Der Extremistenkarneval
Georg Restle bezeichnet beispielsweise die mit dem Mord des Eritreers zusammenhängende Thematisierung ausländischer Kriminalität beziehungsweise die erneut notwendig gewordene Debatte um die komplett desaströse Asylpolitik der Bundesrepublik als „so widerlich“ wie die Tat selbst. Linkenvorsitzender Bernd Riexinger empfindet es als Skandal, dass die „AfD-Nazis“ nun wieder einen Grund hätten, „gegen Geflüchtete zu hetzen“. Und obgleich AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla darauf verwies, dass es sich bei dem ermordeten Mädchen um eine Mitbürgerin nichtdeutscher Herkunft handele und Migranten gleichermaßen Opfer der Regierungspolitik seien, ist der Einspruch gegen die humanextremistische Leitideologie nur noch als Ausdruck nationalsozialistischer Gesinnung lesbar. Wer einen klaren Wandel will, der sei ein Nazi.
Die „Verwerfungen“ der bunten Republik sind als Komponente der liberalen Demokratie zu akzeptieren. Punkt. Wer auch immer strukturelle Probleme mit der „weltoffenen“ Gesellschaftsgestaltung erkennt, ist ideologischer Ketzer und ein schlechter Mensch. Die seit den 1960ern aufgebauten Werkzeuge zur Pathologisierung natürlicher Reflexe sind bereits tief in die Diskurssimulationsinstitutionen eingebrannt. Wer Hormonblocker für Kinder und Dragqueens in der Schule ablehnt, unterdrücke seine Homo- oder sonstige Sexualität; wer sich unwohl fühlt, wenn in seiner Heimatstadt keiner mehr Deutsch spricht, der kompensiere lediglich Minderwertigkeitsgefühle und wer direktdemokratische Prinzipien einfordert, der sei insgeheim Faschist und Feind der gewählten Parlamentarier – die Narrative sind bereits Tropen des politisch-medialen Schauspiels.
Zwei Tage nach der schrecklichen Bluttat in Illerkirchberg stürmt ein Großaufgebot der Polizei die Wohnsitze sogenannter Reichsbürger und rettet die BRD laut der Presse vor einem angeblich geplanten Staatsstreich. Die mutmaßlichen Täter: 52 Boomer mit einer echten Schusswaffe und Dosenravioli. Nach der 71-Jährigen, die angeblich Lauterbach entführen wollte und einem 75-Jährigen, der sich zum „König von Deutschland“ putschen wollte, also die nächste Gruppe von Terrorrentnern. Namen werden breit durch die Öffentlichkeit getragen, die sonst geforderte Zurückhaltung von Spekulationen wird von keinem erwähnt. Die Presse ist natürlich bereits in den Morgenstunden zufällig vor Ort und jeder Journo, NGO-Aktivist, Medienmensch und Regierungspolitiker kann nun wieder öffentlichkeitswirksam von der omnipräsenten Gefahr des Rechtsterrorismus phantasieren.
Ganz offensichtlich sind Medienvertreter bereits vorab von den Staatsbehörden bezüglich des Geheimeinsatzes informiert gewesen. Die ganze Angelegenheit erscheint wie eine PR-Aktion der „wehrhaften Demokratie“ gegen ihre ideologisch auserkorenen Feinde. Währenddessen darf eine linke Stadträtin ohne weitere Konsequenzen eine „unbedingt erforderliche“ polizeiliche Razzia bei ausländischen Clans blockieren und „Klimaaktivisten“ können unter Polizeischutz die Straßen sperren – selbstreden ist der „zivile Ungehorsam“ hier politisch abgesegnet, während patriotische Aktivisten für das Hochhalten von Plakaten mit Hausdurchsuchungen drangsaliert werden. Der durchschnittliche Bundesbürger ist mit den Nachrichten über den geplatzten Staatsstreich erstmal wieder auf das einzig legitimierte und institutionell gepflegte Feindbild gepolt und die Versorgungsnot, unbezahlbare Gasrechnung und nicht mehr bei Nacht begehbaren Stadtzentren rutschen wieder etwas ins geistige Abseits.
