Nach Debatte um kontroversen Film: ORF-Radiosender blockiert Kritiker
In der Debatte um den neuen Netflix-Film „Cuties“/“Mignonnes“ gehen die Wogen hoch – am Wochenende gipfelte dies in einer großen Twitter-Blockaktion des öffentlich-rechtlichen Radiosenders FM4.
Wien. – Seit Wochen spitzt sich die Kontroverse um den Film einer aus dem Senegal stammenden Regie-Debütantin zu. Hintergrund ist, dass das Machwerk – das laut der Schöpferin eigentlich Sexualisierung von Kindern und Jugendlichen kritisiert – an mehreren Stellen vor-pubertäre Mädchen in aufreizenden Outfits und Posen zeigt. Schon das ursprüngliche Netflix-Poster zeigte ein Abbild einer der umstrittensten Szenen – und sorgte für einen „Shitstorm“ gegen die wichtigste Film-Streaming-Plattform.
Hitzige Debatte
Daraufhin ruderte Netflix zurück, entschuldigte sich für das Sujet und bat Seher, dem preisgekrönten Film bei der offiziellen Premiere am 9. September eine Chance zu geben. Damit war die neuerliche Empörung allerdings nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Während Filmkritiker auf beiden Seiten vor allem die sozialkritische und emanzipatorische Haltung des Films sowie Charakterentwicklung hervorhoben und diesen insgesamt über den grünen Klee lobten, fiel er dann aber beim Publikum durch.
Zum Start der zweiten Filmwoche steht der Film auf der Bewertungs-Website Rotten Tomatoes bei den Kritikern bei 87 Prozent – und bei der Zielgruppe bei mauen drei Prozent. Diese Kluft befeuert zusätzlich die Aufregung, unter der Personen quer durch das Spektrum unter dem Hashtag #CancelNetflix mobil gegen Film und Plattform machen. Eine häufige Kritik: Unabhängig von seinen Absichten normalisiere der Film pädophile Darstellungen.
FM4 verteidigt „Cuties“
Am Freitag widmete sich dann FM4, ein an jugendliches Publikum gerichteter ORF-Radiosender dieser Kontroverse. Die Moderatorin Natalie Brunner ergriff Partei für den Film und befand: „Darstellung ist nicht gleichzusetzen mit Billigung. Kunst sollte in der Lage sein, Tabus anzusprechen, ohne notwendigerweise für sie einzutreten.“ Der Debütfilm von Maïmouna Doucouré treffe „global den wunden Punkt“. Der Vorwurf der Sexualisierung von Kindern käme vor allem „von rechtskonservativen Trollen […] die den Film ganz offensichtlich weder gesehen noch die Inhaltsangabe gelesen haben.“
Nachdem der Sender den Artikel auf Twitter auch noch mit letzterem Argument bewarb, brachen alle Dämme, von allen Seiten hagelte Kritik ein. So wollten sich etwa nicht-rechte Gegner des Films nicht in eine politische Schublade stecken lassen. Andere Nutzer verwiesen auf kontroverse Stellen und verrissen den Film in den Kommentatoren. FM4 ließ dies nicht auf sich sitzen, sah sich am längeren Hebel – und blockierte kurzerhand eine Unzahl von Twitter-Usern.
#blockedbyradiofm4
Eine Vielzahl wunderte sich im weiteren Verlauf der Debatte dann, weshalb auch sie vom Sender auf die Blockliste gesetzt wurden. Einige verwiesen darauf, noch nie mit dem Sender interagiert oder gar diesen zuvor nicht gekannt zu haben. Wieder weitere hatten kein Verständnis für die dünne Haut des Senders, auf Kritik gleich mit der Blockier-Funktion zu antworten. Die so behandelten Nutzer begannen, sich unter dem Hashtag #blockedbyradiofm4 zu sammeln.
Bis zum Sonntagabend waren es dermaßen viele, dass dieser dann im deutschsprachigen Raum in den Top 5-Trends auftauchte. Als der Sender dann Wind vom schieren Sturm der Entrüstung über sein Social-Media-Verhalten erfuhr, gab er sich gleichgültig. Unter Verwendung des viralen Hashtags tat man dies offen kund, löste damit die nächste Diskussion aus – und blockierte freilich weiter munter.
Brisant an der Massen-Blockade ist dabei aber nicht nur, dass es sich um einen meinungsbildenden Akteur handelt, der sich derart verhält. Sondern auch der Umstand, dass es sich bei FM4 um ein von jedem Besitzer eines Empfangsgerätes – bei Radio zählen darunter auch Mobiltelefone – verpflichtend mit monatlichen Nutzungsgebühren finanziertes öffentlich-rechtliches Angebot handelt. Deshalb wurden Tag24 zufolge auch Stimmen laut, die eine Befreiung der Blockierten von dieser Gebühr forderten.