Der Putinversteher (II): Der „Sündenfall“ Krim

Im zweiten Teil seines dreiteiligen Kommentars geht Hans-Jörg Jenewein weiter auf die Gründe für den Konflikt mit Russland ein. Außerdem wirft er einen Blick auf die österreichische Neutralität. (HIER den ersten Teil des Kommentars lesen.)
Hans-Jörg Jenewein
Kommentar von
2.3.2022
/
7 Minuten Lesezeit
Der Putinversteher (II): Der „Sündenfall“ Krim

Im zweiten Teil seines dreiteiligen Kommentars geht Hans-Jörg Jenewein weiter auf die Gründe für den Konflikt mit Russland ein. Außerdem wirft er einen Blick auf die österreichische Neutralität. (HIER den ersten Teil des Kommentars lesen.)

Zum große Strukturbruch, und zu Putins endgültigen Rollenwechsel als „Badboy“ führte schließlich im Jahr 2014 die Sezession der Halbinsel Krim. Auch hier sollte man immer beide Seiten sehen und auch diese höchst umstrittene Eingliederung in den russischen Staatenverbund muss aus der historischen und der auch der geostrategischen Lage Russlands von allen Seiten betrachtet werden. Rund 60 Prozent der Bewohner der Krim werden den ethnischen Russen zugerechnet, dementgegen stehen rund 25 Prozent Ukrainer, der Rest teilt sich auf Krimtataren, Armenier, Weißrussen uns sonstigen Ethnien auf. Aber warum hat Putin 2014 offensichtlich handstreichartig die Kontrolle über die Krim übernommen?

Die Demonstration am Maidan in Kiew haben 2014 relativ rasch zu einem bürgerkriegsartigen Zustand geführt. Der Hintergrund dieser Proteste war im Umstand begründet, dass der damalige Staats- und Regierungschef Wiktor Janukowytsch die Unterzeichnung einer EU-Assoziierung offenbar auf Druck Russlands aussetzte. Das führte zunächst zu Studentenprotesten, die sich recht schnell zu Gewaltexzessen mit rund 60 Toten entwickelten.

Für Verwunderung sorgte die plötzlich öffentlich zur Schau gestellte Allianz der pro-europäischen Kräfte. Neben US-Senator John McCain4 war etwa bei einer Kundgebung auf dem Maidan der russische Ex-Oligarch und verurteilte Steuerkriminelle Michail Chodorkowski Redner und er blies von dort aus zum Sturm auf den Kreml. Kritik aus dem Ausland war daran nicht zu hören, zumal die Selbstbeschreibung von Chodorkowski als „Räuberbaron“5 keinen Zweifel an seiner Vergangenheit gelassen hätte.

Bis zum heutigen Tag ist die Rolle möglicher georgischer Intervention bei diesen Demonstrationen ungeklärt und tatsächlich finden sich viele Hinweise darauf, dass Scharfschützen gezielt auf Menschen geschossen haben, um Chaos zu verbreiten und die Lage zu destabilisieren. Ein italienischer Dokumentarfilm aus dem Jahr 2018 des „Canale 5“ hat diese Gerüchte zusätzlich genährt.6

Im Jahr 2014 berichtet die Wochenzeitung „Die Welt“ darüber, dass beim Sezessionskrieg rund um die ostukrainische Provinz Lugansk hunderte US-Söldner für Kiew im Einsatz sein sollen.7 Dabei berief man sich auf Informationen des Bundesnachrichtendienstes (BND). Und die englische „Daily Mail“ berichtete im März 2014, dass im Konflikt rund um Donezk US-amerikanische Blackwater-Einheiten auf ukrainischer Seite zum Einsatz gekommen sein sollen.8

Ist dieser Fülle an Hinweisen, wonach der Westen versucht hat, die Ukraine bewusst zu destabilisieren, um sie auf einen distanzierten Kurs zu Moskau zu bringen, also kein Glauben zu schenken? Traut man den Amerikanern bzw. den Geostrategen der NATO so eine Intervention etwa nicht zu? Aus äquidistanter Sicht wäre eine unabhängige Prüfung zumindest notwendig, aber was heißt in diesem Zusammenhang schon „unabhängig“.

