Gericht untersagt regierungskritischen Tweet von Reichelt

Das Landgericht Berlin hat dem ehemaligen Chef der Bild-Zeitung, Julian Reichelt, die Äußerung „Deutschland hat in den letzten zwei Jahren 370 Millionen Euro (!!!) Entwicklungshilfe an die Taliban gezahlt (!!!!!!)“ verboten. Sein Anwalt erwägt den Gang vor das Verfassungsgericht.

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Gericht untersagt regierungskritischen Tweet von Reichelt

Der ehemalige Chef der Bild-Zeitung, Julian Reichelt.

© IMAGO / Norbert Schmidt

Berlin. – Anfang Oktober entschied das Landgericht Berlin, dass Julian Reichelt, Chef des Medienportals Nius und ehemaliger Chefredakteur der Bild-Zeitung, den Satz „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 Millionen Euro (!!!) Entwicklungshilfe an die Taliban (!!!!!!)“ schreiben darf und wies den Antrag von Bundesentwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Reichelt zurück (Az. 27 O 410/23). Das Kammergericht Berlin sagt nun in zweiter Instanz: Reichelt darf sich so nicht äußern. Es handele sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung, die geeignet sei, das Vertrauen in die Arbeit der Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise des Bundesentwicklungsministeriums zu erschüttern (Az. 10 W 184/23).

Ministerin in ihrem Ansehen verletzt

Das Landgericht Berlin hatte die Äußerung Reichelts auf der Plattform X (früher Twitter) als zugespitzte Meinungsäußerung gewertet. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Satz im Zusammenhang mit einem Beitrag von Nius stehe, der darauf hinweise, dass die Bundesregierung – was unbestritten ist – Entwicklungshilfe an Afghanistan zahle. Die Äußerung, Deutschland zahle „Entwicklungshilfe an die Taliban“, sei als „überspitzte Kritik“ oder auch als Ausdruck einer Befürchtung zu verstehen. Im Übrigen habe die Ministerin keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Rechtsverletzung oder Beleidigung, da sie nicht in ihrem Ansehen verletzt worden sei.

Das Kammergericht Berlin stellt nun genau das Gegenteil fest. Die Ministerin sei in ihrem Ansehen verletzt worden, ihr stehe Ehrenschutz zu. Und Reichelts Äußerung sei als Tatsachenbehauptung einzustufen. Denn der Durchschnittsleser müsse sie so verstehen, dass die Bundesrepublik in den vergangenen zwei Jahren „Entwicklungshilfezahlungen in der genannten Höhe“ direkt „an die derzeitigen Machthaber in Afghanistan“ geleistet habe. Dem Durchschnittsleser, befindet das Kammergericht, werde nicht vermittelt, dass Reichelt ein „mittelbares“ Zugutekommen der Zahlungen meine, in dem Sinne, dass die Entwicklungshilfe aus Deutschland indirekt den Taliban zugute komme. Reichelts Äußerung, so das Kammergericht, berge vielmehr die Gefahr, dass in der Bevölkerung der Eindruck entstehe, Deutschland „zahle Entwicklungshilfe an ein Terrorregime, das die Rechte der Bevölkerung mit Füßen tritt“.

„Bewusst Unwahrheiten verbreitet“

Julian Reichelts Anwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel sagte auf Anfrage der F.A.Z.: „Ich glaube, Herr Reichelt darf es mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung einen solchen Respekt vor seiner journalistischen Arbeit entwickelt hat, dass bereits seine Tweets eine solche Furcht verursachen, dass über mehrere Instanzen prozessiert wird. Ich halte den Beschluss des Kammergerichts in mehrfacher Hinsicht für rechtsfehlerhaft. Die Entscheidung bietet sich auch in Hinblick auf ihre sehr restriktive Auslegung der Meinungs- und Pressefreiheit für eine verfassungsrechtliche Überprüfung an.“

Der Anwalt des Ministeriums, Christian Schertz, sagte auf Anfrage: „Das Kammergericht hat zutreffend erkannt, dass Herr Reichelt hier bewusst Unwahrheiten verbreitet hat, die bei der Bevölkerung den Eindruck vermitteln, die Bundesrepublik zahle Entwicklungshilfe an ein Terrorregime. Falschinformationen sind nun mal von der Pressefreiheit nicht gedeckt.“

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