Mossad-Attentat in Teheran: Kommt es zum totalen Krieg zwischen Iran und Israel?

Nach dem israelischen Luftangriff auf die iranische Botschaft in Syrien, einem exterritorialen Gebiet Irans, hat Israel den Konflikt mit einem Attentat auf einen Hamas-Funktionär in der Hauptstadt Teheran ins Innere Irans getragen. Die Konfrontation zwischen Iran und Israel droht nun, außer Kontrolle zu geraten.

2.8.2024
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Mossad-Attentat in Teheran: Kommt es zum totalen Krieg zwischen Iran und Israel?

Hamas-Kämpfer vor Plakaten ihres getöteten Führers Ismail Hanija.

© IMAGO / ZUMA Press Wire

Die Ermordung des politischen Führers der Hamas, Ismail Hanija, im Herzen der iranischen Hauptstadt Teheran ist eine doppelte Demütigung für Teheran. Die iranische Führung verliert nicht nur einen wichtigen Verbündeten, sondern auch ihr Gesicht. Der Anschlag hat erneut die Verwundbarkeit des iranischen Sicherheitsapparates gegenüber israelischen Operationen deutlich gemacht. Es blieb unklar, ob der Anschlag in Teheran von innerhalb oder außerhalb des Landes verübt wurde. Aus Teheran wurden zunächst keine Explosionen oder Geräusche von Raketeneinschlägen gemeldet. Der israelische Geheimdienst Mossad hatte in den vergangenen Jahren durch die Ermordung iranischer Atomwissenschaftler und Sabotageakte gezeigt, dass er in der Lage ist, innerhalb Irans zuzuschlagen.

Der spektakuläre Anschlag in Teheran

Möglicherweise wurde Ismail Hanija in Teheran mit einem kleinen, mit Sprengstoff präparierten Quadrocopter getötet. Es gibt auch Berichte, wonach der Hamas-Führer durch eine Bombe getötet wurde, die zuvor in seinem Schlafzimmer deponiert worden war. Das würde bedeuten, dass die Agenten in der Nähe waren. Die iranischen Revolutionsgarden hatten Hanija, den Chef des Hamas-Politbüros, aus Sicherheitsgründen in einer ihrer eigenen Residenzen untergebracht, die auch von Kriegsveteranen genutzt wird. Das Anwesen liegt im Norden Teherans, in einem höher gelegenen Teil der Hauptstadt.

Die Nachricht von der Ermordung Ismail Hanijas in Teheran kam wenige Stunden nach einem israelischen Luftangriff auf Beirut. Dabei wurde ein hochrangiger Hisbollah-Kommandeur getötet. Der tödliche Angriff auf Fuad Shukr war ein schwerer Schlag für die Hisbollah. Denn Shukr war einer ihrer wichtigsten militärischen Führer und ein enger Berater von Hisbollah-Chef Nasrallah. Israel wirft ihm vor, für den jüngsten Raketeneinschlag in der Ortschaft Madschdal Shams auf den israelisch besetzten Golanhöhen verantwortlich zu sein, bei dem mehrere Zivilisten getötet wurden. Die Hisbollah dementierte dies jedoch und vermutete, dass das Blutbad in Madschdal Shams versehentlich durch eine israelische Abfangrakete verursacht worden sei. Nach der Ermordung Shukrs in Beirut und dem anschließenden „Mossad-Attentat“ auf den Hamas-Führer in Teheran bewegt sich Tel Aviv nun auf einem schmalen Grat zwischen totaler Eskalation und möglicher Deeskalation.

Israels Sieg oder ein Akt aus Verzweiflung?

In seiner Rede nach den Anschlägen in Teheran und Beirut sagte Netanyahu, Israel habe in den vergangenen Tagen an „drei Fronten“ zugeschlagen. Was die dritte Front betrifft, so haben die USA in den vergangenen Tagen Luftangriffe auf Stellungen der schiitischen Volksmobilisierungskräfte (PMU) im Irak geflogen, bei denen vier schiitische PMU-Kämpfer getötet wurden, darunter ein Feldkommandeur namens Abu Hassan. Seither wurden vier der sechs wichtigsten Hamas-Führer getötet: Hanijas Stellvertreter Saleh al-Arouri im Januar in Beirut, der Militärchef Marwan Issa und der mutmaßliche Hamas-Militärchef Mohammed Deif im März und Juli bei Luftangriffen im Gazastreifen – und nun Hanija.

Das israelische „Siegesnarrativ“ hat daher in den westlichen Medien in den letzten Tagen Gestalt angenommen, obwohl Tel Aviv in Gaza bislang keine strategischen Erfolge verbuchen konnte. Das Versagen der iranischen Sicherheitskräfte beim Anschlag in Teheran darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Israel derzeit in einer verzweifelten Lage befindet. Seit Monaten befindet sich Israel im Ausnahmezustand. Allein aus dem Norden Israels wurden wegen des häufigen Beschusses durch die Hisbollah zwischen 70.000 und 80.000 Israelis evakuiert. Hinzu kommt die Evakuierung der Siedlungen rund um den Gazastreifen.

