Reisebericht: Ein chaotischer Flug und weiße Nächte in Riga

Der Autor und freie Journalist Jonathan Stumpf verbrachte den Jahreswechsel in geselliger Runde in Riga. Bei seiner Ausreise aus Deutschland hatte er allerdings mit Hindernissen zu kämpfen. Ein Bericht.

Kommentar von
28.1.2025
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3 Minuten Lesezeit
Reisebericht: Ein chaotischer Flug und weiße Nächte in Riga
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Im bayrischen Memmingen ist es arschkalt. Zumal in Memmingerberg, wo sich der Flughafen für Billigairlines befindet. Als sich mein Kumpel, nennen wir ihn Dagobert, beim Gate ausgerechnet neben eine automatische Schiebetür hockt, die ständig auf und zu geht, setze ich mich ein paar Reihen weiter und schlafe ein. Geweckt werde ich von einem Beamten der bayrischen Landespolizei. Nachdem er nach meinem Ausweis verlangt und einen Blick darauf geworfen hat, winkt er seinen Kollegen herbei. „Gibts ein Problem?“, frage ich. „Haben Sie mich kontrolliert, weil ich geschlafen habe?“ Die scheinheilige Antwort: „Nein, allgemeine Personenkontrolle. Ich wollte Sie nicht wecken.“ Die Frage, weshalb er mich dann an der Schulter gefasst und wachgerüttelt habe, verkneife ich mir. Die beiden Polizisten bitten mich, mit auf die Wache zu kommen. In diesem Moment tönt es bereits aus den Lautsprechern, der Flug nach Riga sei bereit fürs Boarding. „Reisen Sie alleine?“, fragt einer der Beamten. Zu Dagoberts Glück habe ich mich umgesetzt.

Neben den Kleidungsstücken in meinem Rucksack wird auch der Inhalt meines Geldbeutels genau unter die Lupe genommen. Besonderes Interesse gilt meinem Presseausweis. „Was ist der Grund Ihrer Reise?“ „Kennen Sie jemanden in Riga?“ Das sind die üblichen Fragen. Ich gelte wohl als eine Art Staatsfeind. Die Ironie: Es gibt wahrscheinlich nicht viele Menschen in der Bundesrepublik, die infolge permanenter Reflexion so fest auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen wie ich. Letzter Aufruf, das Gate schließt. Eine Beamtin verspricht mir, sie werde zum Gate gehen und dort Bescheid sagen, dass es nicht mehr lange dauern könne, bis geklärt sei, ob ich ausreisen dürfe. Am Ende darf ich immer ausreisen.

Vorwurfsvolle Blicke

Irgendwann eskortiert mich ein wortkarger Hüne von einem Beamten zum Gate. Dort stehen wir eine Viertelstunde wie bestellt und nicht abgeholt. Das Flugzeug parkt nur hundert Meter entfernt abflugbereit auf der Rollbahn. Ein pummeliger Flugbegleiter steht oben auf der Gangway und wird langsam nervös. Er winkt in unregelmäßigen Abständen. Und ich winke eifrig zurück. Dann sagt eine der Damen am Gate: „Okay, dann buche ich ihn jetzt aus.“ Just in diesem Moment eilt eine ihrer Kolleginnen die Treppe hinunter, fuchtelt mit den Armen und ruft: „Er darf fliegen.“ „Na also, ich darf fliegen.“, frohlocke ich und renne auf die Maschine zu, ohne erst eine Reaktion des phlegmatischen Beamten abzuwarten. Nachdem ich die Gangway hochgestolpert bin, klopfe ich dem irischen Flugbegleiter freundlich auf die Schulter. Dessen rosafarbenes Gesicht wird kreidebleich und er macht einen großen Schritt rückwärts. Wahrscheinlich hält er mich für einen Schwerstkriminellen. Das tun vermutlich auch die Fluggäste, die mich vorwurfsvoll mustern. Immerhin müsste der Blechvogel längst in der Luft sein. Mit knapp zwanzig Minuten Verspätung heben wir schließlich ab.

Das Wetter ist in Riga noch schlechter als in Memmingen. Es ist nämlich ein paar Grad wärmer, sodass es nicht schneit, sondern regnet. Also rein in die erste Kneipe, nachdem wir uns eine fast dreistündige Stadtführung gegönnt haben. Als ich nach ein paar IPAs die Toilette aufsuchen muss, ruft jemand aus einer lustigen dreiköpfigen Runde mit unverkennbar bayrischem Dialekt: „Do issa, der Verbrecher! Homs di wieda raus lossen?“ Dagobert und ich freunden uns sofort mit dieser bierseligen Reisegruppe an und machen die Nacht zum Tag. Der Franzose sagt dazu: passer une nuit blanche. Umso dunkler ist meine Erinnerung an die folgenden Ereignisse jener „weißen Nacht“, weshalb ich sie in dieser Schilderung übergehe.

Ein Abend im „Funny Fox“

In der Silvesternacht treffen wir, wie bereits am Abend zuvor, ein weiteres Mal auf die bayrische Reisegruppe. Allerdings trennen sich unsere Wege in dieser Nacht vorzeitig, weil es mich in eine ganz bestimmte Bar zieht. Im „Funny Fox“, einer Karaoke-Bar, ist nämlich Rambazamba. Es sind immer die gleichen Lieder, die man an diesen Orten zu hören bekommt. Jemand singt: „It’s the same old theme since 1916. In your head, In your head they’re still fighting“ usw. Dann kreischt die ganze Meute: „Zombie, zombie, zombie-ie-ie,“ Neben uns hocken fünf Schotten, davon drei im traditionellen Kilt. Einer macht Anstalten., den Kopf zwischen die Beine zu klemmen und streckt eine Hand nach dem versifften Fußboden aus. Irgendwann realisieren wir, dass dort sein Handy liegt und er versucht, es aufzuheben. Kurze Zeit später müssen die wackeren Schotten das Lokal verlassen, weil jenes Sorgenkind das Klo nicht gefunden, sein praktisches Beinkleid etwas angehoben und an die Fassade der Bar uriniert hat. Eingenommen werden ihre Plätze von vier Bundeswehrsoldaten der Brigade Litauen. Auf diese wiederum folgen ein paar trinkfeste Schweden.

Bei der Wiedereinreise erfahre ich erneut eine Sonderbehandlung. „Haben Sie etwas dabei, was Sie nicht dabeihaben sollten?“, fragt eine der beiden Beamtinnen, während sie sich daran macht, meinen Rucksack zu öffnen. Statt zu sagen: „Sie meinen abgesehen von den beiden Handgranaten, die in die Luft fliegen, wenn man den Reißverschluss auf der falschen Seite öffnet?“, sage ich bloß: „Nein.“ Außer Dreckwäsche, Zahnbürste, Duschgel, Deo, einem Rasierapparat und zwei Büchern, darunter Arthur Koestlers Autobiografie, habe ich nichts dabei.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Jonathan Stumpf

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