Der therapeutische „Deep State“ und seine Patienten
Diese scheinbare „Doppelmoral“ ist keine. Sie ist Zeugnis realer Machtdynamiken hinter den vordergründigen Institutionen der Demokratie. Sam Francis bezeichnete dies als „Anarchotyrannei“ und Michael J. Glennon sprach von einem „Double Government“. Wenn heutzutage von diesen Machtstrukturen, bestehend aus Medien, NGOs, Unis, Geheimdiensten und „philanthropischen“ Finanziers gesprochen wird, dann wird in der Regel der Begriff des „Deep State“ verwendet, der tiefe Staat. Der Politologe Peter Dale Scott prägte den Begriff der „deep politics“, mit welchen er jene politischen Prozesse beschrieb, die öffentlich zurückgehalten und selten nur als existent anerkannt werden. Selbst der große Kopf der liberalen Demokratie, Francis Fukuyama, schreibt nun auf „American Purpose“ in seiner „Valuing the Deep State“-Reihe Liebesbriefe an den administrativen Kontrollapparat, der für den Fortbestand moderner liberaldemokratischer Systeme notwendig sei – etwas, das er in den „Ende der Geschichte“-90ern noch nicht erkannt habe und erst mit den „Statebuilding“-Ansätzen der USA in Afghanistan an Interesse für ihn gewonnen habe.
Die Herausforderung, liberale Staaten in illiberalen Kulturen und Gesellschaften zu errichten, prägen seither die Politik- und Sozialwissenschaften. Gewissermaßen werden hierbei lediglich organisations- und sozialpolitische Erkenntnisse aufgegriffen, welche andere politische Systeme in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits offen dargelegt haben und auf liberal-westliche Anthropologie umgewälzt. Die Aufholjagd des liberalen Westens in Form der multiethnischen Regenbogenbinden-Regime erscheint dabei besonders abnormal und totalitär, in der Logik ihrer Ideologie allerdings konsequent. Auch wenn man Manipulation mit Begriffen wie „Nudging“ umschreibt, wird daraus kein „freiheitliches“ Konzept. Während klassisch autoritäre Systeme ihren Subjekten schlicht und ergreifend erklärten, was gutes und schlechtes Handeln sei, will der liberale „Deep State“ in therapeutischer Manier die Person so formen, dass sie dies vermeintlich selbst so empfindet. Der Prozess bringt die totale Vernichtung der Individualität im Namen ihrer Verteidigung und damit eine äußert artifizielle, neurotische Gesellschaft.
Der „Deep State“ selbst ist natürlich keine Manifestation verschwörerischer und manipulativer Macht – obgleich er genau so handelt –, schlicht aus dem Grund, dass er im Namen der Aufklärung und Verschwörungsbekämpfung handele. So die Logik seiner Apologeten. Da ist es auch kein Wunder, dass liberaldemokratische „Deep States“ nicht nur den woken Karneval der „Zivilgesellschaft“ als Macht- und Verwaltungsbasis benötigen, sondern die ebenso bizarr wirkende Karikatur einer eigentlich gar nicht realen Systemopposition von gefährlicher Größe. Die domestischen Feinde der antifaschistischen Demokratie müssen natürlich verschwörerische Rechtsextremisten sein, jedoch solche, die nicht wirklich ein anderes Paradigma oder intellektuell ausgefeiltes Weltanschauungs- und Ordnungsangebot anbieten (was tatsächlich eine Bedrohung darstellte), sondern derlei Figuren, die im selben ideologischen Rahmen die gewünschten Feinde darstellen: Vulgärrassisten, aus irrationalem „Hass“ handelnde Personen, Gewaltfetischisten und Verschwörungstheoretiker – am besten mit typischem Profil. Alles Gruppen, die unter den gleichen Prämissen den Bösewicht verkörpern.
