Joachim Gauck: Linksliberale müssen Toleranz lernen
Gauck erscheine es „bedrohlich“, dass „viele in den linksliberalen Kreisen sehr pauschal alles ablehnen und sogar als Gefahr für die Demokratie verurteilen, was rechts von der politischen Mitte oder rechts von der Union ist“.
Berlin. Angesichts der wachsenden Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) hat Altbundespräsident Joachim Gauck vor einer Ausgrenzung ihrer Wähler und vor einer Verengung der gesellschaftlichen Debatte gewarnt. Ihm erscheine es „bedrohlich“, dass „viele in den linksliberalen Kreisen sehr pauschal alles ablehnen und sogar als Gefahr für die Demokratie verurteilen, was rechts von der politischen Mitte oder rechts von der Union ist“, sagte Gauck in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus.
„Echte Toleranz ist eine Zumutung“
„Auch linksliberale Meinungsführer müssen lernen zu tolerieren, dass Teile unserer Gesellschaft anders ticken, anders denken, anders sprechen, auch wenn dies bei liberalen Eliten Kopfschütteln, Ratlosigkeit und Ablehnung hervorruft“, so Gauck. Altmodische, konservative oder gar reaktionäre Menschen seien nun einmal ein „nicht zu übersehender Teil unserer Gesellschaft“. Das werde vermutlich so bleiben. Und das erfordere „echte Toleranz“, erklärte Gauck. In einer offenen Gesellschaft mit unterschiedlichsten Meinungen könne man nicht alles akzeptieren, meinte der Altbundespräsident. „Aber nicht alles, was wir nicht akzeptieren, ist deshalb gleich verfassungsfeindlich“. Das sei oft schwierig, räumte Gauck ein. „Echte Toleranz ist eine Zumutung“.
„Betreutes Sprechen“
Kritik übte Gauck auch an übertriebener Political Correctness. „Wenn man die deutsche Sprache unbedingt einer erhofften gesellschaftlichen Entwicklung anpassen will, kann das schnell zu Übertreibungen führen, die von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt werden“, sagte er. „Ich nenne diesen ‚Neusprech‘ auch ‚betreutes Sprechen'“. Zugleich warnte Gauck auch vor Tabus in der gesellschaftlichen Debatte. „Es kann nicht sein, dass man aus lauter Angst vor dem Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit oder des Rassismus kritische Themen nicht mehr ansprechen darf“. Mit Blick auf die Zuwanderung sei „weitestgehend ein fürsorgliches Schweigen über die Probleme ausgebrochen“. Er forderte, kritische Fragen wie etwa zur Migration offen anzusprechen. „Wenn die demokratische Mitte Reizthemen meidet, werden diese an den politischen Rändern zu Hauptthemen“.