Wie der Verbrennungsmotor unsere Kultur und Gesellschaft prägte

Verbrennungsmotoren aus Deutschland sind einzigartig. In jahrzehntelanger Detailarbeit haben Ingenieure und Maschinenbauer die Otto- und Dieselmotoren perfektioniert, immer weiter verfeinert und zu unglaublichen Wirkungsgraden getrieben. Nun besteht die Gefahr, den Anschluss an die deutsche Ingenieurstradition zu verlieren

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Wie der Verbrennungsmotor unsere Kultur und Gesellschaft prägte

Adolf Daimler mit Sohn Gottlieb

© IMAGO / Gemini Collection

Daimler wird künftig in Kooperation mit einem chinesischen Staatsunternehmen Verbrennungsmotoren in China produzieren. Kritiker bemängeln vor allem den ökonomischen Prozess des so genannten Outsourcings, also der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland, um Kosten zu sparen, sowie den damit einhergehenden Strukturwandel und die einseitige Berücksichtigung von Käuferinteressen. Der Prozess bei Daimler hat aber nicht nur ökonomische, sondern auch metaökonomische Dimensionen. Die Verlagerung der Produktion ins Ausland greift konkret in die deutsche Identität ein, da sie auf eine der Adern der deutschen Tradition abzielt.

Verbrennungsmotoren aus Deutschland sind einzigartig. In jahrzehntelanger Detailarbeit haben Ingenieure und Maschinenbauer die Otto- und Dieselmotoren perfektioniert, immer weiter verfeinert und zu unglaublichen Wirkungsgraden getrieben. Ein Verbrennungsmotor, der von deutschen Automobilherstellern entwickelt und gebaut wurde, steht für eine besondere Qualität, die weder Ford noch Fiat je erreicht haben. Das ist nur einer der Gründe, warum viele Menschen auf der ganzen Welt immer wieder zu deutschen Autos greifen, wenn sie einen Neuwagen kaufen wollen. Der FC Bayern München schafft es alle paar Jahre, die Champions League zu gewinnen und damit an der Spitze des europäischen Fußballs zu stehen. Deutsche Verbrennungsmotoren schaffen das jedes Jahr – seit Jahrzehnten und weltweit.

Spitzenreiter Deutschland

Wir können also erkennen: Der Verbrennungsmotor aus Deutschland ist ein Teil von uns, er steht für die deutsche Ingenieurstradition. Eine Tradition, die schon immer Teil unserer Seele war, die auf deutsche Tugenden zurückgreift und sich elementar aus ihnen speist. Ehrgeiz, Fleiß und Sparsamkeit, aber auch die Fähigkeit, flexibel und dynamisch auf neue Probleme zu reagieren und eine Idee bis zur Perfektion zu treiben. Carl Benz und Werner von Siemens sind hier als Idealtypen zu nennen. Sie verkörpern den deutschen Erfindergeist wie kaum ein anderer.

Jahrzehntelang haben die Deutschen die Früchte dieses Geistes geerntet, unsere ganze Gesellschaft und ihr Wohlstand sind darauf aufgebaut. Ein Beispiel: Unser einzigartiges duales Ausbildungssystem, also die enge Verzahnung von Theorie und Praxis, von Schule und Betrieb, ist heute das Rückgrat unserer starken Wirtschaft. Dass sich dieses Ausbildungssystem ausgerechnet zwischen Nordsee und Alpen durchgesetzt hat, ist gerade dem deutschen Erfindergeist und Ethos zu verdanken, der einen Mittelweg zwischen der verschulten französischen und der rein praktischen britischen Ausbildung suchte und fand. Der Malocher, aber eben auch der Facharbeiter oder Techniker – das sind die Ergebnisse unserer erfolgreichen, praxisnahen und theoretisch fundierten Ausbildung.

