Eskalation in Tirol: Als die Polizei einen alten Mann zu Boden riss

„Wir zahlen euren Kindern die Schuhe“, ruft ein Mann in einem Videomitschnitt, rund um den Zeitpunkt, als die Polizei in Innsbruck zuerst einen jungen Mann zu Boden warf, dann eine Frau in Tracht und zuletzt deren 82-jährigen Vater. Und man fragt sich ernsthaft: Wie erklären manche Beamten ihren Kindern solche überzogenen Zugriffe auf das eigene Volk?
Julian Schernthaner
Kommentar von
21.2.2021
/
4 Minuten Lesezeit
Eskalation in Tirol: Als die Polizei einen alten Mann zu Boden riss

Nach der Fixierung am Boden wurde ein Tiroler (82) mit Zwangsgewalt abgeführt. Bild: privat.

„Wir zahlen euren Kindern die Schuhe“, ruft ein Mann in einem Videomitschnitt, rund um den Zeitpunkt, als die Polizei in Innsbruck zuerst einen jungen Mann zu Boden warf, dann eine Frau in Tracht und zuletzt deren 82-jährigen Vater. Und man fragt sich ernsthaft: Wie erklären manche Beamten ihren Kindern solche überzogenen Zugriffe auf das eigene Volk?

Kommentar von Julian Schernthaner.

Bereits im Vorfeld war angekündigt worden, dass man ohne Kompromisse gegen alle vorgehen will, die dem absurd begründeten Demoverbot in Innsbruck trotzen. Und schon untertags gab es Schikanen gegen friedliche Protestierende. Einem jüngeren Herrn entriss man seine Tirolfahne, einen mutigen Busunternehmer führte man zeitweise ohne ersichtlichen Grund ab. Dank der Engelsgeduld des Volkes blieb es sehr lange friedlich. Aber den Tag soll man eben erst am Abend loben.

Senior wurde überhart am Boden fixiert

So war es zuvor mehreren Demozügen möglich, einigermaßen unbehelligt durch Innsbruck gehen zu können. Eine kleinere Gruppe konnte sogar Kerzen am Bergisel niederlegen. Eindrucksvolle Bilder zeigen, dass tausende Tiroler nicht mehr kommentarlos jede willkürliche Beschränkung ihrer Freiheit hinnehmen und ihren Unmut gewaltfrei kundtun wollten. Unter ihnen auch ein 82-jähriger Mann aus dem Oberland, der mit seiner Tochter und deren Lebensgefährten anreiste.

Einige Stunden später lag er am Boden, wurde dann von einer Vielzahl von Beamten abgeführt. Einem Statement seiner Tochter zufolge trug er Schürfwunden am Kopf und an den Händen, dort auch Hämatome, sowie eine Schulterzerrung, davon. Man habe ihn noch auf der Polizeiwache drangsaliert, ihn stundenlang wie einen Schwerverbrecher verhört. Da fragt man sich als unbedarfter Beobachter: Was mag ein noch so rüstiger Senior aufgeführt haben, um so behandelt zu werden?

Polizisten schossen mit Kanonen auf Spatzen

Reichhaltiges Videomaterial dokumentiert, dass der Zugriff absolut unverhältnismäßig war. Man sieht ihn im Bild, wie er seiner Tochter zu Hilfe eilt, sie umarmt, nachdem sie selbst rabiat zu Boden gestoßen wurde. Ihrer eigenen Auskunft zufolge wollte sie wiederum einem jüngeren Herrn beistehen, den die Beamten mit dem Kopf am Boden fixierten. Dann murmelt der ältere Herr, wohl in Reaktion auf die unsanfte Behandlung seiner Tochter, irgendetwas in die Richtung der Polizei.

