Wehrpflicht? Nein, danke!
In seinem Kommentar kommentiert der Thüringer AfD-Landessprecher Stefan Möller die Diskussionen um die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Dabei geht er auf mögliche Kosten und Probleme bei der Umsetzung ein.
Blickt man auf die Bundeswehr im Jahr 2023, kann man nur den Kopf schütteln. Es fehlt an Material und Personal. Selbst einfache Beschaffungsvorgänge im Rahmen einer Instandhaltung sind nahezu paradox bürokratisiert. Bundeswehrsoldaten, die beispielsweise nach Afghanistan entsendet worden, berichten von katastrophalen politischen Vorgaben, die sich bis in die Details militärischer Taktik einmischen. Aus politischen Gründen standen in Afghanistan erforderliche Waffensysteme nicht zur Verfügung. Diese Einmischung der Politik in militärische Belange hat Soldaten der Bundeswehr das Leben gekostet.
Für die AfD war die Beseitigung dieser prekären Situation in der Bundeswehr schon immer eine Herzensangelegenheit. Früh machte sich die Partei Gedanken über Verbesserungen und Reformen. Damit eng verbunden war die Frage nach der Rückkehr zur Wehrpflicht. Diese Forderung wurde von vielen auch mit den über das Militär hinausgehenden Wirkungen auf die Gesellschaft begründet. Der Dienst an der Waffe oder als Zivildienstleistender kann Menschen zum Besseren verändern. Er kann sie offener für die Interessen der Gesellschaft machen, er kann Entwicklungsdefizite beheben und Bindungskräfte entwickeln. Die ausgebildeten Reserven einer Wehrpflichtigen-Armee sind zudem in der Regel wesentlich größer als in einer Berufsarmee. Ohne große organisatorische Umstellungen und Ausbildungsprozesse kann man im Kriegsfall auf wesentlich mehr Personal zurückgreifen.
Ein falscher Zeitpunkt für die Wehrpflicht
Gerade der Ukraine-Krieg bricht mit den Überzeugungen der letzten zwei Jahrzehnte, dass sich am Ende die seine durchsetzt, die den höher entwickelten Waffensystemen erst die Luftüberlegenheit herstellt und damit auch die Bodenkämpfe zu seinen Gunsten entscheiden kann. Was nützen modernste Lenkwaffen, wenn nach zwei Monaten die Depots erschöpft sind, der Gegner noch nicht genug hat und die Produktion nicht nachkommt? Wenn man sich nicht traut, einen 130-Mio. Euro teuren Jet auf einen Abriegelungseinsatz zu schicken, da er dann zum Preis von einer Million Euro mit Flugabwehrraketen zu Hightechschrott verwandelt wird?
Plötzlich zählt auch wieder Masse - und schon wird die Wehrpflicht oberflächlich betrachtet interessant. Aber gilt das auch für Deutschland?
Das Einfachste an erster Stelle: Auch die Wehrpflichtigen-Armee wäre nicht zum Nulltarif zu haben. Ökonomen sprechen von einer erheblichen Belastung. Der Wehretat ist und bleibt eher mager. Ein erheblicher Teil des Sondervermögens von 100 Milliarden Euro geht für Neuanschaffungen bei der Luftwaffe drauf. Nur können die unter anderem davon beschafften neuen amerikanischen Mehrzweckkampfflugzeuge und Transporthubschrauber nicht von Wehrpflichtigen geflogen werden, sondern nur von Berufssoldaten. Welche massentauglichen Waffensysteme beschafften die Bundeswehr für eine Wehrpflichtigen-Armee? Werden Leopard II oder deren Nachfolger demnächst wieder industriell oder weiter in zeitaufwendiger Manufakturarbeit hergestellt? Wo bleibt die Masse des Materials für die große Menge des Personals einer Wehrpflichtigen-Armee?
Wer A sagt muss auch B sagen. Das setzt langfristige Planungssicherheit für die Rüstungsindustrie voraus - also ein gewaltiges Wiederaufrüstungsprogramm.
Probleme der Wehrpflicht
Womit wir beim nächsten Problem wären: Der 2 + 4-Vertrag sieht im Art. 3 eine maximale Gesamtpersonalstärke der deutschen Land-, Luft- und Seestreitkräfte von 370.000 Mann vor. Diese Einschränkung der Wehrsouveränität ist Bedingung der Deutschen Einheit gewesen. Welchen Sinn macht vor diesem Hintergrund eine massive Ausweitung des Personalreservoirs? Einen Gegner durch Ansatz der verfügbaren Kräfte möglichst schnell niederzubringen, wäre verboten. Bleibt also, die Wehrpflichtigen getreu den Vertragsregeln nacheinander verbluten zu lassen. Herzlichen Dank auch!
