Infokrieg um Gaza: 40 offene Fragen zum westlichen Einheitsnarrativ
Nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober reagiert Israel mit harter Vergeltung, was im Westen als „Recht sich zu verteidigen“ ausgelegt wird. Dabei ziehen von Anfang an Ungereimtheiten durch die forcierte Erzählung.
Die offizielle Version des Gaza-Krieges ist schnell erzählt: Hamas-Terroristen überfallen ein Festival und mehrere israelische Kibbuzim. Sie massakrieren Hunderte von Menschen und nehmen 200 Geiseln. Das angegriffene Land verteidigt sich daraufhin mit „höchster Präzision“ gegen die Terroristen, die ihrerseits Zivilisten als Schutzschilde missbrauchen, um einen zweiten Holocaust durch islamistische „Nazis“ zu verhindern, weshalb es legitim sei, ganz Gaza „in einen Parkplatz zu verwandeln“.
Plötzlich versagt der „beste Geheimdienst“
So weit, so verständlich? Tatsächlich beginnen die Unklarheiten und Ungereimtheiten der Erzählung bereits am ersten Tag und ziehen sich wie ein roter Faden durch die Ereignisse. Da im Krieg bekanntlich die Wahrheit auf allen Seiten zuerst stirbt, bleibt vieles spekulativ. Gleichzeitig sollte es immer die Aufgabe eines Journalisten sein, auch die unbequemen Fragen zu stellen. Da sich die Mainstream-Presse lieber auf die Seite der vermeintlich „Guten Sache“ schlägt, will ich das für sie tun.
Warum tappte der „beste Geheimdienst der Welt“ im Dunkeln, obwohl Ägypten zehn Tage zuvor vor „etwas Großem“ in Gaza gewarnt hatte? Wie konnte das milliardenschwere israelische Überwachungssystem, das sonst jede Katze in der Nähe des Grenzzauns registriert, nicht bemerken, dass dieser mit Baggern eingerissen und angeblich mit Gleitschirmen überflogen wurde? Wie konnte ein Angriff auch vom Meer aus erfolgen, obwohl Israel seit Jahren eine intensive Seeblockade gegen Gaza durchführt?
Verdacht der „schlampigen Inszenierung“
Obwohl es Sabbat war und Israel an diesem Tag das hohe Fest Simchat Tora feierte: Warum wurde die Sicherheit am 50. Jahrestag des Jom-Kippur-Krieges nicht verstärkt? Viele dieser Fragen muss sich Netanjahu derzeit von seinen Landsleuten stellen lassen, aber warum findet diese innenpolitische Debatte in der westlichen Berichterstattung nicht statt? Warum werden gerade jetzt Vergleiche mit den offiziellen Versionen von Pearl Harbor und 9/11 gezogen, wo doch gerade bei diesen Vorfällen von Kritikern oft ein „Inside Job“ oder ein „Geschehenlassen“ als Kriegsgrund ins Spiel gebracht wird? Warum fragt niemand mehr nach der Karte ohne die palästinensischen Gebiete, die Netanjahu zwei Wochen zuvor der UN-Vollversammlung als Teil seiner Vision eines „neuen Nahen Ostens“ präsentiert hatte?
Schon bei den Ereignissen des 7. Oktober gibt es Ungereimtheiten: Warum wurde das Psytrance-Festival nur zwei Tage vor dem Massaker auf ein Gelände nahe der Grenzanlage verlegt, obwohl es weiter südlich stattfinden sollte? Warum wurde nach dem Raketenalarm über eine halbe Stunde mit der Evakuierung des Geländes gewartet, obwohl Militär vor Ort war? Wie kann es sein, dass eine Überlebende des anschließenden Angriffs auf den Kibbuz Be’eri behauptet, israelische Soldaten hätten einfach das Feuer eröffnet und damit Hamas-Kämpfer und Geiseln gleichermaßen getötet? Wie passt der Bericht einer Siedlerin über einen Hamas-Kämpfer, der sie nach einer Banane fragte und ihr versicherte, ihr nichts tun zu wollen, in das Narrativ der „Tiere in Menschengestalt“?
