Autorin Bettina Gruber: „Das Feindbild des weißen Mannes war nie weg“
Im Freilich-Interview spricht die Publizistin und Autorin Bettina Gruber über das Feind- und Rollenbild Mann und kritisiert die vorherrschende „Geschlechterpolitik der offenen Flanke“, die Ideale aufstelle, welche „nicht weniger oder lockerer, sondern widersprüchlich und damit unerfüllbar“ seien.
Freilich: Frau Gruber, 2018 veröffentlichte der Antaios-Verlag Ihren Kaplaken-Band „tote weiße männer lieben“. Seitdem hat die in den USA heiß diskutierte Critical Race Theory (CRT) auch in Europa große Wellen geschlagen, sogar bis in liberal-bürgerliche Kreise hinein. Überlebt sich das Feindbild des alten weißen Mannes allmählich?
Gruber: Nein, leider „keine Gefahr“! Das Bändchen erlebt gerade eine zweite Auflage, das Feindbild des (weißen) Mannes war nie weg. Die woken Theorien sind nicht weniger ressentimentgeladen als die Rassentheorien des neunzehnten und der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Und durch ihren hetzerischen Charakter sind sie nicht weniger gefährlich, würde ich sagen. Weisheitssprüche wie, die weiße „Rasse (race) ist die gewalttätigste und unterdrückerischste Kraft der Erde“ wie sie damals das farbige Transmodel Munroe Bergdorf von sich gab, sind durch den zwischenzeitlichen Erfolg von BLM heute keine Ausreißer mehr.
Als Vehikel dient natürlich auch das Klimawandelnarrativ: Der indische Politikwissenschaftler Parag Khanna forderte laut der NZZ, nördlichen Ländern teilweise die Souveränität zu entziehen, um dort Hunderte Millionen von Menschen aus dem „globalen Süden“ unterzubringen – das ist nur eine von vielen kaum verhüllten Aggressionen und Dominanzphantasien, von denen ich einige letztes Jahr in „Antiweiß. Ein Kulturkampf“ beschrieben habe. Khanna, Bergdorf und andere nutzen allerdings nur die von Europäern verbreiteten Selbstherabsetzungsdiskurse, denn die Blaupause für antiweißen Rassismus haben wir selbst produziert.
Den „Toxic Masculinity“-Diskurs dagegen, der ebenfalls weiter Kapriolen schlägt, haben nicht Männer selbst in die Welt gesetzt, sondern Frauen. Statt dass solche Schlagworte von den nächsten Modevokabeln ersetzt würden, setzen sie sich fest und damit konsolidieren sich die zugehörigen Denkmuster. Die Asymmetrie in der Bewertung der Geschlechter ist längst institutionalisiert. Der 19. November ist Internationaler Männertag: Während sich bei dem den Frauen gewidmeten Pendant die offiziellen Stellen überschlagen, wird dieser Termin weitestgehend ignoriert. Das Feindbild Mann wird durch gezieltes negatives Framing gefestigt und laufend ausgebaut.
Lange beschäftigten sich Rechte und Konservative damit, den Mann zu entdämonisieren. Nur wie kann nun ein gesundes Männlichkeitsverständnis in der Postmoderne entstehen?
Wenn „gesund“ bedeuten soll, dass Menschen ein stabiles, positives Rollenselbstbild entwickeln und mit der Realität (weitgehend) zur Deckung bringen können, dann wird das leider noch lange schwierig bleiben, und zwar für beide Geschlechter, weil Medien, Bildungssystem und Politik das Gegenteil befördern. Prämiert und gefördert wird ja die (projizierte) Übernahme von Eigenschaften des Gegengeschlechts, gerne auch der Auftritt mit dessen Attributen. Das zeigt sich am schon offiziösen Charakter der Pride-Paraden. In San Francisco erhalten Mitglieder der Trans-Community jetzt ein Guaranteed Income für Trans People (GIFT), weil sie angeblich sozial schwächer sind als der Durchschnitt. De facto wird damit Abweichung vom normalen Geschlechtscharakter prämiert, wie das gesamte Gender-Wesen eine Idealisierung und Prämierung von Abweichung, eine Art Anti-Normalismus, darstellt. Es handelt sich dabei um eine erzwungene Revolution von oben, bei der es nicht um Toleranz, sondern um Umwertung geht.
Wir leben mittlerweile wörtlich „unterm Regenbogen“, denn es handelt sich um eine Herrschaftsideologie mit transhumanistischen Elementen, die staatlicherseits durchgedrückt wird. Diese Indoktrination zeigt bereits insofern Wirkung, als z.B. die Idee des wählbaren Geschlechts und der multiplen Geschlechter bei den nachrückenden Generationen teilweise als heilige Wahrheit geglaubt wird. Andocken konnte dies an die verbreitete Ablehnung von Binarität als Denkmuster in der Dekonstruktion, weil diese angeblich Zwang, Ausschluss etc. bedeute; daran knüpfte sich dann bei Genderisten die von Wunschdenken diktierte Vorstellung, Geschlecht sei nicht zweiwertig. Wir haben mittlerweile also eine Art Zangenangriff auf die Realität.
