Patrioten als Ungeziefer: Die völlige Enthemmung ist da
Mit einer mehr als fragwürdigen Karikatur machten die OÖNachrichten von sich reden. Was weitestgehend ausbleibt, ist unterdessen der bundesweite Aufschrei darüber.
Kommentar von Julian Schernthaner
Was haben wir nicht alles für Vergleiche gelesen wegen eines vergleichsweise harmlosen ‚Rattengedichts‘! Die Kombination aus Freiheitlichen, Braunau und dem Fall des diesjährigen Osterdatums war ein Stoff, aus dem die Träume linker Berufsempörter gemacht waren. Seine Partei ließ ungeachtet des inszenierten Skandals den Verursacher über die Klinge springen, der Landeshauptmann bezeichnete es als „widerlich“ und der Bundespräsident zitierte den damaligen blauen Parteichef zu sich. Zweieinhalb Monate später bleiben all diese Empörungswellen aus.
Mit Giftgas gegen patriotisches ‚Ungeziefer‘
Freilich, würde man nur die Logik einer inhaltlichen Skandalisierung bedienen, müsste nach der jüngsten Karikatur in Österreich der Notstand ausbrechen. Denn auf die Idee, in einem Bundesland, in dem die Konzentrationslager Mauthausen und Gusen standen, andersdenkende Menschen als mit Giftgas zu bekämpfendes Ungeziefer darzustellen, kam vor dieser Woche einfach niemand. Dieser Konsens war in Oberösterreich so sicher wie das Powidl in der Pofesen: Unausgesprochen einfach da.
Aber dann kam eine patriotische Bewegung, die im Hickhack um den mit Unwahrheiten angefütterten medialen Verriss um ihr Zentrum auf Mietbasis umfiel. Sie sammelte diese Steine im Weg auf und kündigte an, sich federführend am Aufbau eines „unabhängigen patriotischen Zentrums“ zu verdingen. Und obwohl ihr Auftreten friedlich und ihre Akteure unbescholten sind – für Landeshauptmann Stelzer (ÖVP) sind sie, im Gegensatz zu Muezzinrufen in der Adventszeit, „in einem weltoffenen Land wie Oberösterreich nicht willkommen“ – Die Tagesstimme berichtete.
Mit Kanonen auf identitäre Spatzen schießen
Und natürlich, die Einberufung des Landessicherheitsrats macht dem neutralen Beobachter den Eindruck, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Immerhin handelt es sich um eine völlig legale Gruppe, welche von ihren seit jedenfalls 1867 verbrieften Grundrechten des Eigentumserwerbs und Versammlungsfreiheit Gebrauch machen möchte. Eine Gruppe, deren Leitfiguren vor wenigen Monaten zum Vorwurf der ‚kriminellen Vereinigung‘ und der Verhetzung rechtskräftig freigesprochen wurden.
So gesehen spricht die Karikatur vielleicht unabsichtlich genau das aus, was gerade geschieht. Denn natürlich ist es in Österreich jedem türkischen Kulturverein, jeder linksautonomen Gruppierung und jeder Kegelrunde völlig unbenommen, sich eigene Freiräume und Strukturen zu schaffen. Nur bei Identitären ist die Vernichtungsfantasie oft näher als die Liebe zu Namensbestandteilen der eigenen Partei – ob diese nun „Freiheit“, „Volk“ oder „sozial“ sein mögen. Das passt nicht ins Bild, das kann weg – und so findet sich schnell ein „oberösterreichischer Schulterschluss“.
Der große Aufschrei bleibt aus
Das publizierende Blatt stahl sich nach einigem Gegenwind in sozialen Medien durch eine Entschuldigung aus der Affäre. Dem Zeichner wurde erklärt, „was Karikatur darf“. Ein Klaps auf die Finger und alles bleibt beim Alten. Keine Konsequenzen, kein medialer Shitstorm, kein Statement des Landesvaters oder Staatsoberhaupts. Jo mei, basst scho, war halt ein schlechter Witz. Einzig die Salzburger FPÖ-Chefin Marlene Svazek kritisierte unter den Spitzenpolitikern aller Parlamentsparteien zeitnah die Grafik scharf.
Ihr oberösterreichischer Gegenpart Manfred Haimbuchner wiederum trägt zwar an vorderster Front sämtliche Maßnahmen gegen die Identitären mit. Zur Karikatur schweigt er aber eisern. Ob das diese Werte und die Souveranität der Heimat sind, für deren Verteidigung er noch in der Vorwoche in einem Facebook-Post in gar nicht so ‚un-identitärem‘ Wording warb? Nachdem er noch vor drei Monaten vor einem „Gesinnungsfanatismus gegenüber allem, was nicht links ist” warnte?
Entmenschlichung kann Gewalt befördern
Es ist unterdessen nicht das erste Mal, dass im Umgang mit den Identitären eine mitunter entmenschlichende (Bild-)sprache salonfähig wird. So sprach man so bereits von einer „faulen Note“ und von „Einnistung“. Alles, wo sie auftauchen, ist selbstredend „verseucht“. Was also nun, wenn jemand in nächster Konsequenz die Karikatur zur Deutung nähme, dass auch die gedachte industrielle Tötung von Identitären gesellschaftlich akzeptabel sei?
Wäre die Folge möglicherweise, dass der nächste Stein von einem Hausdach auf eine identitäre Demo einen Aktivisten unglücklicher am Kopf trifft? Dass das nächste Mal nicht mit Holzlatten, sondern Eisenstangen auf dieses ‚Ungeziefer‘ eingedroschen wird? Schon heute wird über ausufernde Gewalt auf Patrioten in vielen Medien nur als Randnotiz berichtet. Wenn doch, müssen es dafür schon einmal 120 „linke Aktivisten“ mit Baseballschlägern sein. Auch bei linksextremen Angriffen mit Ketten kritisiert man lieber den Polizeieinsatz.
Die vielbeschworene „Abrüstung der Worte“
In Deutschland entzündet sich derzeit anlässlich eines Politikermordes eine Debatte über „Sprache, die enthemmt und zu Gewalt führt“. Gleichzeitig überbieten sich Akteure zu beiden Seiten des Inns mit jenseitigen Formulierungen, um Patrioten auszugrenzen. Was ausbleibt, sind hier aber altkluge Bismarck-Zitate, dass es „keine Handlung, für die niemand verantwortlich“ wäre, gäbe. Dabei täte gerade im vorliegenden Fall die vielbeschworene „Abrüstung der Worte“ wohl.
Friedliche Patrioten sind nämlich kein mit Giftgas zu bekämpfendes Ungeziefer, sondern gehören zum demokratischen Diskurs in einem „weltoffenen Land“ selbstverständlich dazu. Wenn sie keine Gesetze brechen, braucht es auch keine neuen Vorschriften, um sie nachträglich in die Illegalität zu treiben. Und ihnen die Grundrechte über juristische Winkelzüge absprechen zu wollen, kann man tatsächlich „widerlich finden, egal wie alt man ist“.
Weiterlesen:
Identitäre als Ungeziefer: Kritik an umstrittener OÖN‐Karikatur (2.7.2019)
„Nicht willkommen”: Stelzer will patriotisches Zentrum in Linz verhindern (28.6.2019)
Entmenschlichung: Wachsende Verrohung der Sprache gegen Patrioten (Kolumne, 3.4.2018)