Gedenken an 1848: Erinnerungskultur und freiheitliche Geschichtspolitik
In Österreich wurde der Erinnerung an die Revolution von 1848 und ihrer Bedeutung für die Demokratiegeschichte nie sonderlich viel Aufmerksamkeit geschenkt. Mit Walter Rosenkranz könnte sich das nun maßgeblich ändern, meint Fabian Walch in seinem Kommentar für FREILICH.
Ziemlich genau 106 Jahre nach Dr. Franz Dinghofer (1873–1956) sitzt mit Dr. Walter Rosenkranz wieder ein Nationalliberaler dem österreichischen Parlament vor. Viele kennen Dinghofer nicht, obwohl er es war, der auf den Stufen des Parlaments im November 1918 die Erste Republik ausgerufen hatte. Diese Ehre wurde dem Linzer Richter zu Teil, weil er Präsident der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich war. Das nationalliberale Lager war im Reichsrat von Cisleithanien stets das stärkste Lager, wenngleich sie nicht die stärkste Einzelpartei stellten.
Dennoch war aus diesem Grund der Präsident des Parlaments aus ihren Reihen. Der „Abstieg“ zum sogenannte Dritten Lager erfolgte erst im Nachgang mit der Abtrennung des deutschen Sudetenlandes, das eine Großzahl der nationalliberalen Abgeordneten stellte, durch die Siegermächte des Ersten Weltkriegs. Seine geringe Popularität jedenfalls rührt daher, dass er ein Nationalliberaler und somit geistiger und ideologischer Vorvater der FPÖ war. Man will sich einfach nicht eingestehen, dass an der Wiege der österreichischen Republik ein Freiheitlicher stand. Dinghofer war nach dem Zweiten Weltkrieg dann Mitglied im Verband der Unabhängigen (VdU), verstarb jedoch wenige Wochen vor der Gründung der FPÖ (7. April) am 12. Jänner 1956.
Kampf um Grund- und Freiheitsrechte
Ähnlich verhält es sich mit dem Gedenken an das Revolutionsjahr 1848. Auch hier waren es geistige und ideologische Ahnen der FPÖ, die auf die Barrikaden gingen und neben der Deutschen Einheit vor allem für Grund- und Freiheitsrechte kämpften. Der 13. März gilt als Beginn dieser Revolution. Bisher wurde dies kaum bedacht. Auch deswegen nicht, weil es gerade auch die Burschenschaften waren, die damals das Heft des Handelns in die Hand genommen hatten.
Nicht einmal im Jahr 2023, wo das 175-Jahr-Jubiäum begangen hätte werden können. Einzig der damalige Dritte Nationalratspräsident Ing. Hofer lud zu einem Vortragsabend ins Palais Eppstein, wo namhafte Freiheitliche wie Mag. Norberth Nemeth und Mag. Harald Stefan über die Märzrevolution aber auch über moderne Herausforderungen in diesem Zusammenhang sprachen.
SPÖ würdigt 1848 nur wenig
Gerade die Erfahrungen aus den Coronajahren haben gezeigt, wie wichtig es ist, die Grund- und Freiheitsrechte, für die damals schon gekämpft wurde, zu verteidigen und immer wieder neu zu erstreiten. Um der Vollständigkeit Genüge zu tun, sei erwähnt, dass auch die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) zumindest eine Buchpräsentation im Jubiläumsjahr organisierte und 1848 als „wichtigen Teil der österreichischen Demokratiegeschichte“ bezeichnete.
