Pro & Contra „Cancel Culture“: Gegen rechte Wokeness

Die „Cancel Culture“ greift um sich. Soll auch die politische Rechte „canceln“? Marvin T. Neumann meint, es brauche Zensur und Verbote, um sich gegen linke „Wokeness“ zu wehren und die Gesellschaft zu formen. Elmar Podgorschek spricht sich indessen gegen eine rechte „Wokeness“ aus.

Kommentar von
24.2.2024
/
6 Minuten Lesezeit
Pro & Contra „Cancel Culture“: Gegen rechte Wokeness

Cancel Culture. (Symbolbild)

© IMAGO / Zoonar

Seit der Mensch ein Kulturwesen ist, gibt es immer wieder in der Geschichte Meinungsverschiedenheiten darüber, wie die jeweilige Gesellschaft geändert und die Zukunft des Zusammenlebens besser gestaltet werden kann. Dies führt logischerweise sukzessive zu stetig steigender Bevormundung seitens der jeweils herrschenden Gruppe innerhalb eines Stammes, Volkes, einer Region oder eines Staates.

Es gibt seit jeher zwei grundsätzliche Denkschulen, die sich im Laufe der Menschheitsgeschichte diametral gegenüberstehen. Auf der einen Seite steht die Philosophie, die von der Natur des Menschen ausgeht und deshalb auch sämtliche Unterschiede akzeptiert – mit all seinen Schwächen und Stärken. Sie sieht den Menschen so wie er ist, nicht wie er sein sollte und will ihn deshalb auch nicht ändern. Daraus folgt, dass man die natürliche Ungleichheit anerkennt, jedoch die unterschiedlichen Nationen und Kulturen achtet. Auf der anderen Seite stehen Ideologien, die den Menschen bevormunden möchten und ihm den sprichwörtlichen Himmel auf Erden versprechen, Gott spielen und den Menschen und die Gesellschaft verändern wollen. Dieser bipolare Kampf sowohl um die Deutungshoheit als auch um die Beeinflussung der Gesellschaft beschäftigt sämtliche Generationen in ihrer jeweiligen Epoche.

Bereits in der Antike hat Platon über einen vollkommenen Staat philosophiert und wollte die griechische Gesellschaft in seinem Sinn verändern. Der russische Mathematiker Igor Schafarewitsch, ein Zeitgenosse von Alexander Solschenizyn, zeigte in seinem Buch Der Todestrieb in der Geschichte diese Entwicklungen sehr genau auf und hat deutlich gemacht, wie alle Bestrebungen, den Menschen nach ihrer Ideologie zu formen, stets zu Massenmorden führten. Der frei denkende Mensch hielt sich jedoch nicht immer an die herrschende Ideologie und wollte sein Leben selbst gestalten. Dies führte stets zu Ausgrenzungen und in Folge zu Massenvernichtungen Andersdenkender. Gerade das 20. Jahrhundert ist dafür beispielgebend und in unserer kollektiven Erinnerung noch deutlich spürbar. Mit den Folgen dieses Jahrhunderts, geprägt von zwei Welt- und unzähligen weiteren Kriegen, werden wir noch über Generationen leben müssen. Die Denkart des Paternalismus ist im Laufe der Menschheitsgeschichte unter verschiedenen Namen oder Auspizien aufgetreten, hat jedoch einen gemeinsamen Nenner: dem Menschen das Paradies auf Erden zu versprechen. Ob man diese Ideologie Sozialismus, Kommunismus, Nationalsozialismus, Jakobinismus oder auch Faschismus nennt, ist daher unerheblich und ist auch in kein Links-Rechts-Schema zu pressen. Es geht immer nur um die Bevormundung des Menschen, weil diese zeitgeistigen Jakobiner glauben, dass der Mensch geführt werden soll und in Folge nicht imstande sei, seine Zukunft selbst zu gestalten. Geeignete Themen zur Entmündigung lassen sich in jeder Epoche finden. Einmal stehen die soziale Gerechtigkeit und der Kampf gegen den Kapitalismus, das andere Mal die Rettung des Klimas oder die Gleichstellung und die Diversität der Geschlechter oder der Kolonialismus, der Rassismus und in der Folge die Schuldigsprechung der alten weißen Männer für alle Ungerechtigkeiten auf der Welt im Vordergrund.

