Türkise Republik: Mal kurz Land verschachern, mal kurz Ostern verbieten

Die letzten Tage boten jede Menge an Neuigkeiten, anhand derer man sich über die Gestalten in unserer Regierung gehörig aufregen könnte. Sucht man nach einem roten Faden, findet man ihn irgendwo beim vermeintlichen „neuen Stil“ der Türkisen. Dieser ist nämlich vor allem eines: Ein Offenbarungseid, wie wenig gewisse Akteure die Spielregeln einer demokratischen Gesellschaft schätzen.
Julian Schernthaner
Kommentar von
29.3.2021
/
4 Minuten Lesezeit
Türkise Republik: Mal kurz Land verschachern, mal kurz Ostern verbieten

Bild (Kurz 2017, noch als Außenminister): Raul Mee (EU2017EE) via Flickr [CC BY 2.0] (Bild zugeschnitten)

Die letzten Tage boten jede Menge an Neuigkeiten, anhand derer man sich über die Gestalten in unserer Regierung gehörig aufregen könnte. Sucht man nach einem roten Faden, findet man ihn irgendwo beim vermeintlichen „neuen Stil“ der Türkisen. Dieser ist nämlich vor allem eines: Ein Offenbarungseid, wie wenig gewisse Akteure die Spielregeln einer demokratischen Gesellschaft schätzen.

Kommentar von Julian Schernthaner

Stellen Sie sich vor, Sie kommen aus einer Partei, an der aufgrund ihrer mittigen Positionierung seit über 30 Jahren bei Koalitionsverhandlungen kein Weg vorbei führt. Man preist Sie als großes politisches Talent an. Sie nutzen die Gelegenheit und tun so, als hätten Sie alleine eine Asylroute geschlossen. Das gefällt dem Volk und während Sie sich an die Parteispitze putschen, gewinnen Sie irgendwo den Glauben, Sie kämen mit allem davon, solange Sie dafür sorgen, dass die Züge pünktlich fahren.

Nicht nur aktuelle Symptome sind gefährlich…

Irgendwelche Berührungspunkte zu realen Personen sind natürlich völlig zufällig, wie sich Politologen und Historiker gleichermaßen einig sein werden. Und trotzdem dürften sich viele bei diesem fiktiven Charakter an den Aufstieg und das politische Gebaren von Sebastian Kurz und seiner „Message Control“ erinnert fühlen. Unvergessen ist immerhin die Ehrlichkeit aus dem Vorjahr, dass all die fragwürdigen Corona-Maßnahmen längst aufgehoben seien, wenn das Verfassungsgericht sie kassiert.

Und entsprechend wollte ich eigentlich darüber schreiben, dass eine Partei, die sich als konservativ gibt, in unserem Land mit absurden Kontaktbeschränkung de facto das Osterfest verbieten lässt. Aber das tut sie ja nicht alleine, denn für all die Kurzens und Edtstadlers, die uns daheim einsperren wollen, gibt es mit Anschober einen Grünen, dem die Türkisen den pechschwarzen Peter zuschieben können. Aber dann kam das Wochenende, welches das „System Kurz“ auf andere Weise entlarvte.

…sondern gerade der türkise „Staat im Staate“

Denn nun drangen erneut geheime Chatprotokolle aus der türkisen Führungsriege an die Öffentlichkeit. Sie zeigen, wie eine Partei den Staat und seine staatsnahen Betriebe als Verschiebebahnhof nutzt. Ein ÖVP-Mann aus türkisem Ressort, der sich mutmaßlich die eigene Stellenausschreibung für ein noch zu erschaffendes Staatsunternehmen zurechtlegt.

Ein Kanzler und sein unverblümelter Adlatus, die dabei offenbar völlig ungeniert mitspielen: Es ist ein ziemlich Sittenbild, auch wenn die Unschuldsvermutung gilt. Und auch, wenn einige Zitate des Begünstigten mehr die Qualität einer Slapstick-Einlage haben (von „Ich werfe mich in die Donau und du bist Schuld“ bis „Ich liebe meinen Kanzler!“), bleibt es ein zuhöchst verqueres Abbild einer Partei und ihres Dunstkreises, die sich einen Staat im Staate baut.