Es brennt an vielen Fronten

Die Huthi im Jemen haben mit ihren ständigen Angriffen auf Schiffe im Roten Meer auch den israelischen Hafen Eilat im Süden lahmgelegt, während die US-Koalition im Roten Meer gegen die Huthi-Operationen bröckelt. Der Krieg im Gazastreifen hat auch die israelische Wirtschaft schwer getroffen. Zudem ist Israel heute gespaltener als vor dem Gaza-Krieg. Nach der Verhaftung von neun israelischen Soldaten wegen Vergewaltigungsvorwürfen gegen Palästinenser stürmten radikale Zionisten kürzlich das Foltergefängnis Sde Teiman, um sich mit den verhafteten Soldaten zu solidarisieren.

Neben dem Krieg gegen die Hamas in Gaza und dem drohenden zweiten großen Krieg gegen die Hisbollah im Libanon scheint Israel nun eine weitere Front im Inneren eröffnen zu wollen, um Schlägertrupps und rachsüchtige Einheimische in die Schranken zu weisen. Israel hat keine Strategie für den Gaza-Krieg. Die ausgeklügelten Operationen zur Eliminierung von Hisbollah-, Hamas- oder IRGC-Akteuren sind in einem vernetzten Raum bedeutungslos, da kein Knotenpunkt zentral genug ist, um die „Achse des Widerstands“ des Iran strategisch zu stören. Die Verbindungen können leicht umgelenkt werden, selbst wenn eine oder mehrere zentrale Figuren ausgeschaltet werden.

Der Iran inszeniert sich seither in der islamischen Welt als Vorkämpfer der Palästinenser und präsentiert die selbst geschmiedete Achse des Widerstands als schlagkräftiges Abschreckungsinstrument. Vor diesem Hintergrund scheint Tel Aviv in einem Akt der Verzweiflung durch eine neue Anschlagsserie in der Region die USA in einen heißen Krieg hineinziehen zu wollen. Ein regionaler Krieg widerspricht jedoch den geopolitischen Interessen der USA, deren Schwerpunkt längst im Pazifik liegt. Aber Netanyahu versucht, vor den US-Präsidentschaftswahlen Fakten zu schaffen, die der neue US-Präsident nicht ignorieren kann.

Wie wird der Gegenschlag Irans ausfallen?

Der symbolträchtige Schlag ins Herz der iranischen Macht stellt die Abschreckungsfähigkeit Irans infrage. Teheran sieht sich erneut unter Druck, Vergeltung zu üben. Sonst verliert es den Abschreckungswettbewerb in der Region an den Erzfeind Israel. Die alten Spielregeln zwischen Iran und Israel waren bereits im April mit dem iranischen Großangriff auf Israel Geschichte, nachdem der Iran Israel mit Hunderten von Raketen und Drohnen direkt angegriffen hatte. Der iranische Angriff folgte damals auf den israelischen Luftangriff auf die iranische Botschaft in Damaskus. Die Gewaltspirale von Angriff und Gegenangriff zwischen Israel und Iran wurde damals jedoch vorerst gestoppt, wie das begrenzte Ausmaß des israelischen Gegenschlags gegen Iran und die abwiegelnden Reaktionen Teherans vermuten ließen.

Nun soll Irans oberster Führer, Ayatollah Ali Chamenei, als Vergeltung für die Ermordung des Hamas-Führers Ismail Hanija den Befehl gegeben haben, Israel erneut direkt anzugreifen. Das berichtete kürzlich die New York Times unter Berufung auf drei iranische Offizielle, die über den Befehl informiert seien. Über Zeitpunkt und Umfang eines möglichen iranischen Vergeltungsschlages wurde bislang nichts bekannt. Die iranische Revolutionsgarde (IRGC) erklärte, der Iran und die gesamte „Achse des Widerstands“ würden auf den Anschlag in Teheran reagieren. Im Libanon hieß es aus Sicherheitskreisen, die Hisbollah stimme sich mit ihrem großen Sponsor Iran ab, auch die palästinensische Hamas sei in Koordinierungsgespräche eingebunden. Im Gegensatz zum Großangriff im April würde der Iran diesmal eine koordinierte Operation gegen Israel durchführen. „Die iranische Antwort auf die Ermordung Hanijas wird stärker sein als der erste Schlag“, drohte bereits der Kommandeur der Revolutionsgarden, Esmail Kosari, im staatlichen Fernsehen.

Die Gefahr eines regionalen Flächenbrandes ist groß. In der Vergangenheit hatte die Führung in Teheran es vorgezogen, ihre Stellvertreter im Libanon, im Jemen, im Irak und in Syrien in die Lage zu versetzen, israelische Ziele anzugreifen. Damit wollte Teheran Vergeltungsschläge vom eigenen Territorium fernhalten. Das System der gegenseitigen Abschreckung durch Geheimdienstoperationen und den Einsatz von Stellvertretern in der Region ist seit dem Gaza-Krieg an seine Grenzen gestoßen. Doch Iran und Hisbollah wollen keinen großen Krieg. Zugleich haben sie deutlich gemacht, dass sie einen solchen nicht fürchten, und mit einer „harten Reaktion“ gedroht, sollte Israel die ungeschriebenen Regeln verletzen. Es besteht die Gefahr, dass auch Israel sich zu einer harten Reaktion gezwungen sieht. Die Konfrontation könnte dann leicht bis zu einem Punkt eskalieren, an dem es keinen Ausweg mehr gibt. Vor diesem Hintergrund steht der Iran vor einem heiklen Abwägungsprozess.


Zur Person:

Dr. Seyed Alireza Mousavi ist promovierter Politikwissenschaftler, Carl-Schmitt-Exeget und freier Journalist, spezialisiert auf Geopolitik und lebt in Berlin.

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