Ein Hindernis auf dem Weg zur Durchsetzung dieser Denkweise der Bevormundung sind vor allem die Familie als Hort der sozialen Geborgenheit und das Privateigentum, weil dieses vor der Einschränkung der Freiheit des Einzelnen schützen kann. In ihrem Bestreben um Vorherrschaft sind die Familien oder Familienverbände und auch Nationen hinderlich. Diese Keimzellen der Gesellschaft sind ein Garant gegen die ständige Beeinflussung und Indoktrinierung und sind schwer einer Kontrolle zu unterziehen. Der Kampf gegen Familie und Eigentum ist aus diesem Grund der gemeinsame rote Faden bzw. der gemeinsame Nenner, unabhängig von den gesteckten Zielen der jeweils vorherrschenden Ideologie. Deshalb ist die Vernichtung dieser Grundfesten entscheidend, um ihre jeweiligen Vorhaben durchsetzen zu können. Ein wesentliches Kampfmittel um die kulturelle Vorherrschaft ist vor allem die Deutungshoheit der Sprache und einzelner Wörter, weil dadurch der Mensch unbewusst das Denkmuster dieser meist linken Jakobiner übernimmt. Gegenwärtig sind wir wieder in einer Phase der Interpretationshoheit. Alles, was vermeintlich konservativ ist, auf Freiheit, Recht und Ordnung aufgebaut ist und ein herkömmliches Familienbild pflegt, wird gegenwärtig mit sämtlichen gebotenen Mitteln bekämpft. Das reicht von der Zerstörung unseres Kulturgutes Sprache bis zur Umbenennung von Straßen und dem Abriss von Denkmälern. Das führt so weit, dass teilweise auch Gesetze der Biologie und anderer naturwissenschaftlicher Bereiche außer Kraft gesetzt werden. Zusätzlich führt man einen Kampf um die Frühsexualisierung der Kinder und die Hinterfragung des eigenen Geschlechtes, um den Menschen noch mehr zu entwurzeln. Leider haben sich die christlichen Kirchen, die eigentlich die Speerspitze des Widerstandes gegen dieser Entwicklung sein sollten, damit nicht nur arrangiert, sondern sind mittlerweile begeisterte Erfüllungsgehilfen dieses unsäglichen Zeitgeistes.


Der Korridor des Sagbaren wird immer enger. Ein falsches Wort oder eine abweichende Meinung genügen – schon steht man auf der Abschussliste der Tugendwächter. In der FREILICH-Ausgabe Nr. 21 zeigen wir, wie die „Cancel Culture“ unseren Alltag beeinflusst und die Freiheit bedroht.

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Zur Zeit sind wir in einer Phase, bei der die Hegemonie der globalen Jakobiner rasant fortschreitet. Ein freiheitlich, patriotisch gesinnter Mensch kann diesem Treiben teilweise nur mehr schwer folgen. Waren in meiner Kindheit noch Begriffe wie „Neger“, „Cowboy“ oder „Indianer“ und das „Zigeunerschnitzel“ eine Selbstverständlichkeit, so überschlagen sich die Sprechverbote beinah stündlich. Die Verdrehungen der Geschlechter je nach Tageslaune und das Verkleiden des Mannes als Frau sind laut Mainstreammedien gegenwärtig positiv zu bewerten und werden als gesellschaftlicher Fortschritt betrachtet. Die Verurteilung der Verschleierung der muslimischen Frauen als Zeichen von deren Unterdrückung wird wiederum als rassistisch eingestuft. Die Political Correctness und der Wokeismus haben dermaßen perverse Auswüchse angenommen, dass diese nur mehr mit einer Untergangskultur analog zur Entwicklung des Römischen Reiches verglichen werden kann. Unsere Demokratie, und damit die Herrschaft des Volkes, sind in der heutigen repräsentativen Demokratie genau betrachtet nur mehr leere Worthülsen. Eine Diskussionskultur auf Augenhöhe ist kaum mehr möglich, außer man heult mit den Wölfen, hat ein biegsames Rückgrat und dient sich der woken Blase an. Anstatt eine vernünftige politische Debatte zu führen, werden Andersdenkende als Rassisten, Nazis, Schwurbler etc. bezeichnet. Das aufzunehmen, was der andere sagen oder denken könnte, spielt schon lange keine Rolle mehr. Es wird nur mehr bewertet und verurteilt.

Dass sich gerade in der Gegenwart derartige negative Entwicklungen abzeichnen, ist auch darauf zurückzuführen, dass wir derzeit eine derart so schlechte Auslese an Politikern an den Schalthebeln stehen haben, wie noch nie im Laufe der letzten Jahrhunderte. Schul- und Studienabbrecher, die noch nie in ihrem Leben ihren Unterhalt selbst verdienen mussten, sind die neuen Eliten unserer Zeit. Weder Geschichts- noch geopolitische Bildung spielen heute in der Qualifikation der politischen Führungsebene eine Rolle. Zum Beispiel wäre unter einem sozialdemokratischen Kanzler wie Helmut Schmidt, hoch gebildet und Offizier im Zweiten Weltkrieg, der Großteil des politischen Personals gar nicht auf die Entscheidungsebene gekommen. Andererseits wurde und wird die führende Weltmacht USA heute von einem verhaltensauffälligen Mann regiert, der dieser fatalen Entwicklung kaum Paroli bieten kann, sondern als verlängerter Arm dieser Infantilisierung unserer Gesellschaft zu betrachten ist. Die Personen, die hinter ihm das Sagen haben, verfolgen jedoch vermutlich eine ganz klare Agenda.