Und zwar eines, wegen dem in jedem normalen Land längst die Demonstranten auf der Straße ihren hehren Wunsch („Kurz muss weg!“) bekommen würden. Denn zwischen der Corona-Bilanz des Landes, den Ermittlungspannen vor dem Wien-Anschlag, dem Fiasko beim „Kaufhaus Österreich“ und dem mehrfachen Verdacht des Postenschachers gegen hochrangige Politiker gibt es eben eine unverkennbare Verbindung. Diese Unfähigkeit trägt auf ganzer Linie eine türkise Bluse.

Wenn’s brenzlig wird, soll Pressespiegel blenden

Aber weil die Partei eben immer recht hat, hält man sich auch einen Medienapparat, der regelmäßig zur Verteidigung der eigenen Leute ausrückt – Politiker sowie Günstlinge. Blätter, die schon mehrmals mit einer nicht unbedingt kanzlerfernen Linie auffielen, wetteifern um die übelsten Schmutzkübel. Ob das nun die Weitergabe von Blendgranaten ist oder eine offene Attacke auf die falsche Staatsanwaltschaft: Man könnte meinen, die üppigen Inseratengelder machen sich bezahlt.

Und so ist man fast ein bisserl gespannt, mit welchem Kniff der kurze Dienstweg zwischen Boulevard und Lichtenfelsgasse diesmal aufwarten kann. Durch totschweigen? Vielleicht durch neuere Ablenkung mit dem Impfstoff-Streit, bei dem schon einmal die Propaganda aus dem Kanzleramt ungefiltert in die Druckerwalzen geriet? Oder doch eine Abschiebung mit Hunden, wie beim letzten Mal, wo dann keiner mehr auf die brisanten Befragungen türkiser Leute in lästigen Untersuchungsausschüssen schaute?

Alternativloser Filz oder nur fehlender Anstand?

Die Volkspartei hat sich den Staat schon vor Jahren zur Beute gemacht. Galt jahrzehntelang der Proporz in allen Teilen des öffentlichen Lebens, färbten später nur mehr Rote, Blaue und Grüne die Posten des jeweils anderen um, während die ÖVP stets ihre Macht mehrte. Nur so ist es möglich, an jeder schiefen Optik weit genug vorbei zu tauchen, um sowohl völliges politische Pannen als auch den personellen Filz so gut verdecken zu können, dass sie das Volk immer noch für weitgehend vertrauenswürdig hält.

In einem normalen Land stiege jedenfalls längst der Rücktrittsdruck. Nur eine dahingehende Kultur ist bei den Türkisen nach dem Prinzip „scheiß‘ dir nix, dann fehlt dir nix“ ohnehin nicht vorhanden. Sie fuhrwerken einfach weiter, bei jeder anderen Partei wäre der Kanzler längst bei einer Pressekonferenz ausgetreten, um diese „widerlichen“ Machenschaften zu verdammen – und, falls es seinen Juniorpartner betrifft – mithilfe Messias-Narrativs und Opferrolle Neuwahlen auszurufen.

Wer Geduld beweist, könnte belohnt werden

Diese täten Österreich vermutlich ziemlich gut, und der einzige Grund, weshalb man damit noch warten sollte ist, um der Kurz-Partie noch etwas Zeit zur Selbstentlarvung zu geben. Ein paar gestrichene Feiertage und religiöse und familiäre Feste mehr, ein paar tausend insolvente Betriebe und ein paar hunderttausend Arbeitslose mehr: All das hilft dem Volk beim Erkennen, es sind nicht immer die anderen die Bremser, sondern die Türkisen jene, die Machterhalt zuoberst stellen.

Ein paar Monate hülfen auch den langsamen Mühlen der Justiz, ein paar korrupte Machenschaften bis in irgendwelche türkisen Kleingartenvereine hinein aufdecken zu können. Vielleicht noch ein paar halbschwindlige Masken-Deals im eigenen Dunstkreis, ein paar gefällige SMS zu viel – irgendwann hilft auch die größte Propaganda-Maschinerie nichts mehr.

Noch denken die uns regierenden Gestalten nicht daran, abzudanken, egal wie tief, schwarz und unwegsam dieser Sumpf sein mag. Und noch grinst der Kanzler mit dem eigenen Zerrbild um die Wette. Aber irgendjemand wird sich finden, um auch ihn anzuzählen – und es wird noch in diesem Jahr sein. So zumindest die Hoffnung, mit der ich wohl nicht alleine bin.


Weiterlesen:

Dreiste Nummer: ÖVP missbraucht Staat als türkisen Verschiebebahnhof (22.12.2020)

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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