Unter diesen Bedingungen der systematischen Verstörung von Geschlechtscharakteren ist der Ausblick nicht gerade hoffnungsvoll. Mit Ellen Kositza zu sprechen, die vieles schon früh sehr eindringlich analysiert hat: „Gender ohne Ende“. Wenn man liest, dass die mächtige britische LGBTQ-Organisation Stonewall Arbeitgeber drängt, für gender-fluide Mitarbeiter zwei E-Mail-Adressen anzubieten, damit die zwischen den Geschlechtsidentitäten wechseln können, dann gewinnt man den Eindruck, das Netz des Wahns wäre nicht mehr zu zerreißen. Allerdings scheint Widerstand gegen woke Weltanschauung, zu der auch die Gendertheorien gehören, endlich an Fahrt aufzunehmen. Ein Stopp ist aber nur dann zu erwarten, wenn genügend Leuten klar wird, welchen Nachteilen, Einmischungen, Zwängen und vor allem: welchem Realitätsverlust sie durch diese Ideologie ausgesetzt sind. Dann ist eine Abkehr denkbar.
An welchen traditionellen Männlichkeitskonzeptionen könnten sich Männer, die diesen Weg der Abkehr gehen möchten, heute überhaupt orientieren?
Das ist eine Frage, die die Betroffenen beantworten müssen, ich maße mir kein Urteil an. Vielleicht am ehesten an der Stoa? Jedenfalls: Die klassischen Männlichkeitsentwürfe bezeichneten immer Subjekthaftigkeit schlechthin. Handlungsfähigkeit und Entscheidungsbereitschaft, Konsequenz, Durchhaltefähigkeit, Frustrationstoleranz, Selbstidentität stehen im Mittelpunkt. Das gesamte feministische „Empowerment“ orientiert sich ja an solchen männlich konnotierten Eigenschaften, die es für die Frauen reklamiert, während von Männern im Gegenzug fortwährend Empathie und andere traditionell weiblich konnotierte Qualitäten verlangt werden. Das kann für den einzelnen Mann eine Erweiterung seines Persönlichkeitsspektrums bedeuten, aber nur sofern es traditionelle Männlichkeitskonzeptionen ergänzen, nicht artifiziell ersetzen soll. Ich weiß, leichter gesagt als getan, aber: Männer sollten sich ihre „klassischen“ Qualitäten nicht schlechtreden lassen und gegenhalten.
In der heutigen Zeit gelten Stärke, Dominanz und traditionelle Rollenbilder von Mann und Frau zunehmend als verpönt. Schnell steht der Vorwurf der „toxischen Männlichkeit“ im Raum und der Mann wird als Gefahr für sich und andere dargestellt. Doch wann ist ein Mann ein Mann und was ist seine Rolle in der heutigen Gesellschaft? Die neueste Ausgabe des FREILICH MAGAZIN will genau diese Frage beantworten. Zudem widmet sie sich einer neuen Bewegung von Männern, die ihre Männlichkeit wiederentdecken und zurückerobern wollen.
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Apropos gegenhalten: Ist die ideologische und moralische Negation von Männlichkeit nicht eine Seite der Medaille und ihre Fetischisierung durch Incels und angebliches „Alphatum“ verkaufende Männlichkeitscoaches die andere? Wie lässt sich dieses Pendeln zwischen den Extremzuständen überwinden?
Diesen Zusammenhang sehe ich auch. „Alphatum“ ist ein primitives Konzept, das mir einem Jeder-gegen-Jeden-Liberalismus zu entspringen scheint, immer versetzt mit einem Schuss Nietzsche. Es ist eine Reaktionsbildung auf die von Ihnen benannte Negation von Männlichkeit, leidet aber an einem unheilbaren Widerspruch. Denn klarerweise gibt es in allen, und gerade in traditionellen Gesellschaften ja immer nur sehr wenige Alphas. Die meisten Männer müssen sich ein- und unterordnen, was ihre Männlichkeit herkömmlicherweise nicht beschädigt. Beim Militär und in Bürokratien kann nicht jeder ein „Alpha“ sein und ohne einen realitätsgerechten Umgang mit dieser Tatsache gibt es auch keinen gesellschaftlichen Erfolg. Die Idee, dass Frauen in allen Fällen den lautesten Gorilla bevorzugen würden, ist schon deshalb wirklichkeitsfremd.
Auf jeden Fall bewirkt diese Doppelseitigkeit der Medaille permanente Angreifbarkeit und Ausgesetztheit. Frauen sind immer entweder zu karriereorientiert oder „Heimchen am Herd“, Männer sind entweder toxisch oder Soja-Jungen. Diese Gesellschaft praktiziert eine Geschlechterpolitik der offenen Flanke: die Ideale, denen zu entsprechen wäre, sind nicht weniger oder lockerer geworden, sondern widersprüchlich und damit unerfüllbar. Während aber Frauen in dieser Lage Sympathie erhalten (Doppelbelastung usw.), wird über Männer Spott und Hohn ausgekübelt. Mein Beobachtungsterrain ist Twitter und die Selbstverständlichkeit, mit der hier Männer aus dem einen oder dem anderen Motiv abgewertet werden, ist atemberaubend. Wenn man den Sexismusbegriff für sinnvoll hält, dann ist genau das echter Sexismus.
