Felix Wolf zur Vier-Tage-Woche: „Familienleben könnte in den Vordergrund treten“
Vier Tage Arbeit, drei Tage Wochenende – dieses Modell wird in vielen Ländern immer populärer. In seinem Kommentar für FREILICH erklärt Felix Wolf, wie mit dem Modell die Demografie, die Beschäftigungsquote, die Vollzeitquote und der wirtschaftlichen Aufschwung gleichermaßen gefördert werden könnte.
Die Statistik spricht eine eindeutige Sprache: Immer mehr Menschen arbeiten in Teilzeit. Waren es 1993 in Deutschland noch nur 2,3 Prozent aller Männer und 32,2 Prozent aller Frauen, so sind es 2018 schon 11,2 Prozent aller Männer und 47,9 Prozent aller Frauen gewesen. Ergo: Die Teilzeitquote unter Männern hat sich in 25 Jahren verfünffacht. Harte Fakten. Doch unter welchen Gesichtspunkten ergeben sich daraus neue Chancen? Wie können wir als Gesellschaft einen positiven Effekt aus der Abnahme der Vollzeit-Bereitschaft ziehen? Im Folgenden möchte ich dazu einige Überlegungen und Möglichkeiten aufzeigen, die die sogenannte Vier-Tage-Woche nicht nur aus dem Aspekt der Arbeitsunwilligkeit und dem angenehmeren Wochenverlauf betrachten.
Patriotische Perspektiven
Wir könnten es schaffen, die Demografie, die Beschäftigungsquote, die Vollzeitquote und den wirtschaftlichen Aufschwung gleichermaßen zu fördern, sofern die Grundpfeiler in diesem Gedankenspiel richtig stünden.
Warum dabei vor allem die Demografie im Vordergrund stehen sollte, erklärt sich anhand der Entwicklung selbst: Das Durchschnittsalter in Deutschland steigt, während die Bereitschaft, 40 Stunden pro Woche zu arbeiten, sinkt. Und das ist bei einem sich stetig erhöhenden Renteneintrittsalter auch alles andere als unverständlich. Gleichzeitig bedient sich der Staat reichlich an unserer Arbeitsleistung, obwohl ein immer größerer Teil der Gesellschaft nur noch von Monat zu Monat lebt und kaum eine Perspektive auf Eigentum oder Absicherung im Alter in Aussicht gestellt bekommt. Jeder zweite Deutsche hat weniger als 70.000 Euro Vermögen. Zum Vergleich: In Italien sind es 132.000 Euro, in Spanien 119.000 Euro.
Doch wie kann die Vier-Tage-Woche nun dafür sorgen, dass ausgerechnet monetäre Defizite und die Demografieprobleme des Landes behoben werden könnten und wie kann das Ganze in der Praxis wirklich Anwendung finden? Nun: Zum einen sorgt diese Verschiebung in der Vollzeitbeschäftigung dafür, dass die vorher gebundenen Kapazitäten auf mehr Menschen aufgeteilt werden können. Aus vier Vollzeitbeschäftigen bei fünf Tagen können fünf Beschäftigte auf vier Tage werden.
Dies würde sich spürbar auf die Arbeitslosenquote auswirken. Auch deshalb, weil heute im Gegensatz zu früher bedeutend weniger Langzeitarbeitslose darunter sind. Dies spricht auch dafür, dass es an Möglichkeiten der Beschäftigung fehlt, die nicht zuletzt auch durch die technische Restrukturierung der Industrie, den dadurch häufig stattfindenden Austausch von Mensch gegen Maschine und Unternehmen mit hoher Fluktuation verursacht werden. Diesem Bedarfseinbruch kann so mindestens kurz- bis mittelfristig entgegengewirkt werden, während zusätzlich zwei weitere positive Effekte gefördert werden:
Erstens: Weniger Abgaben an den Staat und zweitens weniger Umverteilung durch die Sozialsysteme. Außerdem kann so in mehr Fällen eigenständig für die Zukunft vorgesorgt werden.
Doch kommen wir zum eigentlich interessanten Aspekt der Thematik. Abseits von Arbeitsteilung, Industrie und Wachstum: Welche Möglichkeiten entstehen aus der frei gewordenen Zeit des Einzelnen und was hat das mit der Demografie zu tun? Hier befindet sich meines Erachtens der größte Hebel: Der Ausbau der „Freizeit“ um 50 Prozent von zwei Tagen auf drei, in denen der Mensch vollständig frei in seiner Gestaltung ist. Mehr Zeit zum Erlernen wichtiger Skills oder der Aufbau einer Selbständigkeit sind hier denkbare Optionen. Auch Erholungskapazitäten könnten im höheren Alter wichtiger werden, da das Rentenalter perspektivisch steigen wird, während die Auslastung auf verhältnismäßig hohem Niveau bleibt. Aber auch, um Tätigkeiten flexibler erledigen zu können, für die ein regulärer „9-5“-Job eine Herausforderung darstellt, wie beispielsweise Arztbesuche oder andere Formen der Gesundheitsvorsorge.