Fakt ist: Alle Länder, gegen die Deutschland im letzten Jahrhundert Krieg geführt hatte, waren heilfroh, als wir 45 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nur Frieden mit dem territorialen Status quo gemacht hatten, sondern auch den damit in Zusammenhang stehenden weiteren historisch bedingten Konfliktlagen. Die Vertragsklausel dient insofern flankierend dem Ziel, dass Deutschland nicht die Fähigkeiten wieder entwickeln kann, um daran etwas zu ändern. Ich kann beim besten Willen kein Interesse der weiteren Signatarstaaten erkennen, an diesem Umstand etwas zu ändern.
Damit kann es sich Deutschland ruhig auch mal einfach machen: Unsere ehemaligen Kriegsgegner haben ein friedliches Deutschland gewollt und sie haben ein solches Deutschland auch bekommen. Es ist deren Aufgabe, mit der Folge klarzukommen, dass die deutsche Bevölkerung mehrheitlich keine militärische Interventionsmacht mehr stellen möchte, schon gar nicht in fremden Konflikten. Wer uns 2023 immer noch mit historischen Schuldfragen traktiert, soll sich seine Panzer gefälligst selbst zusammenschrauben und auch fahren.
Unmittelbar bedroht sind weder Deutschland noch Staaten des NATO-Pakts, denen Deutschland im Defensivfall zum Beistand verpflichtet ist. Und keiner komme mir jetzt ernsthaft mit Ramsan Kadyrows Aufforderung zur Wiederbesetzung Ostdeutschlands. Der weiß sehr wohl, dass bei derzeitiger geopolitischer Ausgangslage eher Grosny im Feuerball verglüht. Zweitens spielt Kardyrow als regionaler Statthalter und Militärführer aus Tschetschenien, wenn überhaupt, nur eine höchst untergeordnete Rolle bei der Festlegung von Kriegszielen der Russischen Föderation.
Realpolitische Überlegungen müssen in einen Kontext eingebettet sein
Da wir nicht bedroht werden, geht es realpolitisch also eher um die Erhöhung des militärischen Potenzials für Interventionen. Und wer entscheidet darüber? Genau die Politiker, die jetzt schon Ekel empfinden, wenn man von „deutschen Interessen“ spricht, aber jeden noch so peinlichen Kotau im transatlantischen Interesse hinlegen. Dass dies in der Theorie bei einer AfD-Regierung anders wäre, nützt praktisch nichts. Denn eine Bundesregierung mit AfD-Beteiligung ist nicht absehbar.
Bleibt noch die Frage nach den positiven innergesellschaftlichen Auswirkungen der Wehrpflicht. Kann die Wehrpflicht da etwas Positives bewirken? Weniger Hedonismus, mehr Bereitschaft zum Dienen? Wohl kaum: Natürlich habe ich 2013 oder 2017 einem deutschen Staatsbürger mit vietnamesischen Wurzeln zugetraut, Loyalität für Deutschland zu entwickeln und zu empfinden. Aber gilt das auch für all diejenigen jungen Männer, die seit 2015 ins Land gekommen sind, weil sie schon in ihrer Heimatregion nicht identifizieren konnten, wofür es sich zu kämpfen lohnt? Die selbst ihre Familien verlassen haben, nun aber dank Nancy Faeser und Kollegen die Staatsbürgerschaft hinterhergetragen bekommen? Nein, das traue ich denen nicht zu. Und ich finde es auch nicht gut, wenn solche Leute, die nicht wirklich einen Integrationsnachweis für die Staatsbürgerschaft erbringen müssen, auch noch eine moderne militärische Grundausbildung erhalten.
Dieses Land hat sich viel zu sehr verändert, um an alten Prinzipien festzuhalten - gerade bei der Wehrpflicht. Ich weiß, dass die AfD grundsätzlich programmatisch etwas anderes vertritt. Deswegen stellt der Text auch nur meine persönliche Auffassung dar. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass diese von vielen geteilt wird. Es würde mich freuen, wenn diese Gedanken bei der Diskussion über die Wehrpflicht hilfreich sind.
Zur Person:
Stefan Möller ist Jurist und AfD-Landtagsabgeordneter in Thüringen. Er ist einer der Landessprecher und und unter anderem der Vorsitzende des Justizausschusses des Thüringer Landtags.