Tatsächlich war in jenen Frühjahrstagen 2014 das bipolare Gleichgewicht aus russischer Sicht massiv in Gefahr. Die Schwarzmeerflotte, der einzige ganzjährig eisfreie Hafen der russischen Streitkräfte liegt exponiert an der Südspitze der Krim. Eine Ukraine (inklusive Krim) als EU-Staat, eventuell sogar als Mitglied der NATO wäre für Russland der absolute Supergau gewesen. Moskau stand mit dem Rücken zur Wand und handelte. Sehr zum Leidwesen der Europäer und der NATO-Büttel, denn das wäre die historische Chance gewesen, die strategische Marine der Russen de facto unschädlich zu machen. Dass Moskau das keinesfalls zulassen konnte, war eventuell miteinkalkuliert. Sanktionen und Repressionen gegen die russische Wirtschaft waren die Folge.

Von der Krim nach Kiew – der Krieg mit vielen Gesichtern

Wer die veröffentlichte Meinung dieser Tage rund um den Angriff der russischen Streitkräfte auf die Ukraine verfolgt, bekommt einen kleinen Geschmack auf die vermeintlich distanzierte Haltung der Journalisten des Westens. Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit, wird dem berühmten US-Senator Hiram Johnson ein treffendes Zitat zugeschrieben. Und die aktuelle Entwicklung zeigt in den sozialen Medien sehr eindrucksvoll, dass in dem Zitat sehr viel Wahrheit drinnen steckt.

Da schreibt etwa der selbsternannte Doyen des investigativen Journalismus in Österreich, Florian Klenk, in einem Tweet: „Was für ein Kriegsverbrechen!“, und kommentiert dabei ein Video eines PKW, das von einem gepanzerten Fahrzeug gerammt wurde. Später stellt sich heraus, dass es sich sowohl beim PKW als auch beim Radpanzer um Ukrainer bei einem Unfall handelte. Danach löscht Klenk einfach seine Meldung und tut so, als sei hier einfach ein Fehler passiert. Kann ja vorkommen im Eifer des Gefechts.

Oder auch der vermeintliche EU-Spezialist und „Standard“-Journalist Thomas Mayer – er ist ja weltberühmt in Österreich – unterstellt einfach mal frisch von der Leber weg, dass „Putins Armee in Syrien Fassbomben gegen die Zivilbevölkerung abwerfen lies“. Er bleibt zwar jeden Beweis für diese durch und durch wahrheitswidrige Behauptung schuldig, aber behaupten wird man es doch noch dürfen. Geht ja schließlich gegen das personifizierte Böse. Da ist jede Unwahrheit erlaubt.

Genauso wie er tags darauf schreibt: „Denke, Russlands Präsident Putin, dessen aufgedunsenes Gesicht auf Krankheit hindeutet, hat mit diesem Aggressionskrieg gegen die Ukraine mittelfristig sein politisches Ende besiegelt. Er kann das Land vielleicht einnehmen, aber 44 Millionen Ukrainer kann er nicht beherrschen.“

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Propaganda innerhalb von Stunden die ernstzunehmende Berichterstattung abgelöst hat. Im Falle von Thomas Mayer sogar so weit, als er vom Pandemie- und Virenspezialist jetzt gleichsam zum „Facharzt für Ferndiagnostik“ mutiert ist.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Stellungnahme des deutschen Fernsehsenders „Phoenix“ zu einer Aussage von Vladimir Putin: „Als Reaktion auf die #Sanktionen gegen den #Kreml versetzt der russische Präsident die Abwehr seines Landes in Alarmbereitschaft. (Unser Dolmetscher sagt Atom-Streitkräfte, das ist aber wohl nicht korrekt.)“9 Unabhängig davon berichten heute alle wesentlichen Medien davon, dass Putin die Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft gesetzt hat…

Eine neue Kriegslust in Europa!

Insgesamt kommt man jedenfalls nicht umhin, eine gewisse Kriegslust in Europa zu verspüren. Der Frühling, der dieser Tage seine ersten Knospen gezeigt hat, steht zwar gemeinhin für Wärme und Neuanfang, im Jahr 2022 jedoch kann es manchen Zeitgenossen gar nicht schnell genug gehen. Da wird an die Verteidigungsbereitschaft der ukrainischen Bevölkerung appelliert, der Aufruf des Verteidigungsministeriums sogenannte Molotow-Cocktails zum Kampf vorzubereiten und den nächstgelegenen Schutzraum aufzusuchen, wird durch Medienpropaganda stilisiert.

Interessant dabei ist, dass gerade all jene, die in den vergangenen Jahren die Entwaffnung der Polizei gefordert haben, die das Bundesheer auflösen oder zumindest nur noch zu einer reinen Pioniertruppe umfunktionieren wollten, jetzt am lautesten applaudieren, wenn etwa der deutsche Bundeskanzler Scholz ein Sonderbudget von 100 Milliarden Euro für die deutsche Bundeswehr ankündigt.

