Wenn Framing gelingt: Die Posse um die “Reichsbürger”

„Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht. Ich kann nicht mehr die Augen schließen, und meine heißen Tränen fließen“, heißt es in Heinrich Heines wohl bekanntesten Zeilen. Und in der Tat, im Jahre 2022 sind die Worte des Düsseldorfers auch beziehungsweise noch aktueller denn je.
Kommentar von
9.12.2022
/
3 Minuten Lesezeit
Wenn Framing gelingt: Die Posse um die “Reichsbürger”

Julian Marius Plutz

In Europa herrscht Krieg, während sich das Land nur langsam von den freiheitslosen Coronamaßnahmen lossagt. Währenddessen werden in einer kaum erträglichen Regelmäßigkeit Menschen mit Messern angegangen, teilweise von Leuten, die gar nicht hier sein dürften.

In den Rhythmen des Todes hat sich die immergleiche routinierte und gespielte Betroffenheitssprache der Politik eingerichtet. Man sei “schockiert”. Die Gedanken seien natürlich bei den Opfern und ihren Angehörigen. Selbstverständlich werden die Behörden alles tun, um die schreckliche Tat aufzuklären. Da haben wir ja Glück gehabt. Im seelenlosen „Copy-Paste“-Wahn von herzlosen Politikern ist ihnen jedes Mittel recht. Taten, die nicht ins Erzählmuster des jungen, wilden und edlen Ausländers passen, der Kraft Grenzübertritt und Demografie den Fachkräftemangel und sogar den Notstand in der Fußball-Nationalmannschaft zu lösen vermag, werden schön geredet. Das Motto ist immer gleich: Nichts hat mit nichts zu tun.

Das „künftige Staatsoberhaupt” ist ein Adeliger

Doch es gibt nicht nur dieses eine Erzählmuster. Am 7. Dezember wurden 25 sogenannte Reichsbürger in der Folge bundesweiter Razzien festgenommen. 23 sind, Stand einen Tag später, noch in Gewahrsam. Es folgte eine fachgerechte und maßgeschneiderte mediale Empörungswelle. Für die ARD heißt das “Brennpunkt” nach der Tagesschau, die ohnehin zu mehr als der Hälfte aus Berichten und Bewegtbilder der Verhaftungen bestand. Die Deutsche Welle sinnierte hingegen mit einer Überschrift, die von anderer Seite bei anderen Taten durchaus als Panikmache deklariert würde: „Reichsbürger: Ist ein Umsturz in Deutschland denkbar?” Georg Restle, selbsternannter Haltungsjournalist, ist sich auf Twitter sicher: “Am Ende dieses Tages bleibt festzuhalten: Es ist der Rechtsterrorismus, der die größte Gefahr für dieses Land darstellt – ein Terrorismus, der tiefer in dieser Gesellschaft verankert ist als viele wahrhaben wollen: In den Parlamenten, der Justiz, der Bundeswehr.”

Schaut man sich die festgenommenen Protagonisten an, so kommt man eher auf die Idee, die Damen und Herren seien aus der örtlichen Psychiatrie entflohen. Hauptbeschuldigter ist der 71 Jahre alte Heinrich XIII. Prinz Reuß. Der Adelige wohnt in Frankfurt und ist Immobilienunternehmer und Gutsherr eines Jagdschlosses im ostthüringischen Bad Lobenstein. Er selbst sieht sich als “zukünftiges Staatsoberhaupt.” Laut dem Tagesspiegel soll der Adelige Vorsitzender des zentralen Gremiums der Gruppe gewesen sein. Ferner soll er versucht haben, Kontakt zu Vertretern der Russischen Föderation aufzunehmen. Inwieweit der “Putsch-Prinz” hierbei erfolgreich war, ist egal. Es ist Russland. Das Land des absoluten Bösen. Es handelt sich hier um Framing vom Feinsten.

Schily: “Skurrile Spinner-Truppe”

Als Justizministerin des geplanten neuen Staates war keine geringere als Birgit Malsak-Winkemann vorgesehen. Von 2017 bis 2021 saß die Richterin für die AfD im Bundestag. Der Mann für das Militär hingegen ist Maximilian Eder. Ehemaliger Oberst, jetzt Rentner, lebt heute in Italien. Die restlichen Übeltäter haben vor allem zwei Sachen gemeinsam: Seniorenalter und einen Ehemaligenstatus. Eine ehemalige AfD-Stadträtin, ein ehemaliger Polizeibeamter, ein ehemaliger KSKler.

Hinzu kommt, dass den Rentnerterroristen offenkundig bekannt war, dass in den nächsten Tagen eine Razzia stattfinden würde. Und dennoch, wie es sich für ordentliche Staatsfeinde gehört, sind sie nicht untergetaucht und haben vom Untergrund aus versucht, Anschläge zu verüben. Könnte es sein, dass die Damen und Herren “Reichsbürger” also gar nicht so gefährlich sind?

Ähnlich sieht das zumindest der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). “Mein subjektiver Eindruck ist, dass diese eher skurrile Spinner-Truppe keine reale Bedrohung für Staat und Gesellschaft darstellt.”, ließ er in der Welt verlauten. Zwar seien Gruppen dieser Art ein neues Phänomen, es sollte aber nicht überbewertet werden, so Otto Schily.

Fragwürdige Verhältnismäßigkeit

Wir fassen zusammen: Eine Gruppe durchgeknallter Senioren um einen skurrilen Grafen hält gerade die Republik in Atem, während Mütter und Väter Angst um ihre Kinder haben. Ich habe diese Angst in einer Diskussion in einem Twitter-Space hautnah miterlebt. Mehr als 2.300 Menschen beteiligten sich bei einer spontanen Sendung. Viele Eltern sprachen, die immer wieder Ähnliches sagten: “Wir fürchten uns vor den Messertaten. Wir haben Angst um unsere Töchter und Söhne.”

Hierbei kam die Seniorenrazzia zur rechten Zeit. Ob Zufall oder Chiffre ist hierbei unerheblich. Fakt ist: Sie verklärt den Debattenraum, sie verzerrt die Gefahrenlage. Nancy Faeser möchte nun das Beamtenrecht ändern, genauer gesagt die Beweislast umkehren. Demnach müsste ein Beamter bei Verdacht beweisen, dass er kein Staatsfeind ist. In Zeiten, in denen Lehrer, so wie sie die Coronamaßnahmen kritisch sahen, gegängelt, ausgegrenzt und diskriminiert werden, kann man diese Forderung nur klar ablehnen.

Sicher: Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist wichtig. Ich wohne in Nürnberg, einer Stadt, in der zwei Menschen vom NSU ermordet wurden. Doch die Gefahr geht heute nicht von Rechtsterroristen aus dem Untergrund aus und schon gar nicht von einer Rentnerbande, die Putsch spielen wollte. Ob 3.000 Polizisten verhältnismäßig sind, um 25 verstrahlte Personen zu verhaften, bleibt fraglich.


Zur Person:

Julian Marius Plutz, 1987 geboren, ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die Achse des Guten, TheGermanZ und die Jüdische Rundschau.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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