Vor der Neuwahl – Wohin steuert Spanien?
In Spanien stehen am kommenden Sonntag Parlamentswahlen an. Dabei könnte ein Bündnis von konservativen und rechten Parteien gewinnen. In seiner Analyse für FREILICH gibt Marvin Mergard einen Überblick über die Lage.
Am kommenden Sonntag wird in Spanien wieder einmal gewählt – bereits das fünfte Mal innerhalb von acht Jahren. 2015 wählten die Spanier noch zum regulären Termin ihr Parlament neu, jedoch mussten bereits 2015 vorgezogene Neuwahlen stattfinden und auch diese Legislaturperiode hielt nicht bis zum Ende durch. Aufgrund eines gescheiterten Haushaltsentwurfs der damaligen sozialdemokratischen PSOE-Minderheitsregierung wurde bereits im April 2019 gewählt – da sich keine Mehrheiten fanden, wurde noch im November des gleichen Jahres ein weiteres Mal gewählt.
Wie man unschwer erkennen kann, ist das politische Spanien alles andere als stabil. So wundert es nicht, dass auch die unmittelbar bevorstehende Neuwahl eine vorgezogene Neuwahl ist. Ursprünglich war der Wahltermin für das Ende des Jahres vorgesehen, doch der sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sánchez zog sie auf Ende Juli vor. Wie kam es dazu und wie ist die politische Lage im größten Staat auf der iberischen Halbinsel zu bewerten?
Die Aufspaltung der politischen Lager
Die parteipolitische Landschaft zeichnete sich in Spanien lange Zeit durch zwei große Volksparteien aus. Dies sind die bereits genannten Sozialdemokraten der Partido Socialista Obrero Español („Spanische Sozialistische Arbeiterpartei“; PSOE) und die Christdemokraten der Partido Popular („Volkspartei“; PP). Daneben existieren eine Reihe regionalistischer und separatistischer Parteien, die vor allem in Katalonien und im Baskenland erfolgreich sind. Darüber hinaus konnten in der Vergangenheit ab und an Kleinstparteien kurzzeitige Erfolge verbuchen. Jedoch waren diese nie von anhaltender Relevanz und formten nicht das bestehende Parteigefüge um – bis zur Parlamentswahl 2015.
Die Nachwirkungen der Finanz- und Eurokrise wirkten sich erheblich auf die spanische Gesellschaft und daraus folgend auch auf die politische Landschaft aus. 2014 gründete sich die linke Sammlungsbewegung Podemos („Wir können“), die sich mit sozialen Versprechungen gegen die Sparmaßnahmen der Regierung stellte. Sie zog 2015 mit mehr als 20 Prozent ein und setzte die Sozialdemokraten von links unter Druck.
Darüber hinaus stärkte sich die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien, was zu weiteren politischen Anspannungen und dem Erfolg einer weiteren Partei führte. Als liberale, gegen den Separatismus der Katalanen ausgerichtete Partei, konnten die Ciudadanos („Bürger“) ebenfalls in das Parlament einziehen. Auch deren Wahlergebnis von immerhin knapp 14 Prozent war beachtenswert.
Damit war die Dominanz der zwei Großparteien gebrochen – und es sollte noch ein wichtiger Akteur dazustoßen.
Rechte Konkurrenz
Bei den Wahlen 2015 und 2016 konnte die Ende 2013 gegründete Vox („Stimme“) noch keine Erfolge verbuchen. Bis dahin war sie eine bloße Kleinstpartei ohne politische Relevanz. Doch mit den beiden Wahlen im Jahr 2019 sollte sich das ändern – und die PP sollte ebenso wie die PSOE ihre politische Konkurrenz erhalten.
Im April konnte die Vox mit mehr als zehn Prozent in das Parlament einziehen und bei der Folgewahl im gleichen Jahr ihren Stimmenanteil auf rund 15 Prozent steigern. Auch ihr Erfolgsrezept beruht maßgeblich auf der allgemeinen Unzufriedenheit der Bürger in diversen Politikfeldern, aber auch auf der Ablehnung separatistischer Tendenzen. In Katalonien scheiterte 2017 die Separatistenbewegung mit ihrer einseitigen Unabhängigkeitserklärung und dennoch prägte und prägt diese Krise die politischen Debatten.
Darüber hinaus bestand offensichtlich ein Vakuum rechts der PP, welches sich bereits in fast allen europäischen Staaten gefüllt hat. Was in Deutschland die AfD, in Österreich die FPÖ oder in Frankreich der Rassemblement National von Marine Le Pen ist, heißt in Spanien Vox.