Es geht nicht darum, den Verbrennungsmotor von Daimler oder VW als Ursprung der deutschen Nation darzustellen, aber der Dieselmotor steht stellvertretend für einen erfolgreichen Weg, Technik und Maschinenbau zu beherrschen. Nicht umsonst genießen die Technischen Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland weltweit hohes Ansehen. Die Deutschen können nicht nur philosophieren, sie können auch Maschinen bauen. Das KIT in Karlsruhe oder die RWTH Aachen sind vielleicht die Heimat der weltbesten Ingenieure, denn nicht umsonst haben sich renommierte TUs vor allem an den Standorten großer Technologiekonzerne angesiedelt – die vielen Studenten, die jedes Jahr an der TU Braunschweig in der Nähe des VW-Konzerns studieren, sind ein Beispiel dafür.

Renommierte Universitäten und Facharbeiter

Es hat sich eine fruchtbare Symbiose zwischen Konzernen und Gesellschaft entwickelt, sei es für die Facharbeiter und Malocher, sei es auch für die Ingenieure und Studenten am Reißbrett, die immer wieder an neuen Stellen am Dieselmotor schraubten und ihn verbesserten. Wir dürfen nicht vergessen: Der Motor muss nicht nur konstruiert, sondern auch gebaut und später repariert werden. Vom Kfz-Mechatroniker-Lehrling bis zum studierten Maschinenbauer, aber auch vom Controller oder Kaufmann, der die für die Produktion notwendigen Einzelteile einkauft. Der Motor schafft Arbeitsplätze und sorgt gleichzeitig für eine hochwertige Ausbildung in vielen Bereichen.

Diese Tradition des Maschinenbaus hat unser Bildungssystem, ja unsere ganze Kultur geprägt. Über Jahrzehnte haben sich Familien in diesem Kosmos eingerichtet. Ganze Biografien sind entstanden: Familien von Ingenieuren, Facharbeitern, Maschinenbauern. Wer das beobachten will, braucht nur in die Regionen um Wolfsburg oder Stuttgart zu fahren, wo ganze Dörfer und Städte von der Ingenieurskunst leben. Mit anderen Worten: Der deutsche Verbrennungsmotor hat ein perfektes Sozialbürgertum geschaffen. Auch diese Geschichten sind Teil unserer Kultur und Tradition.

Und auch wirtschaftlich hat diese Industrie ein Rückgrat gebildet. Während in Frankreich und Großbritannien mit dem Ende des Fordismus und dem aufkommenden Postindustrialismus in der Industrie buchstäblich Tabula rasa gemacht wurde und ganze Fabriken oder Konzerne wie Vauxhall schließen mussten, haben sich der deutsche Ingenieur und die von ihm geprägte Wirtschaft als widerstandsfähig erwiesen. Dass Deutschland aus den großen Rezessionen der 70er-Jahre oder auch der jüngeren Vergangenheit so gut herausgekommen ist, haben wir auch den Maschinenbauern und Mechatronikern zu verdanken. Denn auch hier war die deutsche Industrie im Vergleich einzigartig: flache Hierarchien, gut ausgebildete Arbeitskräfte, die flexibel auf Produktionsveränderungen und Innovationen reagieren konnten.

Eine gute Ausbildung ist goldwert

Man könnte an dieser Stelle das poetische Bild des faustischen Geistes bemühen, aber die offene und qualitativ hochwertige Ausbildung der deutschen (Fach-)Arbeiter, Techniker und Ingenieure war in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts schon goldwert, da diese einfacher auf industrielle Umstrukturierungen reagieren konnten. Ein Computer in der Fabrikhalle mochte für den praktisch und theoretisch ausgebildeten Facharbeiter oder Techniker zunächst ein fremdes Ding sein, aber die deutsche Mentalität, die auch durch die Ausbildung und unsere Industriekultur vermittelt wurde, ermöglichte es ihnen, flexibel und dynamisch auf neue Herausforderungen zu reagieren. Zum Vergleich: In der britischen Industrie des 20. Jahrhunderts gab es langjährige Ausbildungsverträge ohne schulischen oder theoretischen Teil. Nach der Pflichtschule ging man oft direkt in die Montagehallen und erhielt einen Lehrvertrag. So hatten die britischen Unternehmer oft erfahrene Mitarbeiter, die die vorhandene Technik perfekt beherrschten, aber nur sehr langsam auf Innovationen reagierten.