Überhaupt scheint gerade dieser Stunden ein sogenanntes „Aha-Erlebnis“ durch manche Köpfe zu gehen. Gerade bei den „ach so aufgeklärten“ Liberalen, deren Naserümpfen gegenüber dem Bundesheer immer deutlich spürbar war. Der Zivildienst war in den Augen der urbanen Bevölkerung in den vergangenen Jahren jedenfalls weit attraktiver. Wer, außer ein paar Reaktionäre und Bauernschädel macht denn schon freiwillig Wehrdienst, ich bitte Sie …

Die Haltung der Republik Österreich passt im Übrigen sehr gut zur völligen kopf- und strategielosen Haltung der vergangenen zwei Jahre. Die österreichische Neutralität, oft belächelt und totgesagt, aber nach wie vor Teil unserer Verfassung und Teil des innerstaatlichen Selbstverständnisses, wird ganz plötzlich völlig neu interpretiert. Denn wie hat Bundeskanzler Karl Nehammer im Zuge einer Medienstellungnahme so deutlich festgehalten: „Die militärische Neutralität hat ja eine interessante Geschichte, sie wurde uns aufgezwungen von den Sowjetkommunisten als Preis dafür, dass wir die Freiheit wiedererlangen konnten“10. Das heißt also: Eigentlich wollen wir gar nicht neutral sein, ja wir warten nur darauf, dass wir endlich ein bisschen mitspielen können im Konzert der Großen. Nur womit sollen wir eigentlich spielen?

Das österreichische Bundesheer – bedingt einsatzfähig …

Das Bundesheer wurde durch die SPÖ und die ÖVP in den vergangenen Jahrzehnten auf eine Statistenrolle runtergespart: Wenn es Hochwasser geben sollte, dann brauchen wir Pioniere, beim Skiwochenende in Kitzbühel benötigt der Veranstalter billige Arbeitskräfte und unsere Landeshauptleute legen besonderen Wert auf die Militärmusikkapellen. Das war es dann aber auch schon. Um tatsächlich Teil einer Interventionstruppe sein zu können, braucht es jedoch ein wenig mehr als ein paar verrostete Panzer und ein paar kastrierte Eurofighter. Nicht nur, dass wir die Budgetmittel für eine halbwegs funktionierende Armee gar nicht aufbringen wollen, brauchen wir dazu eben auch jene Waffen, die ordentlich „Bumm“ machen. Aber wollen wir das überhaupt? Hat irgendjemand die Bevölkerung gefragt, ob wir „Partei“ sein wollen in so einem Konflikt? Glaubt irgendjemand, dass es für einen österreichischen Soldaten nichts Schöneres gibt, als für amerikanische Interesse oder NATO-Phantasien auf irgendeinem Schlachtfeld zu verbluten?

(HIER den dritten und letzten Teil des Kommentars lesen)

3 https://www.youtube.com/watch?v=IipaGt9WmcE

4 https://www.theguardian.com/world/2013/dec/15/john-mccain-ukraine-protests-support-just-cause

5 Erich Follath: Wer ist Michail Chodorkowski? In: Michail Chodorkowski (Hrsg.): Briefe aus dem Gefängnis. Mit einem Essay von Erich Follath. Knaus, München 2011, ISBN 978-3-8135-0449-1, S. 23–58, 31 ff.

6 https://www.mediasetplay.mediaset.it/video/matrix/esclusivo-guerra-in-ucraina-le-verita-nascoste_F308550501019C12

7 https://www.welt.de/politik/ausland/article127862117/Hunderte-US-Soeldner-sollen-fuer-Kiew-im-Einsatz-sein.html

8 https://www.dailymail.co.uk/news/article-2576490/Are-Blackwater-active-Ukraine-Videos-spark-talk-U-S-mercenary-outfit-deployed-Donetsk.html

9 https://twitter.com/phoenix_de/status/1497981014043463686?s=20&t=jVPl0ylu46j54D292P6s_A

10 https://twitter.com/GHauschka/status/1497644778909020168?s=20&t=UQgMFakD_u-TjI7QrC1E9A

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor
Hans-Jörg Jenewein

Hans-Jörg Jenewein

Zur Person: Hans-Jörg Jenewein war langjähriger Pressesprecher, acht Jahre Landesparteisekretär der FPÖ-Wien, neun Jahre Parlamentarier in Nationalrat und Bundesrat mit verschiedenen Sprecherfunktionen (Medien, Inneres, Sicherheit).

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