Die SPÖ würdigte 1848 sonst nur wenig, obwohl es auch zu Arbeiteraufständen kam, aber das Fazit der SPÖ-Bildungsorganisation lautete 2023: „Marx hält nicht viel von den revolutionären Geschehnissen in Wien. Für ihn ist Österreich „das europäische China, das einzige Land, dessen innere Einrichtungen nicht durch die französische Revolution erschüttert wurden und dem selbst Napoleon nichts anhaben konnte …“
1848 rückt ins Herz des Parlaments
Mit Nationalratspräsident Walter Rosenkranz rückt 1848 wieder ins Herz des Parlaments. Er hat am Morgen des 13. März 2025 am Wiener Zentralfriedhof der Opfer der Märzrevolution von 1848 gedacht, indem er am entsprechenden Gedenk-Obelisken einen Kranz niedergelegt hat. Auf seiner Facebook-Seite hieß es dazu:
„53 Menschen verloren damals ihr Leben – sie starben entweder unmittelbar während der Aufstände oder erlagen später ihren Verletzungen. Die Ereignisse dieses Tages markierten den Beginn einer tiefgreifenden politischen Veränderung in Österreich. Der Einsatz jener Bürgerinnen und Bürger für Freiheit, Mitbestimmung und Rechtsstaatlichkeit hat unser Land nachhaltig geprägt. Aus diesem Anlass habe ich am Obelisken einen Kranz niedergelegt, um ihrer zu gedenken. Ihr Mut und ihr Streben nach politischen Rechten erinnern uns daran, dass Demokratie und Grundfreiheiten keine Selbstverständlichkeiten sind. Sie wurden hart erkämpft und müssen auch heute verteidigt und gestärkt werden. Dieses historische Erbe verpflichtet uns, die Werte von 1848 weiterzutragen und für eine Gesellschaft einzutreten, in der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit oberste Prinzipien bleiben.“
FPÖ gedenkt wichtigen Ereignissen
Rosenkranz weiß um die Geschichte Österreichs und um die wichtige und tragende Rolle, welche die nationalfreiheitliche generationenübergreifende Gesinnungsgemeinschaft immer wieder gespielt hat. Und er weiß auch, wie wichtig die Erinnerungskultur ist. Aus diesem Grund dürfen wir davon ausgehen, dass mit Rosenkranz, der nun das zweithöchste Amt im Staat bekleidet, bisher wenig bedachte Ereignisse unserer wechselvollen Geschichte ein Stück weit in den Fokus gerückt werden. Noch wehrt sich der politmediale Komplex dagegen, aber auf Dauer wird ihm das nicht gelingen.
Die FPÖ hat schon in der Vergangenheit immer wieder versucht, geschichtspolitische Akzente zu setzen. So etwa der damalige Dritte Präsident des Nationalrats Dr. Martin Graf, der anlässlich des 92. Jahrestages der bereits genannten Ausrufung der Republik Deutschösterreich ein Symposium zu Ehren von Franz Dinghofer initiierte. Im Zuge dessen kam es auch zur Gründung des Dinghofer-Instituts, das sich der Förderung von Forschung und Lehre in den Bereichen Rechtswissenschaften, Medizin, Theologie und Ethik sowie Philosophie, insbesondere der Rechtsphilosophie verschrieben hat. 2018 wurde auch, als die FPÖ Regierungspartei war, 170 Jahre Hans Kudlich (1823–1917) gedacht. Dem österreichischen Bauernbefreier wurde im Palais Palffy in Wien eine eigene Ausstellung gewidmet.
Die „vergessene Revolution“
Die bürgerliche Freiheitsbewegung und die Revolution von 1848 bleibt eine „vergessene Revolution“. Das ist aber aus den genannten Gründen so gewollt: Man müsste die Burschenschaften als Freiheitskämpfer würdigen, die ideologischen Vordenker der FPÖ als Väter der Grund- und Freiheitsrechte anerkennen und nicht zuletzt auch den gesamtdeutschen Kontext der Erhebungen akzeptieren. Schließlich war das Ergebnis der am Ende nicht erfolgreichen Deutschen Revolution von 1848 nicht der Nationalrat in Wien, sondern das erste gesamtdeutsche Paulskirchenparlament in Frankfurt am Main. Rosenkranz hat mit seiner Kranzniederlegung als offizieller Vertreter des österreichischen Parlaments jedenfalls einen wichtigen Schritt zur Rehabilitierung des Gedenkens an die Geburtsstunde der deutschen und somit österreichischen Demokratie gesetzt.