Es stellt sich nunmehr die Frage wie man dieser für die Menschheit schlimmen Entwicklung entgegentreten kann. Jede Epoche, und wenn die Machtverhältnisse noch so gefestigt sind, wird überwunden werden und einmal ein Ende finden. Die Nachfolger der jetzigen „Eliten“ werden im Anschluss alle negativen, aktuellen Auswüchse wieder korrigieren und die Verhältnisse ins Lot bringen müssen. Man darf jedoch nicht in die Falle tappen und folglich das jeweils genaue Gegenteil der heutigen Verrücktheiten als die alleinige Wahrheit hinstellen. Das würde, um das Links-Rechts-Schema zu beanspruchen, eine Wokeness von rechts bedeuten. Auch eine Gegenrevolution wird früher oder später ihre Kinder wieder fressen. Die Französische Revolution oder auch unsere von 1848 geben ein trauriges Beispiel hierfür. Es wird sich an der Entwicklung der Gesellschaft nichts ändern, egal ob man die Straßennamen der Vertreter unsäglicher Epochen ändert oder deren geistige und bauliche Denkmäler zum Einsturz bringt. Die Weiterentwicklung der Menschheit schreitet, ob man es will oder nicht, unablässig fort. Am Schwarzenbergplatz in Wien steht zum Beispiel das Denkmal des russischen Soldaten anlässlich der Befreiung vom faschistischen Joch. Haben die Nachkriegs- und Vertreter der Erlebnisgeneration nach 1955 vehement den Abriss dieses Denkmals gefordert, sind es jetzt eher linke Kreise, die verschämt den russischen Soldaten entfernen wollen, weil dieser jetzt für den Imperialismus Putins steht. Der jeweilige Standort zur entscheidenden Zeit bestimmt daher den Standpunkt.

Wie hat bereits der römische Schriftsteller Aulus Gellius gesagt? „Die Wahrheit (ist) eine Tochter der Zeit.“ Jedes Denkmal ist, nach einer längeren Phase betrachtet, ein Mahnmal der Geschichte und nur intolerante, jakobinisch geprägte Menschen verlangen deren Entfernung. Leider hat der Mensch noch nie aus Vorgängen der Geschichte gelernt und wiederholt immer wieder die gleichen Fehler. Die aktuellen Ereignisse um den alles dominierenden Krieg in der Ukraine verdeutlichen das im Besonderen. Auch das Verbieten und Verbrennen von Büchern hat die Menschen noch niemals gehindert, sich zu informieren oder weiterzubilden. Es ist sogar schon fast lachhaft, wie sich sogenannte Faktenchecker bemühen, das Internet zu kontrollieren. Selbst in den schlimmsten Diktaturen der Menschheitsgeschichte konnte niemand auf Dauer die Informationen unterdrücken. Die subjektive, aber auch objektive Wahrheit wird wie das Wasser seinen Weg finden.

Das Fazit der jüngsten Entwicklungen: Die aktuellen zum Teil gegen jeden Hausverstand und jede Natur gerichteten Lehrmeinungen sind aufgeblasen wie ein Luftballon, der früher oder später platzen wird. Als freiheitlich und patriotisch gesinnter Mensch kann man sich nur wundern und hat sich in seinem persönlichen Verhalten und in seinem Umfeld dagegen selbstverständlich zu wehren. Ein nachhaltiger Kampf gegen die Verrücktheiten ist einer gegen Windmühlen und zumeist sinnlos. Verbote aller dieser Torheiten werden in Zukunft diese nur noch wichtiger machen und wahrscheinlich nachhaltig am Leben erhalten. Es ist viel wichtiger, im eigenen Kreis Vernunft zu wahren, die sich letztendlich durchsetzen wird und – um unseren Fortbestand zu sichern – muss.


Zur Person:

Elmar Podgorschek, Jahrgang 1958, saß für die FPÖ im Gemeinderat, im Bundesrat und im Nationalrat. Von 2015 bis 2019 war der dreifache Familienvater und stolze Großvater als Landesrat für Sicherheit Mitglied der oberösterreichischen Landesregierung.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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