Und plötzlich brennen mehreren Beamten die Sicherungen durch. Sie reißen auch den Senior zu Boden und fixieren ihn in einer Mannstärke, die man nicht einmal für einen dorfbekannten Kneipenschläger aufwenden würde, der gerade ein halbes Zeltfest aufmischt. Sie drücken seinen Kopf auf den Asphalt, führen ihn schließlich ab. Und es ist immer noch ein alter Mann, der körperlich keinerlei Aggression zeigte, sogar brav seine FFP2-Maske trug – und von dem sicherlich keine ernsthafte Gefahr ausging.

Etablierte Medien machen rabiaten Beamten die Mauer

Am Tag danach bleibt der Aufschrei in den etablierten Medien aus. In jenen Redaktionen, die jeden härteren Zugriff gegen tatsächlich aggressive Demonstranten aus dem Antifa-Milieu zu Vorboten finsterer Zeiten hochschreiben, schweigt man entweder eisern oder versucht, die Verhaftung zu rechtfertigen. Für mich aber bleibt die Frage: Wie genau rechtfertigt man die rabiate Festnahme eines friedlichen 82-jährigen Mannes durch mehrere Dutzend Beamten einer Spezialeinheit?

In einem Land mit normaler medialer Öffentlichkeit würde jede Zeitung diese Frage stellen. Polizisten – und sei ihre Situation als Prellbock zwischen zurecht empörtem Volk und planlos agierender Regierung noch so schwierig – müssten sich rechtfertigen, wenn sie auch nur annähernd in der Nähe des Zugriffs standen. Ihre Kinder würden darüber lesen und sie bestürzt fragen: „Papa, warum hast du die Kollegen nicht eingebremst, als sie den alten Mann im Dutzend zusammenfalteten?“

Waren das die Bilder, die Nehammer sehen wollte?

Schon vor Wochen gab es polizeiinterne Befehle, beim Umgang mit den Corona-Protesten nicht mehr deeskalierend zu agieren, Menschen auch an der Teilnahme an Demos zu hindern. Nach der großen Kundgebung in Wien am 31. Jänner musste sich der dortige Polizeipräsident in einem grotesk geführten ZiB2-Interview rechtfertigen, wieso man nicht erbarmungslos auf Frauen und Kinder losknüppelte. Diesmal war die Teilnahme von Kindern von vornherein verboten, mancher Beobachter befürchtete, dass der gewaltsamen Auflösung der Menschenansammlung damit Tür und Tor geöffnet würde.

Und tragischerweise sollten die Mahner recht behalten. Aber normalerweise kann kein Druck von oben, keine Dienstanweisung so groß sein, dass ein bei rechts- und sittenwidrigen Befehlen eigentlich zur Remonstration verpflichteter Beamter sich noch so pflichtbewusst zum Großkampftag aufmacht, um dann Stunden später Frauen und ältere Herren knallhart zu Boden zu werfen. Es gibt absolut keine Entschuldigung für diese Aktion – wer auch immer derartigen Frevel befohlen haben mag.

Deeskalation ist die Mutter aller Sicherheit

Denn da muss das Moralempfinden vor der vermeintlichen Dienstpflicht stehen. Man kann nicht einfach das Volk, das die Polizei eigentlich zu seinem eigenen Schutz mit Steuergeld finanziert, zum Feind erklären, um jene hässlichen Bilder zu produzieren, die Leitmedien und der Innenminister vielleicht gerne sehen wollen, um einen Vorwand für neue Repressionen gegen friedliche Proteste und verhasste Kritiker gegen die überbordenden Freiheitsbeschränkungen zu finden.

Während meines Studiums arbeitete ich im Sicherheitsdienst. Somit ist mir bewusst, dass nicht jede Auseinandersetzung friedlich zu entschärfen ist. Dennoch war der erste Satz im ersten Firmenseminar: „Der beste Kampf ist der durch deeskalierendes Auftreten vermiedene Kampf.“ Hätte ich das missachtet und so grundlos wie vermeidbar Senioren am Boden fixiert, hätte ich eine Abmahnung kassiert – und zwar zurecht. Ich habe also kein Verständnis für solch widerwärtige Aktionen. Absolut keines.


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Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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