Abtreibung als moralische Grundsatzfrage

In seinem Kommentar geht Kevin Dorow auf die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts ein, die besagen, dass die Abtreibungen in Deutschland auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren angekommen sind und spricht sich im Zuge dessen für eine ernstzunehmende, offensiv agierende Lobby für das ungeborene Leben aus.

Kommentar von
31.3.2023
/
4 Minuten Lesezeit
Abtreibung als moralische Grundsatzfrage

Kevin Dorow

Die Abtreibungen in Deutschland sind gemäß offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamts mit 104.000 auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren angekommen und im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent gestiegen. Die mediale Beachtung dieser traurigen Entwicklung geht jedoch gen Null, sodass wohl ein Großteil der deutschen Bevölkerung nicht einmal etwas von dieser Entwicklung mitbekommen haben wird. Und selbst wenn: Die meisten Bundesbürger dürften inzwischen wohl nur noch achselzuckend auf solche Meldungen reagieren.

Dabei sprechen wir hierbei von sage und schreibe 104.000 abgetriebene Föten und Embryonen – 104.000 Kindern, welche niemals das Licht der Welt erblicken werden – 104.000 kleinen Wesen, die niemals ihren Eltern mit ersten unkoordinierten Krabbel- und Gehversuchen ein Lächeln auf ihre Lippen zaubern werden – 104.000 Lebewesen, denen die Chance auf das Leben endgültig verwehrt wurde.

104.000 – eine Summe, die in etwa der Bevölkerungsanzahl solcher Städte wie Salzgitter, Cottbus oder Trier entspricht. Man möge sich kaum den globalen Aufschrei vorstellen, wenn etwa eine Naturkatastrophe Opfer in einem ähnlichem Umfang in den Tod reißen würde. Dabei fanden weltweit im Jahre 2022 laut offiziellen Zahlen der WHO sogar insgesamt mehr als 44 Millionen Kindern ihren Tod durch Abtreibung, sodass diese somit für beinahe 40 Prozent (!) aller menschlichen Todesfälle verantwortlich gewesen sind – natürlich jedoch auch nur, insofern ein abgetriebenes Kind als Todesfall betrachtet wird. Doch wenn es um das ungeborene Leben geht, verhallen inzwischen die wenigen Stimmen, die sich noch zu Recht über diesen Umstand echauffieren, in dem großen Meer der westlichen Gleichgültigkeit.

Das ist einerseits traurig – andererseits aber auch konsequent. Denn nicht das Leben des ungeborenen Kindes steht inzwischen mehr an erster Stelle – insofern es denn überhaupt noch als „Leben“ betrachtet und nicht vielmehr als „Zellhaufen“ verworfen wird – sondern vielmehr das gebetsmühlenartig gepredigte „Selbstbestimmungsrecht der Frau“. Insbesondere seit den leidigen 1960er-Jahren setzte die zweite Welle der Frauenbewegung darauf, ungeborenen Kindern die Eigenschaft als Lebewesen abzuerkennen und im Sinne eines wahnhaften Kollektiv-Individualismus Forderungen zutage zu bringen, welche bisweilen sogar so weit gingen, noch bis kurz vor der Geburt Abtreibungen ermöglichen zu wollen. Heute ist es infolgedessen überwiegend gesellschaftlicher sowie auch politischer Konsens, dass das ungeborene Kind als solches hinter die Interessen der Frau zurückzutreten hat.

Die Entmenschlichung des Fötus

Erst kürzlich sahen wir bei der Abschaffung des § 219a StGB – dem bis dahin bestehenden Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche – wie locker, ja infantil dieses gesamte Thema gegenwärtig behandelt wird: Abgeordnete luden TikTok-Videos und Instagram-Beiträge hoch, in denen sie frohlockend symbolisch Wände einrissen, welche mit eben jenem Paragrafen verziert waren. Nach der Abstimmung zogen Vertreter von, FDP, SPD, Linke und Grüne jubelnd durch die Sozialen Medien. Sie zeigten Freude darüber, dass künftig für die Tötung ungeborenen Lebens öffentlich geworben werden darf und verkauften dies selbstverständlich wieder einmal als eine Errungenschaft für das „Selbstbestimmungsrecht der Frau“.

Dass die grüne Bundesfamilienministerin Lisa Paus kurze Zeit darauf bereits ankündigte, auch den
§ 218 StGB abschaffen zu wollen, ist ebenfalls so konsequent wie es auch absehbar war. Eine generelle Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen in der Rechtsordnung unserer Bundesrepublik Deutschland ist ein lang gestecktes Ziel, welches für eben jene individualistischen Gebärmutter-Egozentriker der 1960er-Jahre so lange hinarbeiten mussten – wobei natürlich auch zu sagen ist, dass eben jener Paragraph durch die ideologische Vorarbeit der Generation „Emanzipation“ schon längst ohnehin nur noch eine symbolische Bedeutung vorweisen kann.

