Kriminologe verharmlost steigende Vergewaltigungszahlen im „ZDF-Faktencheck“
Auf dem Bundesparteitag der AfD in Essen hat sich Alice Weidel besorgt über die Sicherheitslage im Land geäußert. Sie sprach von mehr Messerstechereien, Morden und Vergewaltigungen. Das ZDF hat diese Aussagen einem „Faktencheck“ unterzogen und hält Weidel für eine Lügnerin.
Essen/Berlin. – Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel hat in ihrer Eröffnungsrede auf dem Bundesparteitag am vergangenen Wochenende in Essen vom „von der CDU geschaffenen Kontrollverlust 2015“ gesprochen und erklärt, in Deutschland herrsche eine „Krise der inneren Sicherheit“. Ausländerkriminalität und Ausländergewalt würden explodieren, es gebe mehr Messerstechereien, mehr Morde, mehr Vergewaltigungen.
Ein Kriminologe wehrt sich gegen diese Darstellungen und widerspricht ihnen gegenüber dem ZDF entschieden. „Kriminalität ist ein emotionsbeladenes Thema“, sagt Tobias Singelnstein. „Straftaten verursachen Ängste“, so der Professor für Kriminologie und Strafrecht der Frankfurter Goethe-Universtität. „Und deshalb werden sie so gerne von Populisten aufgegriffen und genutzt, weil man mit ihnen Stimmung machen und Ängste mobilisieren kann.“
Steigende Zahlen bei Vergewaltigungen
Für die Experten, die Weidels Aussagen für ZDFheute eingeordnet haben, ist klar: Sie lügt oder dramatisiert in allen Punkten. In dem entsprechenden Beitrag werden deshalb Statistiken der letzten Jahre und Jahrzehnte herangezogen. Sie werfen einen Blick auf die registrierten Straftaten in Deutschland, auf die Zahl der Messerstechereien, Morde und Vergewaltigungen. Bei letzteren zeigt sich aber, dass die Zahl der Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen seit Jahren steigt. Auch die Opfergefährdungszahl, also das Risiko, Opfer einer Sexualstraftat zu werden, ist seit Beginn der Erhebung im Jahr 2000 gestiegen. Doch auch hier tritt Singelnstein gleich wieder auf die Bremse. Die Polizeiliche Kriminalstatistik sei nicht mit der Kriminalitätswirklichkeit gleichzusetzen, erklärt der Kriminologe. Sie zeige nur, wie viele Verfahren die Polizei in einem Jahr bearbeitet habe. Im Bereich der Sexualdelikte sieht Singelnstein „zahlreiche Umstände, die zu diesem Anstieg geführt haben können“.
Der Experte verweist unter anderem auf die gesetzliche Definition des Tatbestandes. So ist Vergewaltigung in der Ehe erst seit Juli 1997 strafbar und kann erst seitdem angezeigt werden. „Wenn der Gesetzgeber etwas verändert, wirkt sich das natürlich auf die Statistik aus“, sagt Singelnstein. Zudem habe sich die gesellschaftliche Wahrnehmung und die Debatte über sexualisierte Gewalt verändert. Unter anderem die #MeToo-Debatte habe zur Sichtbarkeit und zu einem erhöhten Problembewusstsein beigetragen. Das könne die Bereitschaft von Betroffenen erhöhen, Sexualdelikte bei der Polizei anzuzeigen. „Die Kriminologie geht davon aus, dass es eher keinen erheblichen Anstieg im Bereich Vergewaltigung und sexueller Nötigung gibt“, fasst er abschließend zusammen.