Soziologe: Das Wählerpotenzial der AfD ist noch nicht ausgeschöpft
Im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 konnte die AfD am vergangenen Sonntag ihr Ergebnis verdoppeln. Doch das Wählerpotenzial der Partei ist noch lange nicht ausgeschöpft, meint ein Soziologe.
Die beiden Vorsitzenden der AfD zeigten sich nach dem Wahlerfolg am Sonntag sichtlich erfreut über das Ergebnis.
© IMAGO / Bernd ElmenthalerBerlin. – Die Alternative für Deutschland (AfD) hat bei der Bundestagswahl 2025 in fünf ostdeutschen Bundesländern die meisten Stimmen erhalten. Bundesweit kam die Partei auf 20,8 Prozent und wurde damit zweitstärkste Kraft nach der Union. Für Axel Salheiser, Soziologe und wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena, ist das Potenzial der AfD aber noch lange nicht ausgeschöpft, wie er in einem Gespräch mit dem NDR erklärte.
Schwäche der anderen Parteien als Ursache
Laut Salheiser profitiert die AfD von der Schwäche und dem strategischen Versagen der anderen Parteien. Insbesondere die ehemaligen Volksparteien würden keine Lösungen anbieten, um Wähler von der AfD fernzuhalten oder zurückzugewinnen. Stattdessen ziehe die AfD politische Unzufriedenheit „wie ein Schwamm“ auf. Salheiser erinnert an die Ankündigung von CDU-Chef Friedrich Merz, die AfD zu halbieren. „Nun hat sie sich exakt verdoppelt im Vergleich zu 2021“, stellt er fest. Besonders auffällig sei, dass die Partei nicht nur ihre Stammwähler halte, sondern auch ehemalige Nichtwähler mobilisiere und neue Wählergruppen erschließe.
Polarisierung als Erfolgsstrategie
Salheiser bezeichnet die AfD als „Polarisierungs-Unternehmerin“. Die Partei nutze die zunehmend aufgeheizte gesellschaftliche Stimmung für ihre Zwecke. Auch wenn die Wählerentscheidung demokratisch sei, mache das die AfD nicht zu einer demokratischen Kraft: „Sie ist antidemokratisch“, meint der Soziologe. Auch die klare Absage der CDU an eine Zusammenarbeit mit der AfD führe nicht zu einer Entspannung der Lage. „Dass die Menschen darüber nicht begeistert sind und dass sich AfD-Wähler*innen natürlich die Partei in der Verantwortung wünschen, das ist nachvollziehbar“, erklärt Salheiser.
Die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel habe bereits ihre Bereitschaft zur Regierungsbeteiligung signalisiert. „Wenn man so weiter macht in den nächsten Jahren, dann werden wir stärkste Partei“, zitiert der Soziologe Weidel. Gerade in Ostdeutschland sei das Wahlergebnis sehr stark.
Strukturprobleme begünstigen die AfD
Die Stärke der AfD in Ostdeutschland erklärt Salheiser mit langfristigen sozioökonomischen Problemen und einem Demokratiedefizit. „Ostdeutschland ist in viel stärkerem Maße flächendeckend eine Gesellschaft, die von den Transformationsumbrüchen seit der Wiedervereinigung gebeutelt ist.“ Diese Entwicklungen hätten zu spezifischen Einstellungspotenzialen geführt, die sich in rechtspopulistischen Wahlentscheidungen niederschlügen.
Zudem könne die AfD mit einer populistischen Regierungskritik punkten, die vor allem in den strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands verfange. Man sehe letzten Endes Rechtspopulismus, der sich demokratisch kleide, und auch eine vehemente und attraktiv wirkende scharfe Regierungskritik, populistisch kommuniziere, so Salheiser.
Angst vor Statusverlust als Treiber
Ein zentraler Treiber der Wahlentscheidung sei die Angst vor Statusverlust. Diese Angst werde durch „rechtsextreme“ Orientierungsmuster, scharfe Elitenkritik und eine allgemeine Demokratieunzufriedenheit verstärkt. „Wenn die Leute keine verlässliche Orientierung bekommen und Angebote, die sie als überzeugend wahrnehmen, dann wenden sie sich eben Kräften zu, die populistisch vielleicht sogar eine Rückkehr zu einer ersehnten und vermeintlich besseren Vergangenheit versprechen“, analysiert Salheiser.
Vor allem die Themen Innere Sicherheit und Migration spielten der AfD in die Hände. Gerade im Kontext der islamistischen Attentate, die von ausreisepflichtigen Asylbewerbern begangen worden seien, hätten diese Themen „sehr stark gewirkt“, betont Salheiser. Sollte es der Politik nicht gelingen, diese Problemlagen angemessen zu lösen, könnte die AfD weiter an Zustimmung gewinnen.
Potenzial für weiteres Wachstum
Das Wählerpotenzial der AfD sei bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Dies gelte nicht nur für Ostdeutschland, sondern für die gesamte Bundesrepublik: „Ich muss es ganz ehrlich sagen, das Wähler*innen-Potenzial der AfD ist weder in Ostdeutschland, noch in Süddeutschland, in Westdeutschland oder in Norddeutschland ausgeschöpft“, so der Soziologe. Insbesondere die vielen Direktmandate im Osten seien ein Indikator dafür, dass es noch ungenutzte Wählerreserven gebe.
Zudem habe die AfD bewiesen, dass sie auch aus dem Reservoir der Nichtwähler Stimmen gewinnen könne. Dass die AfD nun als zweitstärkste Kraft im Bundestag sitzt, ist für den Soziologen ein „Warnzeichen“. Der „Schaden“ sei angerichtet, meint er. Er denkt zudem, dass die stärkere Verankerung der AfD im Bundestag und auf Landesebene die Lage weiter polarisieren werde. Mit „konstruktiven Handlungen“ könne man dem entgegentreten.