Harald Martenstein: „Es wächst eine neue totalitäre Ideologie heran“
Nachdem der Tagessiegel sich von einem Beitrag des Autors distanzierte und den Text löschte, warnt Martenstein nun vor einer wachsenden Einschränkung der Meinungsfreiheit in den Medien durch „eine neue totalitäre Ideologie“.
Berlin. – Der Schriftsteller und Kolumnist Harald Martenstein warnt vor zunehmenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Nachdem der Tagespiegel, für welchen er seit den Achtzigerjahren geschrieben hatte, sich von einem seiner Beiträge distanzierte und den Text löschte, verließ er die Zeitung. In einem nun am Sonntag in der Welt veröffentlichten Artikel erklärt Martenstein, er sei nicht „gecancelt worden“, aber im Sinne seiner Selbstachtung habe er sich für seinen Abschied beim Tagesspiegel entschieden.
„Neue Ideologie“
Hintergrund ist eine Kolumne Martensteins von Anfang Februar, in welcher er das Tragen von Judensternen auf Demonstrationen gegen die „Corona-Maßnahmen“ zwar als „Anmaßung“, „Verharmlosung“ und „schwer auszuhalten“, aber auch als „sicher nicht antisemitisch“ beschrieb. Daraufhin distanzierte sich die Chefredaktion von dem Beitrag und löschte den Text.
In seinem Beitrag in der Welt ordnet er seine Geschichte in einen größeren Zusammenhang ein und sorgt sich um die Meinungsfreiheit: „Nach Nationalismus und Kommunismus wächst eine neue totalitäre Ideologie heran, ich nenne sie „identitär“, andere „woke“. Vom Nationalismus hat sie das Stammesdenken, wir sind besonders wertvoll. Vom Marxismus hat sie die irre Idee geborgt, sie sei keine Meinung, sondern eine Wissenschaft. Sie hat edle Ziele, den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierungen zum Beispiel. Aber sie will die ganze Macht, sie ist unduldsam, sie kann skrupellos sein und brutal, um Andersdenkende auszuschalten. In den Medien wird sie immer mächtiger.“
„Niemand ist mehr sicher“
Wer seine Meinung schlicht „die Wahrheit“ nenne, könne von der Meinungsfreiheit anderer natürlich nichts halten, so Martenstein weiter. „Meinungsfreiheit ist nicht der historische Normalfall, sie ist eine kostbare Ausnahme. Man muss Tag für Tag um sie kämpfen, sonst ist sie schnell weg, und das ist nicht gut für die Gesundheit. Man darf keinen Mut brauchen, um frei zu sprechen.“ Niemand sei mehr sicher, so der Journalist in Bezug auf die Meinungsfreiheit in den Medien. „Auch dann nicht, wenn zahlreiche Blechorden in Form von Journalistenpreisen an der Brust baumeln.“ Dies sei eine klare Botschaft an junge Journalisten, schlussfolgert Martenstein, „niemals einen Satz zu schreiben, mit dem nicht schon mindestens zehn Kollegen durchgekommen sind, ohne unliebsam aufzufallen“.