Jetzt will Daimler die Produktion von Verbrennungsmotoren nach China verlagern. Was bedeutet das für uns? Dass viele Arbeitsplätze verloren gehen, ist die eine Seite. Aber es betrifft uns auch kulturell und gesellschaftlich. Es besteht die Gefahr, den Anschluss an die deutsche Ingenieurstradition zu verlieren. Denn: Der politisch induzierte Umstieg vom Verbrennungs- auf den Elektromotor ist hoch riskant. Wenn er schief geht, gibt es kein Zurück mehr.

Wenn die deutschen Autobauer nicht wieder führend werden, bricht ein eklatanter Teil unserer Wirtschaft, unserer Kultur und unserer Tradition weg. Und mit geschlechtsneutralen Kartenspielen oder Bio-Kartoffeln ist keine Volkswirtschaft zu betreiben. Schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass Deutschland den Zukunftsmarkt der digitalen Industrie bisher verschlafen hat. Es geht nicht nur um zehntausende Arbeitsplätze, sondern auch um unser Selbstverständnis. Wir sind nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch der Facharbeiter und Ingenieure.

Was verloren gehen könnte

Der Verbrennungsmotor ist nur ein markantes Beispiel dafür, wie tief uns allein die Verlagerung der Produktion treffen kann, auch wenn vielleicht die Nachfolger (E-Motoren) und das Design in Deutschland bleiben. Was passiert, wenn ein ganzer Wirtschaftsstamm wegbricht, war in Thatchers England gesehen: Es gab nicht nur wirtschaftliche, sondern auch kulturelle Verluste. Das Elend und das Leid der Malocher in Nordengland ist bekannt. Wie sie könnten auch wir eine Selbstverständlichkeit unserer Kultur verlieren.

Anders formuliert: Der Verbrennungsmotor steht stellvertretend für unsere spezifisch deutsche Tradition und Kultur. Die deutsche Blaupause Industrie wird aufgegeben. All die Hidden Champions, all die Mittelständler, die unseren Wohlstand sichern und die in über 100 Jahren eine typische Industrie- und Unternehmenskultur entwickelt haben, drohen durch ein falsch verstandenes Marktverständnis verloren zu gehen. Hinter Daimler und anderen Konzernen, hinter mittelständischen Unternehmen stehen gewachsene Sozialordnungen und lokale Arbeits- und Unternehmenskulturen, die Generationen von Familien geprägt haben. Ganze Stadtteile sind entstanden, ehemalige Betriebssportvereine wie Bayer 04 Leverkusen spielen heute erfolgreich in der Bundesliga. Man kann nicht leugnen oder verschweigen, wie sehr die Industriekultur unser Deutschland geprägt hat.

Noch können die marktführenden Großkonzerne und Hidden Champions sie aus eigener Kraft tragen, weil deutsche Produkte und Made in Germany immer noch für herausragende Qualität stehen. Soll die jahrhundertealte Unternehmenskultur und -tradition – also individuelle Unternehmensphilosophien, sozialverträgliches Miteinander von Management und Belegschaft, Betriebsrenten und vieles mehr, was das erfolgreiche deutsche System ausmacht – für Bilanzen und Dividenden opfern? Ein warnendes Beispiel, wie die Zukunft aussehen könnte, ist die Firma Kuka: vom Ausland übernommen und jetzt gerupft.

Über den Autor

Bruno Wolters

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei Freilich. Seine Interessengebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

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