Schützling und bestrafenswertes Opfer zugleich. Dem guten Fuxmajor gelingt die gesunde Gratwanderung zwischen beiden Extremen.
Der Unverzichtbare
Doch bei allem Lob ist auch der Fuxmajor nicht unfehlbar. Auf seinen Schultern lastet das Gedeihen der nächsten Generation. Tag und Nacht sorgt er sich um seine Füxe, deren liebste Freizeitbeschäftigung es ist, sich betrunken zu verlaufen und immer neue Peinlichkeiten zu fabrizieren, die, wer sonst, der Fuxmajor auszubaden hat. Trotz dessen bleibt er immerzu frohen Mutes, ob der heranwachsenden Burschikosität, die sich mit ihm als Zeugen Schritt für Schritt entfaltet. Die gelegentlichen Lichtblicke seiner Füxe drängen jeden Unmut in die Bedeutungslosigkeit. Die Tauglichkeit der jungen Mitglieder wird zwar nicht durch den Fuxmajor entschieden, aber er hat einen großen Anteil an ihrem Werdegang.
Dass der Fuxmajor seine Schützlinge nicht nur fordert, sondern auch fördert, zeigt sich in der Burschenprüfung. In dieser nicht selten mehrstündigen Tortur für alle Anwesenden müssen die Prüflinge beweisen, dass sie während ihrer Fuxenzeit nicht nur durch das Schwarmbewusstsein, sondern auch durch eigenes Nachdenken verstanden haben, was es bedeutet, in einer Verbindung zu sein. Nach dem (hoffentlich erfolgreichen) Abschluss dieser Prüfung entlässt der Fuxmajor die frisch gebackenen Burschen in die relative Freiheit. Diese birgt jedoch die Gefahr, dass der Hang zum Pfusch, der dem Jungburschen monatelang mühsam ausgetrieben wurde, wieder aufblüht. Der gemeine Jungbursch zieht die Pannen und Entgleisungen an wie ein Kuhfladen die Schmeißfliegen und fühlt sich obendrein wegen seiner frischen Burschigkeit immer im Recht. Schließlich ist er ein Bursch! Und wem soll er die Schuld für seine Fehltritte geben? Das kann nur der Fuxmajor sein, der ihn schließlich erzogen hat, und das anscheinend nur halb so gut.
Ein stolzer Diener seines Bundes
Bei all dem bleibt der Fuxmajor gelassen, weiß er doch genau, wie er einst als junger Aktiver durchs Leben schritt. Kein Fehler seiner Füxe ist so groß, dass er ihn sich nicht doppelt anrechnen könnte. Aber darüber schweigt er natürlich, schließlich will er seine Füxe nicht zu übertriebenem Schabernack ermuntern und seine verdiente Vorbildfunktion nicht schmälern. Schließlich weiß der Fuxmajor auch, dass zu viel Wissen an der falschen Stelle dem Fux mehr schadet als nützt. Der Fuxmajor ist einer, der schafft, ohne zu fordern, der erträgt, ohne zu fragen, und dem am Ende kein Ruhm gebührt. Trotzdem trägt er seinen Titel mit Stolz, wohl wissend, welch unentbehrliche Rolle ihm zugedacht ist. Deshalb sei eingedenk: Heil dem Sprecher, da er den Bund am Leben hält, aber Wohl dem Fuxmajor, da er den neuen Sprecher zieht!