Dennoch ist dieser Schritt traurigerweise gesellschaftsfähig geworden. Denn bis auf Lebensschützer, die sich neben der AfD und zu kleinen Teilen vielleicht noch in der CDU hauptsächlich nur noch im konservativ-christlichen sowie islamischen Umfeld finden lassen, hat die Entmenschlichung des Fötus Früchte getragen. Eine Abtreibung wird gegenwärtig überwiegend als individuelle Entscheidung betrachtet, die gemäß der Parole „mein Bauch gehört mir“ allein der Frau zustehe, die ja über „ihren Körper“ entscheide. Fötus und Embryo als solches haben sämtlichen Stellenwert verloren und finden keinerlei Beachtung mehr – und gerade durch eben jene Entwertung wurde den Lebensschützern ihre Argumentationsgrundlage geraubt: Wo kein Leben ist, kann auch keines geschützt werden. Mithin steht nur noch die individuelle Entscheidung der Frau im Raum, höchstens noch die Debatte über das Mitentscheidungsrecht des Partners. Doch auch hier werden nur die Eltern in den Fokus gerückt – das egoistische Motiv bleibt somit bestehen.

Und so ist bereits seit vielen Jahren unter regulären Umständen eine Abtreibung bis in die 12. Schwangerschaftswoche hinein möglich – hierfür müssen keinerlei gesundheitliche Schädigungen des Kindes oder etwa eine wesentliche Gefahr für das Leben der Mutter vorliegen. Es reicht schlichtweg der fehlende Wille, Mutter werden zu wollen. Stattdessen wird philosophiert über ein als subjektiv empfundenes „lebenswertes“ und „nicht lebenswertes“ Leben von Kindern, Frauen fühlen sich „nicht bereit“ für ein Kind und wurden dazu erzogen, die Geburt eines Kindes als „Last“ zu empfinden, die ihr spaßiges, sorgenleeres Leben vorzeitig beenden könnte. Dass bereits in der 6. Schwangerschaftswoche das Herz eines Kindes im Mutterleib zu schlagen beginnt, alle notwendigen Organe ausgebildet werden, ab der 9. Schwangerschaftswoche Kindsbewegungen durch den Ultraschall beobachtet werden können und sich Gehirn sowie Nervensystem rapide entwickeln, interessiert die breite Masse kaum mehr.

Schwangere Frauen unterstützen

In den wenigsten Fällen von Abtreibungen liegen tatsächlich massive Schwangerschaftskomplikationen oder gravierenden Härtefälle wie etwa Vergewaltigungen vor – die Reduktion der Debatte auf diese Ausnahmefälle ist weder zielführend noch wird sie den Kindern gerecht, denen hierdurch das Leben verwehrt wird. Und selbstverständlich ist es menschlich nachvollziehbar, dass Mütter sich sorgen, wenn sie in einer sozial schwierigen Lage unter Umständen nicht ihr Kind versorgen könnten. Doch anstatt Schwangerschaftsberatungsstellen noch mehr in Richtung „Dein Bauch, Deine Entscheidung“ zu drängen, muss der Fokus darauf liegen, eben jene Institutionen wieder an ihre Kernaufgabe zu erinnern: Die Unterstützung schwangerer Frauen in misslichen Lagen, sodass diese sich darin gestärkt fühlen können, sich für eine Austragung zu entscheiden. Kinder dürfen Menschen nicht in die Armut führen – die rechtskonservative, ungarische Regierung unter der von Viktor Orbán geführten Fidesz-Partei hat dies längst erkannt und setzt aktiv auf die finanzielle Unterstützung junger Familien. Kinder kriegen muss gefördert werden – denn die Gründung einer Familie ist ebenso wenig eine alleinig individualistische Entscheidung wie die Durchführung einer Abtreibung. Es ist in jeder Hinsicht eine Notwendigkeit, dass der Staat exzellente Rahmenbedingungen für die Geburt von Kindern setzt – denn ohne Kinder kann ein Volk nicht existieren. Mithin ist es auch die Aufgabe einer Volksgemeinschaft, sich für die Bildung solcher Familien einzusetzen.

Es bedarf daher einer ernstzunehmenden, offensiv agierenden Lobby für das ungeborene Leben. Das Wort „offensiv“ ist hierbei ganz bewusst gewählt – denn so wie der Kampf der 68er zäh, ausdauernd und schweißtreibend war, so müssen auch wir uns in die ideologische Angriffsstellung begeben. Wir kämpfen um die Zukunft unserer Kinder für Heimat, Familie und Zukunft – aber auch für einen gesellschaftlich-moralischen Minimalkonsens. Denn ein Volk, welches sämtliches Interesse an der Behütung der Wehrlosesten, Schutzbedürftigsten unter sich verloren hat, wird auf Dauer weder demographisch, sozio-kulturell noch moralisch eine Zukunft haben können.


Zur Person:

Kevin Dorow wurde 1998 in Norddeutschland geboren. Er absolvierte ein Volontariat bei der Verlagsgruppe Lesen & Schenken und schreibt seitdem für verschiedene konservative Publikationen. Politisch engagiert er sich in der AfD.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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