Wie konnte das passieren? Totalitäre Systeme passieren nicht!

Totale Systeme passieren nicht. Sondern? Menschen machen sie. Menschen aller Geschlechter, also Männer und Frauen. Menschen aller Rassen, also nicht nur Weiße. So banal das ist, für so erwähnenswert halte ich es. Warum? Weil es da eine Sache gibt, die mich mehr und mehr stutzig macht.
Géza Ákos Molnár
Kommentar von
14.7.2021
/
4 Minuten Lesezeit
Wie konnte das passieren? Totalitäre Systeme passieren nicht!

Symbolbild (Demonstration gegen das Zugriffserschwerungsgesetz, Berlin 2009): Zensursula via Flickr [CC BY 2.0]

Totale Systeme passieren nicht. Sondern? Menschen machen sie. Menschen aller Geschlechter, also Männer und Frauen. Menschen aller Rassen, also nicht nur Weiße. So banal das ist, für so erwähnenswert halte ich es. Warum? Weil es da eine Sache gibt, die mich mehr und mehr stutzig macht.

Jemand beschließt eine totalitäre Maßnahme. Seinen Namen erfahren wir aber nicht. Das war also nicht der Herr X oder die Frau Y. Es war immer „die Firma Z“ oder „der K – Konzern“.

Ich erzähle Ihnen ein aktuelles Beispiel:

Wer verbietet neuerdings das Wort „schwarzfahren“? Es sind die Münchner und Berliner Verkehrsbetriebe, die Österreichischen Bundesbahnen und die Wiener Linien. So steht es in jeder Zeitung.

Anonymisierung der Entscheidungen

Das ist mit ein Grund dafür, warum der Widerstand gegen solche Verfügungen gar nicht erst entsteht. Widerstand, Gegenargumentation, Kritik an Konzernen und Institutionen erscheint den meisten sinnlos zu sein. Sie prallten ja von den Objekten der Kritik, nämlich Institutionen, ab wie von einer Gummiwand. Kaum hörbar erzeugte sie nicht einmal eine Delle an der glänzenden Fassade der betreffenden Organisation.

Was bleibt dank der Anonymisierung der Entscheidung? Bleiben tut nur die Wirkung der totalitären Maßnahme. Perfide? Ja. Aber geschickt. Der Erfolg gibt ihnen recht. Ein Wort wird – von wem? – für böse erklärt. Der Mensch, der es fürderhin verwendete, wird – von wem denn? – für böse erklärt. Ein Wort wird ausradiert. Einfach so. Einfach willkürlich. Einfach radikal. Einfach apodiktisch. Einfach total. Totalitär halt. Keine Debatte darüber: weder vorher noch nachher. Totalitär eben.

Deshalb nenne ich jetzt Namen. Namen von Menschen. Denn Menschen sind es, die diese Entscheidungen treffen. Freilich habe ich keine Ahnung, wer diesen Unfug mit dem Wort „schwarzfahren“(zur Begründung, warum Unfug, komme ich noch), veranstaltet hat, wer in Sachen ideologisierende Sprache in solchen Konzernen operativ tätig geworden ist. Aber zwei Dinge wissen Sie, werter Leser, und weiß ich: Es sind erstens Menschen. Und zweitens: Weil sie an der Spitze ihrer Organisationen stehen, zeichnen die CEOs, die Vorstandsvorsitzenden für diese Infiltrierung unserer Gesellschaft mit ihrer totalitären Ideologie verantwortlich.

Ich nenne in unserm Zusammenhang der totalitären Verstümmelung unserer Sprache konkrete Namen:

Münchner Verkehrsgesellschaft MVG: Ingo Wortmann

Berliner Verkehrsbetriebe: Eva Kreienkamp

Wiener Linien: Mag. Alexandra Reinagl

OEBB: Ing. Mag. (FH) Andreas Matthä

Auslöschung der Sprache

Somit formuliere ich die Nachricht so: Die Herren Wortmann und Matthä und die Frauen Kreienkamp und Reinagl sagen also, dass das Wort „schwarzfahren“ ein böses Wort ist.

Die betreffenden Männer und Frauen wollen es zumindest in ihrem Verantwortungsbereich ausgelöscht wissen. So wie IS-Schergen bestimmte Tempelanlagen, Statuen und Bilder ausgelöscht haben, weil sie sie als böse identifiziert haben, weil sie ihnen als geeignet erschienen, auf Menschen einen negativen Einfluss auszuüben.

Wortmann, Kreienkamp, Reinagl und Matthä ist es egal, dass das Wort „schwarzfahren“ überhaupt nichts mit der Farbe schwarz zu tun hat. Oder sie wissen es nicht. Oder sie haben es trotz Führungsverantwortung nicht für wichtig befunden, die Bedeutung des Wortes zu erkunden.

