Jeder dritte Neuntklässler in Deutschland kann nicht richtig lesen
Der neue Bildungstrend ist alarmierend: Jeder dritte Neuntklässler verfehlt im Fach Deutsch die Mindeststandards im Lese- und Hörverstehen.
Berlin. – Die Deutschleistungen von Neuntklässlern haben sich einer Studie zufolge seit 2015 deutlich verschlechtert. Rund jeder Dritte verfehlte im vergangenen Jahr bei bundesweiten Tests die Mindeststandards für den mittleren Schulabschluss (MSA) in den Bereichen Lese- und Hörverstehen – mehr als jeder Fünfte in der Rechtschreibung. Das geht aus dem IQB-Bildungstrend hervor, der der Kultusministerkonferenz (KMK) vorgestellt wurde.
Ergebnisse „in hohem Maße besorgniserregend“
Im Vergleich zur Vorgängerstudie aus dem Jahr 2015 ist der Anteil der Schüler mit Problemen im Lesen und in der Orthografie deutlich um jeweils rund neun Prozentpunkte gestiegen. Im Bereich Zuhören/Hörverstehen sind es sogar 16 Prozentpunkte. Die Ergebnisse im Fach Deutsch seien „in hohem Maße besorgniserregend“, so die Autoren der Studie. Deutliche Unterschiede stellt die Studie zwischen den Bundesländern fest. Bayern und Sachsen schneiden demnach besser ab, Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen schwächer.
Eine mögliche Ursache für das schlechte Abschneiden könnten die Corona-Schutzmaßnahmen sein, von denen Schulen in großem Umfang betroffen waren. Es sei davon auszugehen, „dass der Fern- und Wechselunterricht, der bundesweit über längere Zeiträume umgesetzt wurde, die ungünstigen Entwicklungen im Fach Deutsch in nicht unerheblichem Maße mit verursacht hat", heißt es in der Studie. Die Neuntklässler, die im vergangenen Jahr getestet wurden, besuchten zu Beginn der Pandemie 2020 die siebte Klasse. Der Ausnahmezustand mit Schulschließungen und Vertretungsunterricht dauerte mit Unterbrechungen mehr als ein Jahr. Nach Berechnungen der OECD war der reguläre Unterricht zwischen Frühjahr 2020 und Frühjahr 2021 an durchschnittlich mehr als 180 Tagen eingeschränkt. Im darauffolgenden Winter gab es zwar keine flächendeckenden Schließungen mehr, aber weitere Ausfälle durch zahlreiche Infektionsfälle.
Migrationshintergrund als mögliche Ursache genannt
Eine weitere mögliche Ursache für die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends könnte nach Ansicht der Forscher der gestiegene Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund sein. Dieser sei seit 2009 bundesweit deutlich um rund elf Prozentpunkte gestiegen. Demnach haben 38 Prozent der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler entweder Eltern, die nicht in Deutschland geboren sind, oder sind selbst im Ausland geboren. Im Fach Deutsch sind zwar alle Jugendlichen, auch die ohne Migrationshintergrund, von negativen Tendenzen betroffen. Neuntklässler mit Migrationshintergrund erreichten jedoch „signifikant geringere Kompetenzen“.
Die Ergebnisse bestätigen einen schon länger anhaltenden und viel diskutierten Trend: Die Leistungen in den Kernfächern gehen zurück. Im vergangenen Jahr zeigten dies die schlechten Testergebnisse der Viertklässler in Mathematik und Deutsch. Jetzt zeigt sich bei den Neuntklässlern, dass sie zunehmend Probleme mit dem Textverständnis und dem Schreiben haben.
Gute Ergebnisse im Fach Englisch
Die Studie liefert aber auch einen kleinen Lichtblick: Im Gegensatz zu den Ergebnissen im Fach Deutsch seien die Kompetenzen im Fach Englisch „äußerst erfreulich“, heißt es im Bericht der Studienautoren. Neuntklässler würden im Jahr 2022 deutlich besser in der Lage sein, geschriebene und gesprochene englische Texte zu verstehen als 13 Jahre zuvor. Der Anteil derjenigen, die hier die MSA-Mindeststandards verfehlen, sank im Leseverstehen um jeweils drei Prozentpunkte auf 24 Prozent und im Hörverstehen um ebenfalls drei Prozentpunkte auf 14 Prozent. Die Autoren der Studie vermuten, dass vor allem die verstärkte Nutzung digitaler Medien und englischsprachiger Inhalte während der Corona-Pandemie zu diesem Ergebnis beigetragen haben könnte. Mit Blick auf Plattformen wie TikTok, YouTube und Streamingdienste sprechen die Autoren von „außerschulischen Lerngelegenheiten“.