Kinderleichen als Propagandamittel
Beide Seiten setzten im Internet auf die Macht der Bilder – doch warum warnt der zuständige EU-Kommissar Thierry Breton nur vor palästinensischer „Desinformation“, die man zensieren wolle? Warum gab es umgekehrt tagelang keine Bestätigung für die von Israel und westlichen Akteuren aufgebauschte Horrorstory von den „40 geköpften Babys“, die es in einem 765-Seelen-Ort gegeben haben soll, nachdem der Netanjahu-nahe Auslandssender i24News einen Unteroffizier zitiert hatte, der noch im Frühjahr zu Siedlergewalt in im Westjordanland aufgerufen hatte?
Warum tauchten plötzlich zwei ominöse Bilder von toten Kindern genau an dem Tag auf, als US-Außenminister Blinken das Land besuchte? Und wenn sich die Hamas ihrer Gräueltaten rühmt, warum dementiert sie sie dann? Wieso transportierten globale Medien die Story trotz der Erinnerung an die von einer US-PR-Agentur ersonnenen „Brutkastenlüge“ als Grundlage des ersten Golfkrieges gegen den Irak, während sogar israelische Medien zuerst vorsichtig berichteten?
Wieso sprach niemand über den am selben Tag verübten israelischen Bombenangriff auf eine Schule, bei dem bis zu 30 Kinder und elf UN-Angestellte starben? Wie konnte dies geschehen, wenn Israel nur „mit größter Präzision“ militärische Ziele ins Visier nimmt? Warum gleichen weite Teile Gazas einem Trümmerfeld, wenn man angeblich nur Waffenlager ausräuchern will? Wo blieb die Sorge ums humanitäre Völkerrecht, als man einem Spital wenige Stunden zur Evakuierung einräumte? Wo bleibt der Aufschrei der EU, dass zwei Millionen Menschen von Essen und Wasser abgeschnitten wurden, nachdem EU-Kommissionschefin Von der Leyen im Ukrainekrieg ein solches Vorgehen als „Akt reinen Terrors“ bezeichnete?
Gibt es plötzlich „gute“ Kriegsverbrechen?
Warum glaubt man der Erzählung, Israel wolle nur die Hamas treffen, wenn eine Abgeordnete einer Regierungspartei und sogar Staatspräsident Herzog öffentlich bezweifeln, dass es in Gaza überhaupt unschuldige Zivilisten gibt? Warum schweigen die etablierten Medien über die irrwitzige Forderung einer Knesset-Abgeordneten der Netanjahu-Partei, Gaza mit Atomwaffen anzugreifen? Wie können deutsche Medien und Politiker schweigen, wenn Ex-Premier Bennett im britischen Fernsehen den Vergeltungsschlag gegen Gaza mit dem alliierten Bombenterror gegen Dresden rechtfertigt, ein Vorgehen, das seit einem Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention vor 50 Jahren heute zweifelsfrei als Kriegsverbrechen gelten würde? Warum bombardiert Israel syrische Flughäfen und Ziele im Libanon, wenn es gegen die Hamas geht?
Warum wollten Regierungssprecher trotz UN-Kritik die Totalblockade von Nahrung, Wasser, Strom und Benzin auch auf mehrfache Nachfrage von drei Journalisten in der Bundespressekonferenz nicht kommentieren und verwiesen immer wieder auf das „völkerrechtlich verbriefte Recht“ Israels, sich zu verteidigen? Warum thematisiert kaum jemand die Gefahr dieser Argumentation, wo doch dasselbe Völkerrecht besetzten Völkern – Gaza gilt laut UNO, USA und Bundesrepublik als von Israel besetztes Gebiet – sogar Waffengewalt gegen militärische Ziele im „nationalen Befreiungskampf“ zugesteht? Warum bestreiten „Faktenchecker“ die Behauptung von Hamas-Kämpfern, ihre Waffen aus der Ukraine bezogen zu haben, während andere offen und unwidersprochen den Iran beschuldigen?