Was haben sie getan? Auf welcher Grundlage haben sie entschieden, im Dominoeffekt, einer nach dem anderen? Was übrigens auch sehr symptomatisch ist: der Gruppendruck, die gesteuerte Dynamik solcher Vorgänge, ein Leittier voran, die blökenden Schafe hinterher.

Die Genannten beider Geschlechter sind also den gutmenschlichen, antirassistisch klingenden Einflüsterungen gefolgt. Sie sind mit der damit immer einhergehenden Gewaltandrohung des aggressiven, destruktiven, antirassistischen Shitstorms gewichen.

Sie haben Gehorsam geübt: nicht dem Gesetzgeber oder einer weisungsbefugten Stelle über ihnen, sondern irgendwelchen – wieder anonymen – gutmenschlichen NGOs und Antifas gegenüber.

Sie haben gehört: „Schwarzfahren“ kann rassistisch missverstanden werden. Sie haben den üb(e)lichen Unterton der politisch korrekten Überlegenheit wahrgenommen: Ihr pflegt eine Sprache der Gewalt, wenn ihr „schwarzfahren“ sagt!

Sie haben den Ruf „Löscht das Wort aus Eurer Sprache aus!“ als das verstanden, was es aus dem Munde der Fanatiker auch ist: ein totalitärer Befehl. Sie haben die Androhung gespürt: Folgst Du uns nicht, folgen sofort, unverzüglich die Anwürfe des Rassismus gegen Euch und Eure Unternehmen. Das kann sogar Eure Aktienkurse gefährden. Von Eurer Reputation gar nicht erst zu reden.

Schleichender Prozess

Liebe Leser: So machen Menschen totalitäre Systeme. Sie passieren nicht. Über Jahre, schleichend, setzen sie einen Schritt nach dem anderen. Jeder für sich nie so wichtig, dass es sich laut darüber zu streiten lohnt.

Jeder für sich aber doch so gewichtig, dass ein paar Jahre später unter dem Gesamtgewicht von all den kleinen Dingen eine ganze Demokratie und ihr Rechtsstaat mitsamt ihrer Freiheit der Meinung und der Rede und der Wissenschaft darunter zertrümmert wird, wie die Tempel in Syrien und im Irak unter dem Beschuss der Mörder des Islamischen Staates zertrümmert worden sind.

Die Menschen vernichten eine alte Kultur und ihre Sprache und sie bauen an einer neuen Diktatur. Wie? Sie treffen naiv gutmeinend, opportunistisch, im kurzfristigen (vermeintlichen?) Interesse ihrer Unternehmen oder aus purer Feigheit vor dem Feind oder gar aus reiner Ignoranz solche Entscheidungen wie diese leidige Schwarzfahrerentscheidung.

Wortmann von der MVG, Frau Kreienkamp von der BVG, Frau Reinagl von den Wiener Linien und Herr Matthä von den ÖBB haben den sog. Antirassisten nicht aufklärend widersprochen und ihnen erklärt: „Schwarzfahren kommt doch vom jüdischen shvarts und heißt arm“ – nein, sie haben geschwiegen und Gehorsam geleistet. Eben ihre politisch korrekte Pflicht politisch korrekt erfüllt.

Wäre ich „sensibel“ wie die Gutmenschen, müsste ich dann den Genannten nicht Antisemitismus vorwerfen? Ihr löscht ein jiddisches Wort, nämlich shvarts = arm, aus Eurer Sprache? Wes Geistes Kinder seid Ihr denn?

Guten Mut. Soweit gehe ich nicht. Ich bleibe im Unterschied der vielen gutmenschlichen Scheinargumente rational.

Das Perfide an dem ganzen Vorgang, für den die Geschichte von der Auslöschung eines jüdischen Wortes durch Deutsche und Österreicher nur ein Beispiel von unzähligen anderen ist:

Diese Dinge geschehen nicht demokratisch legitimiert per Mehrheitsbeschluss des Gesetzgebers. Diese Entscheidungen treffen diese „hohen Tiere“ wie anno nazimal und anno stasimal in von „pressure groups“ demokratisch keineswegs legitimiert erzeugter atmosphärischer Gewalt. Wie schon einmal, weichen wir auch heute wieder der Gewalt. Geschichte wiederholt sich nicht, sie reimt sich aber, hat einmal ein Weiser gesagt.

Nein, totalitäre Systeme passieren nicht. Menschen machen sie. Die totalitären Diktatoren von bereits morgen bauen ihr System über Jahre schleichend auf. Auch heute. Es helfen ihnen Menschen mit solchen Entscheidungen wie diese mit dem Auslöschen eines jiddischen Wortes aus der deutschen Sprache.


Zur Person:

Géza Ákos Molnár ist Rhetoriktrainer- und Coach. In seiner „Redemanufaktur“ schreibt er Reden für Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur und Politik. Auf Basis seiner rund 20-jährigen Erfahrung bildet er in Deutschland und in Österreich professionelle Redenschreiber aus.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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