Michael Meyen: „Auch eine AfD-Regierung braucht einen Propaganda-Apparat“
Michael Meyen geriet wegen seiner Kritik an den Coronamaßnahmen ins Visier der Cancel Culture. Eine Meldung der Ludwig-Maximilians-Universität München an den bayerischen Verfassungsschutz könnte den Professor für Kommunikationswissenschaft seinen Job kosten. FREILICH sprach mit ihm über Propaganda, Zensur und Cancel Culture.
FREILICH: Herr Professor Meyen, Sie kritisieren in Ihrem Buch Die Propaganda-Matrix die Verquickung von Staat und Leitmedien. Nun ist Ihr Arbeitgeber – die LMU München – auf den Verfassungsschutz zugegangen, weil Sie als Mitherausgeber der Wochenzeitung Demokratischer Widerstand die Coronamaßnahmen kritisiert haben. Warum möchte man Sie canceln?
Cancel Culture kenne ich seit 2018. Ich habe schon damals bei Vorträgen die Location verloren, die mir vorher zugesichert worden ist. Dabei handelte es sich eher um Kämpfe zwischen linken Gruppen, wo man nicht verstehen konnte, warum ich Ken Jebsen Interviews gegeben habe. Das hat bei vielen Veranstaltungen Stress gemacht, auch wenn es gar nicht um KenFM, Rubikon oder ähnliche Phänomene ging.
Das alles ist mit Corona nochmal ein Stück härter geworden. Denn jetzt ist diese Art des Umgangs miteinander von der linken Seite des politischen Spektrums in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Mittlerweile sage ich Vorträge eigentlich nur dann zu, wenn ich weiß, dass die Veranstalter einen sicheren Ort haben.
Was unterscheidet Propaganda von Öffentlichkeitsarbeit oder Kommunikationswissenschaft?
Propaganda machen im heutigen Sprachgebrauch immer nur die anderen. Dem politischen Gegner unterstellen wir prinzipiell, dass er Propaganda macht, egal ob innenpolitisch oder außenpolitisch. Im Zweifel ist es dann der Kreml oder der Chinese, der Propaganda macht. Diejenigen, die sich auf der Seite der Guten wähnen, machen keine Propaganda und verwenden dafür andere Begriffe wie zum Beispiel Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations, Soft Power. Strategische Kommunikation ist der neueste Begriff.
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Aber eigentlich geht es immer um das Gleiche. Es geht immer darum, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, für eine bestimmte Position zu gewinnen, die Organisation, für die man arbeitet, in ein günstiges Licht zurück, die eigene Person in ein günstiges Licht zurück zu rücken. Es geht also immer darum, Öffentlichkeit einseitig zu beeinflussen.
Finden Sie es nicht unangebracht, den Begriff Propaganda in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu verwenden? Wir haben schließlich kein Propagandaministerium mehr.
Bis in die späten 1930er-Jahre war dieser Begriff ja in westlichen Gesellschaften ganz normal. Das Standardwerk von Edward Bernays – Neffe von Sigmund Freund – mit dem Titel Propaganda ist 1928 erschienen. In diesem Buch erhebt Bernays sich und die Leute, die sich mit der Kunst der Propaganda auskennen, in den Rang einer unsichtbaren Regierung. Er schreibt, dass es ein Wesensmerkmal demokratischer Gesellschaften wäre, dass das Spektrum der diskutierten Themen eingeschränkt werde, um überhaupt Kontrolle über die Bevölkerung erlangen zu können.
Aktuell kämpfen der Rockstar Till Lindemann und der Verleger Götz Kubitschek gegen ihre Verbannung aus dem öffentlichen Raum. Bei Kubitschek geht es um einen Vortrag an der Universität Wien am 17. November 2023. Was haben diese Phänomene mit Propaganda zu tun?
Bei Till Lindemann und Götz Kubitschek handelt es sich um Cancel Culture. Da geht es darum, über die Personen bestimmte Themen aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Propaganda und Zensur greifen eine Ebene höher auf der Ebene der Leitmedien. Leitmedien geben die Themen vor, über die Gesellschaften zu diskutieren haben. Sie geben vor allem die Moral vor, die wir mit diesen Themen verbinden müssen, um nicht ausgeschlossen zu werden aus dem Sozialverband. Das ist für Menschen die größte Bedrohung. Wir sind soziale Wesen, wir wollen Teil einer größeren Gruppe sein, wollen nicht isoliert werden.
Also beobachten wir den Leitmedientenor, um zu wissen, welche Haltung wir in der Öffentlichkeit zeigen müssen, um nicht ausgeschlossen zu werden. Bei Lindemann zielt die Cancel Culture auf den Ausschluss aus Konzertstadien und Konzerthallen. Bei Götz Kubitschek geht es um die Verbannung aus Vortragssälen und vielleicht auch von öffentlichen Demonstrationen. Wir wissen, dass Ereignisse in Stadien und Sälen schnell in die Leitmedien schwappen können. Insofern ist es aus Sicht eines politischen Systems, das auf Propaganda und damit immer auf Zensur setzt, wichtig, die Öffentlichkeitsebenen unterhalb der Leitmedien zu kontrollieren.
Welche Rolle spielt dabei das Bundespresse- und Informationsamt?
Das ist eine PR- oder Propagandaabteilung, die sich die Bundesregierung leistet. Ausgestattet mit 500 Planstellen, die Narrative verbreiten, welche die Regierung in ein gutes Licht rücken und dafür sorgen, dass konkurrierende Sichtweisen delegitimiert werden. Man kann das beobachten, wenn Pressekonferenzen mit Bundeskanzler, mit Bundesministern stattfinden. Das sind alles die Dinge, die vorbereitet werden von dieser Behörde. Man kennt die drei Pressesprecher der Bundesregierung: Steffen Hebestreit, Wolfgang Büchner, Christiane Hoffmann (Hebestreit vertritt die SPD, Büchner die FDP, Hoffmann die Grünen, Anm. d. Redaktion). Dieses Trio legitimiert, verteidigt, erklärt Regierungspolitik und kann dabei auf einen riesigen Apparat bauen.