Reichsbürger sind beispielsweise davon überzeugt, dass eine formale Anerkennung des rechtlichen Fortbestands des preußisch-deutschen Kaiserreichs diesen administrativen „Deep State“ abwickeln und zu einer neuen politischen Ordnung samt souveränem deutschen Staat führen könnte – gebaut auf der naiven Hoffnung, die USA und anderen Alliierten hätten insgeheim ein Interesse daran. Diese Vorstellung einer gesamtpolitischen Metamorphose durch rechtlichen Akt könnte liberaler nicht sein. Während man hier offenbar zumindest noch über die Errichtung einer neuen Regierung und Staatsverwaltung nachdenkt, sind Verschwörungstheoretiker um die QAnon-PsyOp noch tiefer in den Glaubenssätzen des liberalen Status Quo eingebunden. Mit der Vorstellung Donald Trump, die Kennedys und hohe US-Militärs würden einen geheimen Kampf gegen satanistisch-pädophile Eliten kämpfen und alle Menschen „befreien“, ist die eigene politische Initiative praktisch neutralisiert oder aber in militante Aktivitäten umlenkbar – die perfekte kontrollierbare Opposition.
Die Luftgewehr-Reichsboomer und die QAnon-Trumpisten sind deshalb so albern und dilettantisch, da sie gewissermaßen das Produkt desselben Systems und Spiegel der Regenbogenfreaks sind. Und nicht zuletzt, weil sie in großen Teilen wohl das direkte Produkt des „Deep States“ sind. Dass die winzige rechtsextremistische Szene ohne V-Leute nicht bestehen könnte, ist kein Geheimnis. Und dass verstärkt in die Inszenierung rechter Gefahr investiert wird, ist ebenfalls keines. Die Isolierung der AfD und jeglicher rechts-konservativer Standpunkte in Politik und Öffentlichkeit drängt viele Menschen weiter in einen Raum der Entpolitisierung – für die einen mag das die innere Migration bedeuten, für andere die Hinwendung zur Knarre – insbesondere, wenn die Personen bereits unter den Konsequenzen der liberalen Gesellschaft – Isolation, Entfremdung etc. – leiden und ein gefundenes Fressen für eben jene Anstifter des VS sind. Das Ergebnis ist ein Gemisch aus absichtlich in die Verzweiflung radikalisierten Menschen und umfassend finanzierter VS-Agitation.
In jedem Fall ist die multiethnisch-liberale Gesellschaft nur noch durch maximale Zensur, Propaganda, bestimmte Angstmechanismen und den Fortbestand des dekadent-bunten Gesellschaftskarnevals zukunftsfähig. Eine solche Zukunft bedeutet jedoch institutionalisierten Konflikt und einen zwangsweise totalitär aufgeblähten „Deep State“. Es ist leider Gottes mit mehr „Extremismus“ zu rechnen – ob den Stauts-Quo-Extremismus der klimaapokalyptischen Mitte, des linken Aktivistenrandes, den Westextremismus transatlantischer Lobbys oder verstrahlter VS-Assets. Die Terrorrentner und degenerierten Klimakleber sind zwar der reinste Karneval – aber bei aller Skurrilität sind Opfer wie das Mädchen aus Illerkirchberg die brutale Kehrseite dieses sozialen Verfalls. Für eine rechte Opposition bleibt nur die Abkehr vom Karneval und die andauernde Konzentration auf empfängliche, normale Menschen. Und der Versuch, selbst geistig gesund zu bleiben.
Zur Person:
Marvin T. Neumann, Jahrgang 1993, arbeitet als persönlicher Referent für den mitteldeutschen Bundestagsabgeordneten Hannes Gnauck. Zu seinen Interessengebieten zählen Geopolitik, politische Theorie und Literaturwissenschaft.