Dies birgt einiges an Potential. Aus einer Familie, die derzeit eine fünftägige Kita-Betreuung braucht, könnte so eine werden, die nur noch drei benötigte. Mehr Zeit mit den eigenen Kindern und für eine gesunde Erziehung. Daraus sollte natürlich vordergründig eine positive Entwicklung der Familie an sich wachsen können, was bedeutet: Mehr Kinder pro Familie. Denn durch die freien zeitlichen Kapazitäten wird die Familienplanung wieder erleichtert und es entsteht auch die Perspektive, mehr Zeit mit eben dieser Familie zu verbringen, mehr Zeit für seine Kinder erübrigen zu können und sich weniger die Frage zu stellen, wo genau diese im aktuellen Berufsleben eigentlich noch stattfinden soll. Dass sich dies sehr positiv auswirken könnte, sieht man auch daran, dass eine Umfrage der ZEIT zu Neujahresvorsätzen für das Jahr 2022 ergab, dass sich 64 Prozent aller Menschen mehr Zeit für die Familie wünschen. Bei jüngeren Menschen, bis zum Alter von 29 Jahren, waren es sogar über 80 Prozent. Man erhält den Eindruck, diese Zeit würde grundlegend fehlen.
Kurzum: Das Familienleben könnte wieder mehr in den Vordergrund treten und eine derartige Entwicklung sowohl demografische Entwicklungen positiv beeinflussen, wie sie auch gesamtgesellschaftlich und gesundheitlich einige positive Aspekte aufweist.
Wirtschaftliches Risiko und finanzielle Abhängigkeit von Familien
Bei den positiven Aspekten darf jedoch die grundlegende Frage nicht zu kurz kommen: Wie finanzieren wir uns diese positiven Aussichten und ist das überhaupt so einfach zu handhaben? Verständlicherweise bedeutet Familienplanung für viele junge Menschen heute vor allem eines: Geldsorgen. Der Knackpunkt der Debatte ist daher nicht, das eine schön zu reden und die mögliche Kehrseite zu ignorieren, sondern beide Probleme gleichermaßen zu lösen.
Ich habe bereits einmal auf die Umverteilungsaspekte verwiesen. Diese möchte ich dafür erneut aufgreifen, da sich hier durchaus mehrere Synergien ergeben (können). So können sich in diesem Szenario Steuerlasten positiv entwickeln, weil gleichzeitig der Bedarf an Sozialversicherungseinnahmen sinkt, wenn mehr Menschen einer Tätigkeit nachgehen können. So können zusätzlich aufgeblähte Verwaltungsapparate minimiert und langfristig möglicherweise sogar in Teilen abgeschafft werden. Ergo: Mehr produktive Kapazitäten in der freien Wirtschaft statt in den eingeschlafenen deutschen Bürokratie-Kraken.
Entscheidungsfaktor Produktivität – Ein mögliches Ende der Burnout-Ära
Der Faktor, mit dem diese Debatte steht oder fällt, ist die Produktivität – der Gesamtoutput gemessen am Einsatz. Wenn das Ergebnis in Summe gleich oder besser ausfällt, sind die Argumente gegen die Vier-Tage-Woche obsolet. Allerdings muss dabei das große Ganze betrachtet werden. Wenn beispielweise die Produktivität gleichbleibt, aber die Zufriedenheit, eventuell sogar die Geburtenrate oder der Lebensstandard sich durch mehr Zeit in verschiedener Art und Weise erhöht, so ist das Gesamtergebnis in jedem Fall als positiv zu bewerten. Möglicherweise erleben wir dadurch noch sehr zeitnah das Ende der modernen Burnout-Epidemie, in der der Büro-Alltag oder das Tagesgeschäft mit überflüssigen Meetings und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefüllt wird, da man sich gesellschaftlich auf das Bild der 40 Stunden-Woche „geeinigt hat“. Diese Veränderung könnte uns endlich die Möglichkeit bieten, diese überfüllten Tage ein wenig zu verschlanken und den Blick auf das Wesentliche zu richten. Daher bin ich vorsichtig optimistisch, dass diese vielfach diskutierte Veränderung letzten Endes tatsächlich zu Gunsten der Arbeitnehmer, der Familien, der Kinder und damit unserer Gesellschaft ausfallen könnte.
Zur Person:
Felix Wolf ist ein junger Rechter aus Westdeutschland, der mit einem wirtschaftsrechtlichen akademischen Hintergrund als Blogger auf Twitter agiert. Er ordnet sich dem paläolibertären rechten Spektrum zu und kommentiert politische Entwicklungen wie auch Tagespolitik mit dem Fokus auf Wirtschaft, Migration und gesellschaftspolitische Entwicklungen.