Sie verbindet nationalkonservative und wirtschaftsliberale Inhalte; sie spricht sich gegen die Masseneinwanderung aus, positioniert sich gegen die Islamisierung und fordert strengere Regeln beim Thema Abtreibung.
Seitdem die Vox erfolgreich die anti-separatistische Position im Parlament einnimmt und auch in anderen Politikfeldern ein neues Angebot macht, mussten die Cuidadanos herbe Verluste hinnehmen. Bei der letzten Wahl konnte sie immerhin noch rund sieben Prozent der Stimmen auf sich vereinen, jedoch verlor sie seitdem stetig an Stimmen in den Umfragen und entschied sich bei der diesjährigen Wahl nicht mehr anzutreten.
Die Lage vor der Parlamentswahl
Seit Mitte 2022 schaffte es die PP wieder ihre schwächelnden Umfragewerte von rund 23 Prozent auf mehr als 30 Prozent zu steigern und zu konsolidieren. Auf der linken Seite des Parlaments verblieb die PSOE mit stetigen Werten von rund 25 Prozent und die Podemos mit rund zehn Prozent weitestgehend stabil.
Ein einschneidendes Ereignis, welches die vorgezogene Neuwahl begründete, waren die Regionalwahlen Ende Mai in einigen spanischen Regionen. In 12 von 17 autonomen Gemeinschaften (in etwa mit unseren Landesparlamenten vergleichbar) und in den Städten Ceuta und Melilla wurden die Regionalparlamente gewählt.
In beinahe allen Regionen konnte die Vox ihren Stimmenanteil ausbauen (außer in Ceuta) und auch die PP legte gleichermaßen an Stimmen zu. Dies führte dazu, dass die PSOE beispielsweise in Valencia und der Extremadura ihre Mehrheiten jeweils an PP-Vox-Regierungen verlor.
Denn im Gegensatz zur bundesdeutschen „Brandmauer gegen rechts“, gibt es seitens der Konservativen in Spanien weniger Bedenken gegen die linken Parteien eine Koalition mit einer Rechtspartei einzugehen.
Dieser Aspekt ist von entscheidender Bedeutung für die Betrachtung der anstehenden Parlamentswahl.
Was wir erwarten dürfen
Es wird aktuell ein Wahlkampf geführt, der klar zwischen einem linken und einem rechten Block unterscheidet. Auf der einen Seite wollen die linken Vertreter eine Regierung von PP und Vox verhindern, auf der anderen Seite wollen diese wiederum die linke Koalition unter Pedro Sánchez beerdigen und einen politischen Neustart durchführen.
Daraus folgt eine Polarisierung entlang der beiden potenziellen Ministerpräsidenten, also Pedro Sánchez und dem konservativen Herausforderer Alberto Núñez Feijóo. Dies bewirkte in den letzten Wochen einen enormen Anstieg der jeweiligen Umfragewerte auf Kosten der sich jeweils links beziehungsweise rechts befindlichen (möglichen) Juniorpartner.
Die Umfragen deuten eher auf eine konservativ-rechte Mehrheit hin, jedoch ist dieser Vorsprung knapp bemessen. Eine Weiterführung der sozialdemokratisch-linken Regierung ist nicht ausgeschlossen und es wird vermutlich auf wenige Stimmen ankommen, welche den Unterschied bedeuten können. Selbst die wenigen regionalistischen Abgeordneten können für den Ausgang der neuen Mehrheitsverhältnisse von entscheidender Bedeutung sein.
Fakt ist: Sollte es zu einer Koalition aus PP und Vox kommen, darf nicht zu viel erwartet werden. Der Stimmenanteil der Vox wird nicht nur geringer ausfallen (vermutlich zwischen zehn bis 13 Prozent), sie wird vermutlich auch nicht aus einer Position der Stärke in Koalitionsverhandlungen gehen können. Sollte sie nicht mehr als die 15 Prozent der letzten Wahl erreichen, wird sie als schwacher Juniorpartner einbezogen. Dennoch könnte sie an entscheidenden politischen Schaltstellen die richtigen Akzente setzen, die auch für die anderen europäischen Nachbarn von Relevanz sind. Allen voran die Migrationspolitik. Sie sollte sich zumindest davor hüten, in diesem Politikfeld die Fehler zu wiederholen, wie sie derzeit Giorgia Meloni in Italien begeht.
Ob dieses Szenario eintreten wird oder wie sich die politische Landschaft in Spanien in anderer Form neugestaltet, werden wir am kommenden Wahlsonntag erfahren.
Zur Person:
Marvin Mergard, Jahrgang 1994, betreibt den Blog Vera Europa. Dort setzt er sich mit der politischen Rechten in Europa und der europapolitischen Lage aus rechter Perspektive auseinander.