Bitte gehen Sie weiter: An dieser Bahnsteigkante gibt es nichts zu sehen!

Ein Kind ist tot, von einem Migranten vor einen einfahrenden Zug geschubst. Mindestens ebenso wie die unfassbare Tat schockiert aber die veritable Olympiade der Relativierung von Ursache und Vorfall.
Julian Schernthaner
Kommentar von
31.7.2019
/
4 Minuten Lesezeit
Bitte gehen Sie weiter: An dieser Bahnsteigkante gibt es nichts zu sehen!

Symbolbild (ICE in Frankfurt/Main Hbf.): Pedelecs via Wikimedia Commons [CC BY-SA 3.0] (Bild zugeschnitten)

Ein Kind ist tot, von einem Migranten vor einen einfahrenden Zug geschubst. Mindestens ebenso wie die unfassbare Tat schockiert aber die veritable Olympiade der Relativierung von Ursache und Vorfall.

Kolumne von Julian Schernthaner

Wenn man so manche Reaktionen auf die schreckliche Tat am Frankfurter Hauptbahnhof besieht, gewinnt man den Verdacht, es handle sich nur um einen tragischen Unfall. Immerhin war ersten Medienberichten zufolge ein Bub „auf die Gleise geraten“. Die Polizei hatte da längst ein Fremdverschulden bestätigt. So mancher Journalist und Politiker will das allerdings nicht wahrhaben – und sucht die Schuld überall, nur nicht dort, wo sie zu suchen ist.

WM der Relativierung – bloß keine Instrumentalisierung!

Denn in der Folge spielte sich ein regelrechter Marathon der Relativierung ab. Neben dem üblichen Einzelfall-Gekeife durfte natürlich auch der Teil nicht fehlen, dass man Tötungsdelikte oder tote Kinder nie für politisches Kleingeld instrumentalisieren dürfe. Aus diesem Grund aßen mehrere Grünen- und Linken-Abgeordneten im Merseburger Kreistag auch genüsslich ihre Wurstbrote, während die übrigen Fraktionen mit ihrer reaktionären Schweigeminute quasi ausländerfeindliche Propaganda befeuerten.

Ich meine, instrumentalisieren – das tat man ja auch nicht mit dem Lübcke-Mord oder dem furchtbaren Massaker in Christchurch, gell? Und der kleine Bub am Ägäisstrand, dessen Name schmückt natürlich kein NGO-Schiff, dessen Irrfahrten am Mittelmeer natürlich auch keinen weiteren Leuten dieselben falschen Hoffnungen auf das Paradies auf Erden geben. Und drum: Einfach mal am Boden bleiben, es sterben jährlich 3.000 Leute im Straßenverkehr, ein Toter im Bahnverkehr, Verhältnismäßigkeit und so.

Untaugliche Lösungen für unnötige „Verwerfungen“

Kein Witz, das ist die Argumentation eines Hannoveraner Grünen-Politikers. Damit reiht er sich direkt an die Einstufung eines Berliner Parteikollegen, der ernsthaft prüfen will, ob man künftig nur mehr in Schrittgeschwindigkeit in Bahnhöfe einfahren dürfen soll. Das hier ist Deutschland 2019, wo Kinder einfach wie Dominosteine auf Gleise fallen und dort dann von rasenden Schienenmonstern überrollt werden.

Kein Wunder, dass bei solchen „Verwerfungen“ – dann nur „grobe Gestalten mit finsterer Miene und Tätowierungen“ bei Mahnwachen stehen. Das löst bei manchem Haltungsjournalisten richtiges Unverständnis aus. Ich meine, das ist doch dieses sich drastisch verändernde Deutschland, auf das man sich doch freuen soll? Wer ist denn schon so blöd und hält keine präventive Schubserlänge Abstand von der Bahnsteigkante?

Und wenn es „den Falschen hilft“?

Und während sich ein untauglicher Präventionsgedanke an den nächsten reiht, dämmert es so manchem: Vielleicht hat die AfD-Fraktionschefin Weidel nicht ganz unrecht, wenn sie schärfere Grenzkontrollen und ein Ende der Willkommenskultur fordert. Kontrollen, die in diesem Fall – der Eritreer flüchtete offenbar vor polizeilicher Verfolgung in der Schweiz – tatsächlich die Tat verhindern hätten können.

Aber was nicht sein darf, kann nicht sein, muss wohl „selektive Wahrnehmung“ sein. Wichtig ist nicht vordergründig, dass in Zukunft keine Kinder, Mütter oder Greise wie mindestens ein knappes Dutzend Mal in den vergangenen zwei Jahren mehr vor Züge geschubst werden. Viel wichtiger ist da wohl, dass das nicht „den Falschen hilft“. Aber zuerst ruft die Kanzlerpflicht, ab in den Süden, eine Runde Urlaub für Mutti Merkel.

Opfer zweiter Klasse am Weg ins ewige Bullerbü

Was bei all dem vergessen wird: Es ist ein Kind gestorben. Seine Mutter wird sich vielleicht Vorwürfe machen, weil sie den Stoß ins Gleisbett überlebte. Seine Schwester, die mit einer Familienfreundin im Auto in den gemeinsamen Urlaub fuhr, zankte sich mit ihm vielleicht noch kürzlich um ein Spielzeug. Nun hat sie keinen geliebten Bruder mehr, mit dem sie darüber streiten und sich wieder versöhnen kann.

Und wir – wir haben nicht einmal seinen Namen, um ein stilles Marterl für ihn aufzustellen. Auf die Benennung von Straßen und Schiffen und Denkmäler aus öffentlicher Hand wie bei Opfern mit dem richtigen Migrationshintergrund können wir wohl ewig warten. Es gibt kaum Sondersendungen und keine ewigen Grundsatzdebatten. Der Achtjährige ist ein deutsches Opfer – und somit wohl ein Opfer zweiter Klasse, ein Schlagloch auf dem holprigen Pfad in das vermeintlich ewige Bullerbü einer multikulturellen Gesellschaft.

Gerechter Zorn soll zu friedlichem Protest führen

Es sind Taten wie diese, welche auch beim hundertsten Fall noch sprachlos machen. Es sind dann auch Momente, wo ich mich mit Wehmut – schon als Kind war ich ein passionierter Bahnfahrer – daran erinnere, dass wir als Kinder keine Sorge haben mussten, ob uns jemand in Hollywood-Manier auf die Gleise stößt. Dass sich die Zeiten geändert haben, macht einen nicht nur traurig, sondern auch gerechtermaßen zornig.

Aber gleichzeitig geben solche Fälle einen Auftrag, mit friedlichem Protest gegen diese Zustände aufzubegehren. Denn nur wenn wir unsere Stimme erheben, können wir sicherstellen, dass unsere eigenen Kinder und Enkel wieder ohne Furcht an Haupt- und Provinzbahnhöfen stehen können, wenn sie mit uns in den wohlverdienten Sommerurlaub fahren. Und wenn wir dafür manchmal „instrumentalisieren“ müssen, dann nicht, weil es uns Spaß macht – sondern weil es schlichtweg nötig ist.


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Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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