Der Korridor des Sagbaren wird immer enger. Ein falsches Wort oder eine abweichende Meinung genügen – schon steht man auf der Abschussliste der Tugendwächter. In der FREILICH-Ausgabe Nr. 21 zeigen wir, wie die „Cancel Culture“ unseren Alltag beeinflusst und die Freiheit bedroht.
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Was würden Sie einer AfD-geführten Bundesregierung raten? Das Bundespresse- und Informationsamt weiterführen oder abschaffen?
Das ist eine schwere Frage. Natürlich hat jede Regierung das Recht und wahrscheinlich auch die Pflicht, ihre Politik zu erklären, sich zu rechtfertigen, auf Kritik zu reagieren. Das ist ja das, was zum Beispiel auf der Bundespressekonferenz passiert. Die Frage ist immer, wie viele Steuermittel wenden wir dafür auf, um die Politik der Regierung zu rechtfertigen. Ich glaube, es gibt auch keinen Maßstab, ab welcher Stelle das dysfunktional ist und in Manipulation überschwappt. Ab wann es nicht mehr vom Informationsauftrag einer jeden Regierung gedeckt ist.
Der Journalist braucht ja eine Stelle, wo er nachfragen kann, wo er auch Gesprächspartner bekommt. Auch eine AfD-geführte Regierung wird nicht auskommen ohne einen solchen Propagandaapparat oder PR-Apparat. Die Größe ist hier die Frage. Jenseits des Bundespresseamts hat jedes Bundesministerium eine Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Jede Partei hat das. Selbst die Spitzenpolitiker haben eigene Leute, die sich um das öffentliche Erscheinungsbild dieses Politikers kümmern.
Jenseits dieser offensichtlichen Apparate wird in das öffentliche Erscheinungsbild investiert über Wissenschaftsförderung, wo bestimmte Begriffe produziert werden. Wo auch Anlässe geschaffen werden, über die dann wieder berichtet werden kann. Wo Beauftragte installiert werden, damit sie sich in der Öffentlichkeit im Sinne des Geldgebers äußern, zum Beispiel über Nicht-Regierungsorganisationen, die aus Steuermitteln Regierungsnarrative bis in die kleinste Hütte tragen.
An welchen Ansprechpartner würden Sie sich denn wenden, wenn Sie ein Statement von der AfD brauchen?
Ich habe mich mit der AfD nicht so intensiv beschäftigt. Daher kenne ich das Personal und auch die Strukturen nicht so genau. Ich glaube aber, dass es im Parteiensystem selbst angelegt ist, dass immer wieder die gleichen Strukturen entstehen. Parteien müssen um Wählergunst kämpfen. Sie müssen auch zwischen Wahlen das legitimieren, was sie tun. Also wäre meine Vermutung – Schrägstrich Befürchtung –, dass wir da nichts anderes erleben werden als das, was wir bei den anderen Parteien gesehen haben.
Sie beschreiben die Mechanik der Cancel Culture folgendermaßen: Erst kommt ein kritischer Tweet über eine Person, dann greift ein Journalist zum Telefonhörer und erreicht eine Distanzierung von der kritisierten Person, dann schreibt der Journalist einen Artikel, dann wird der Artikel auf Wikipedia erwähnt. Als letztes folgt dann der soziale Tod. In welchem Schritt dieser Mechanik befinden Sie sich gerade?
Sozialer Tod klingt irgendwie hart. Das heißt ja, dass man keinerlei Gestaltungsmöglichkeiten mehr hat, weil es keinerlei Kontakte mehr gibt. Ich bin allerdings schon ausgeschlossen worden aus der Wissenschaftsgemeinschaft. Der Gemeinschaft, in der ich ein Vierteljahrhundert lang meine Forschungsergebnisse problemlos kommunizieren konnte, auch wenn sie dem herrschenden Wissenschaftsbetrieb zuwiderlaufen. Hier konnte ich Sachen bewegen, indem ich Fachgruppen gegründet habe, Kommunikationsnetzwerke gegründet habe. Diese Möglichkeit ist weg.
Wie haben Sie es dann geschafft, Ihr Buch Die Propaganda-Matrix in die Spiegel-Bestsellerliste zu bekommen?
Das ist weniger mein Verdienst. Zum einen hat der Verlag Rubikon ein geniales Vermarktungssystem, in dem Vorbestellungen in so großer Anzahl organisiert werden, dass die Verkaufszahlen in der ersten Woche groß genug sind, um in die Bestsellerlisten zu kommen. Dazu kam, dass ich bei Erscheinen des Buches gerade eine Attacke vom Bayerischen Rundfunk erlebt habe, wo der Bayerische Rundfunk eine Vorlesungsfolie von mir verwendet hat. Ich konnte einen offenen Brief an die Intendantin schreiben, der genug Wirbel gemacht hat, um Menschen auf mein Buch aufmerksam zu machen, die es dann gekauft haben.
Herr Professor Meyen, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Michael Meyen ist ein deutscher Kommunikationswissenschaftler. Als Volontär und Student der Journalistik sammelte er in der DDR erste Erfahrungen mit den Leitmedien. Nach längerer Tätigkeit als Hörfunk- und Tagespressejournalist wurde er 2002 an die LMU München berufen. Meyen leitet mit seiner Frau Antje die Freie Akademie für Medien & Journalismus. Er ist Autor mehrerer Sachbücher.
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