Kampf der Narrative nach Spitalsangriff
Warum hinterfragt niemand die Kommunikationsabläufe nach dem jüngsten Bombenangriff auf ein Krankenhaus in Gaza mit Hunderten von Toten? Wie kann es sein, dass ein israelischer Journalist und Netanjahu-Propagandist, der inzwischen in den Krieg eingetreten ist, zuerst auf Twitter/X über einen angeblichen israelischen Treffer jubelt, nur um seinen Beitrag später zu löschen und die offizielle IDF-Version, die zuerst von i24 News verbreitet wurde, zu übernehmen, wonach die Hamas ihn selbst getroffen habe – und für diese situative Einordnung nicht einmal kritisiert wird?
Warum übernehmen deutsche Medien ungeprüft die Story desselben Journalisten über eine israelische Familie in Geiselhaft, scheuen sich aber, die Vor-Ort-Berichterstattung eines CNN-Reporters über die schockierende Situation in Gaza zu bringen, der die Tragödie der Vertreibung von 1,1 Millionen Menschen aus dem nördlichen Gazastreifen mit eigenen Augen gesehen und in einem bewegenden Video dokumentiert hat, obwohl CNN ansonsten - etwa bei der Einordnung der US-Innenpolitik – als Quelle so etwas wie der Säulenheilige des etablierten Medienbetriebs ist?
Massenvertreibung mit Ansage
Warum muss man eigentlich Al Jazeera einschalten, um die Äußerungen des israelischen Ex-Vizeaußenministers Danny Ayalon, Ex-Botschafter des Landes bei der UNO und in den USA, zu hören, dass man die Palästinenser auf die Sinai-Halbinsel vertreiben wolle, die Israel bereits von 1956 an kurzzeitig und von 1967-82 länger besetzt hielt und die das nächste „Expansionsziel“ darstellen könnte?
Warum wird die überstürzte Schließung der ägyptischen Grenzen nicht unter diesem Aspekt eingeordnet? Wenn die EU jetzt schon davor warnt, dass die Asylströme wieder nach Europa drängen werden, wo bleiben dann die Appelle an die arabischen, muslimischen Staaten in der Region, sie stattdessen aufzunehmen?
Denkfaulheit in Teilen der Rechten
An dieser Stelle sind auch Fragen an Teile der europäischen Rechten zu stellen: Ist ihnen klar, dass im Falle einer Massenmigration aus Gaza wieder Deutschland die Hauptlast tragen wird und an der Grenze niemand fragen wird, wer „echter“ Flüchtling und wer Hamas-Kämpfer ist; wissend, dass die ersten „Solidaritätsanschläge“ in Europa bereits stattgefunden haben und sich noch deutlich häufen werden? Warum jubeln die Menschen jetzt über Zensur und Demonstrationsverbote, wenn sie doch ahnen müssen, dass diese Verschärfungen schon morgen wieder die Opposition treffen werden?
Warum stimmt man in das Gejammer der Altparteien ein und verurteilt die Rufe von AfD-Chef Chrupalla nach Diplomatie, um einen Flächenbrand zu verhindern? Warum traut man der Ampel, die die Einbürgerung erleichtern will, statt einer Verschärfung des Volksverhetzungsparagrafen plötzlich tatsächlich eine massenhafte Rückwanderung zu? Warum fürchtet man nicht eher, dass eine Ministerin, deren Ressort „rechtsextreme Übergriffe auf Asylheime“ im großen Stil erfunden hat, alle „Tod Israel“-Rufe auf Palästina-Demonstrationen als „PMK rechts“ einstuft und in der Folge ominöse Antifa-Netzwerke mit noch mehr Steuermillionen im „Kampf gegen Rechts“ überschüttet?
Und nicht zuletzt: Warum glaubt man den Systemmedien, die schon in der Asylkrise, bei Corona und im Ukrainekrieg extrem lückenhaft und einseitig berichtet haben, dass sie jetzt die ganze Wahrheit bringen und nicht nur einen lückenhaften und einseitigen Ausschnitt?
Zur Person:
Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert. Der Kenner alter Schriften und Kulturen schmökert leidenschaftlich in seiner ausgiebigen Bibliothek und ist passionierter Teetrinker und Käseliebhaber. Als ehemaliger Wachmann war der Freund harter Klänge schon immer um kein Wort verlegen. Seine Spezialität sind österreichische Innenpolitik sowie schonungsloser gesellschaftlicher Kommentar.