Könnte nicht langfristig auch die verteidigungspolitische Zeitenwende Deutschlands eine Abwendung vom Postheroismus bewirken, nicht zuletzt da sich die militärische Aufrüstung sonst nicht wirklich nutzbar machen ließe?
Das kann man vermuten, aber es könnte uns auch die Spaltung des Männlichkeitsbildes, die Sie bereits angesprochen haben, erhalten bleiben, ja sie könnte sich verschärfen. Der Tagesspiegel berichtete neulich unter der Schlagzeile: „Das Töten fällt mir zunehmend leichter“ über die Erfahrungen eines jungen Freiwilligen in der Ukraine. Der Journalist Alexander Wallasch bezeichnete das auf Twitter als Landser-Romantik, wie ich finde zu recht. Ungeachtet dieses martialisch-klirrenden Gestus, der sich bei sonst hochsensiblen Zeitgenossen und -genossinnen auch mal bis zur Kriegslüsternheit steigern kann, kursieren dort auch Fotostrecken, die Modeschauen mit männlichen Modellen zeigen. Ich nehme an, Sie haben die gesehen, man kann ihnen kaum entgehen: streichholzdünne, erbarmungswürdige Gestalten in karnevalistisch verfremdeten Frauenklamotten, die Assoziationen an missbrauchte Kinder erwecken. Postheroischer geht’s nimmer und beide Männerbilder koexistieren ohne Berührung im selben medialen Raum. Die Gesellschaft ist eben stark kompartementalisiert, da kann das noch eine Weile so weiter gehen.
Der Trans-Hype betrifft zunehmend mehr junge Frauen und Mädchen als Männer. Wie kann es sein, dass die eigentlich so geschmähte Männlichkeit ausgerechnet in LGBTQ-Kreisen zur Projektionsfläche wird? Ist heute nicht vielmehr die Frau als der Mann bedroht, wie Radikalfeministen, sogenannte „Radfems“, oft warnen?
Ich weiß nicht, ob bei diesem beängstigenden Trend wirklich Männlichkeit zur Projektionsfläche wird oder ob nicht eher diese jungen Frauen nicht mit den unerfüllbaren Anforderungen zurechtkommen, die eine „befreite“ Gesellschaft auch an ihren Geschlechtscharakter stellt. Sie wollen offenbar überwiegend nur „weg“ von ihrer Weiblichkeit. Die Aussagen sogenannter „De-Transitioner“, also von Personen, die ihren „Geschlechtswechsel“ rückgängig machen wollen, legen das nahe. Das Paradoxe ist ja eben, dass traditionell als männlich verstandene Eigenschaften an Männern verteufelt, Frauen aber dafür als „starke Frauen“ auf den Schild gehoben werden, während gleichzeitig die Existenz von beiden bestritten wird. Dieser Wirbel aus Widersprüchen dürfte manchen einfach zu viel sein.
Kinder und Heranwachsende beiderlei Geschlechts sind bedroht von einer Ideologie, die ständig von Toleranz, Schutz und sexueller Selbstbestimmung schwafelt und das Gegenteil praktiziert. Der Trans-Hype ist ja nur die extreme Konsequenz des Körperlichkeit verneinenden Genderismus, einer Doktrin, die in die Annalen moderner Mythologien eingehen wird, allerdings leider erst, nachdem sie immensen Schaden angerichtet haben wird. Bis sie im Depot der Ideengeschichte verschwindet, wird es, fürchte ich, noch dauern. Zu viele Interessen aus Politik, akademischer Welt, Pharmaindustrie usw. sind hier im Spiel. Man sollte in der Zwischenzeit zwar widersprechen und die Folgen aufzeigen, aber diese monomane Fetischisierung der Kategorie Geschlecht nicht mitmachen. Sie führt in die Irre, nimmt viel zu viel Raum ein und frisst viel zu viel Energie. Es gibt lohnendere Themen. Die aufzuzeigen und zu verfolgen ist in sich schon ein Akt des Widerstands.
Frau Gruber, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Bettina Gruber, Dr. phil habil., Ernennung zur Außerplanmäßigen Professorin 2005, ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Neben wissenschaftlichen Publiktionen zahlreiche Beiträge für Periodika des konservativen Spektrums, insbes. TUMULT und Sezession. Letzte Buchveröffentlichungen: „Leben unterm Regenbogen. Das neue Geschlechterregime und seine Folgen“ (Edition Sonderwege Manuscriptum) 2020 und „Antiweiß. Ein Kulturkampf“ (Antaios) 2021.