Ein Blick nach Frankreich: Die beiden dortigen Rechtsparteien kurz erklärt
In Frankreich haben die Wähler des rechten Spektrums die Wahl zwischen zwei Parteien, dem Rassemblement National und der Reconquête. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass sich die beiden Parteien in vielerlei Hinsicht voneinander unterscheiden. In seinem Kommentar für FREILICH geht Matisse Royer auf diese Unterschiede näher ein.
Die französische Rechte ist gespalten. Zum einen durch den Rassemblement National, ehemals Front National, die historische Partei der von vielen sogenannten „extremen Rechten“, deren ehemaliger Vorsitzender Jean-Marie Le Pen durch sein lebenslanges Engagement für seine Partei weltweit bekannt geworden ist. Zweitens hat der Journalist Éric Zemmour im Jahr 2021 seine Partei Reconquête gegründet. Er konnte auf die Unterstützung von Abgeordneten des RN oder der Identitären Bewegung zählen. Trotz möglicher Gemeinsamkeiten gibt es inhaltliche und formale Unterschiede zwischen den beiden Bewegungen.
Zunächst zur Reconquête. Diese junge Bewegung verfolgt eine Strategie der Vereinigung der Rechten, insbesondere durch den Beitritt verschiedener Persönlichkeiten, die von den Regierungsrechten Jacques Chiracs bis zu radikalen Rechten wie der Identitären Bewegung reichen. So präsentierte Éric Zemmour mit seiner Spitzenkandidatin Marion Maréchal „die einzige Liste bei den Europawahlen, die gleichzeitig gegen die Islamisierung Frankreichs und Europas, für eine rechte Wirtschaft und gegen die woke Ideologie ist“.
Zwei Parteien stehen sich gegenüber
Die Unterschiede zwischen den beiden Parteien sind vielfältig: Die Steuerpolitik von Reconquête sieht eine massive Senkung der Steuern vor allem für Unternehmen vor, um Investitionen, Wirtschaftswachstum und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern. Laut Zemmour soll sich der Staat stärker zurückhalten, die Deregulierung und Liberalisierung der Märkte vorantreiben und gleichzeitig die Bürokratie massiv abbauen. Zudem sollte die Handelspolitik offener und freihandelsfreundlicher gestaltet werden.
Auf gesellschaftlicher Ebene setzt Reconquête auf eine Wirtschaftspolitik, die sich der Einwanderung widersetzt. Reconquête will den Staat so reformieren, dass es keine Sozialhilfe mehr gibt und die Vorteile des Sozialsystems ausschließlich den Franzosen zugutekommen. Darüber hinaus wird die Linie von Reconquête als „härter“ und „identitärer“ beschrieben. Insbesondere durch das Konzept der Remigration: 2022 schlägt Zemmour ein Ministerium für Remigration vor. Sie lehnen die Assimilation nicht ab, sondern setzen sie anders ein als die RN. In Bezug auf LGBT-Rechte ist die Reconquête-Linie viel konservativer. Zemmour lehnt zum Beispiel weiterhin die „Ehe für alle“ ab.
Ein freiheitlicher Blick auf die Wirtschaft
Drittens: Auf europäischer Ebene gehört Reconquête einer anderen Fraktion an als die RN, nämlich der ECR. Der Rassemblement National und Reconquête unterscheiden sich also erheblich in ihrer Herangehensweise an die europäische Frage. Gegenüber der Europäischen Union scheint Reconquête, obwohl sie sich im Allgemeinen als patriotische und souveränistische Bewegung positioniert, in der Frage der EU-Mitgliedschaft keine so entschiedene Haltung einzunehmen wie der RN. Die Bewegung strebt eine Reform der EU mit engeren, aber reformierten Beziehungen an. Einer der Punkte, an denen Reconquête im Europäischen Parlament arbeiten will, ist die Stärkung der Grenzen und die Koordination zwischen den europäischen Ländern, um die Migrationsströme effektiv zu steuern.
Auf geopolitischer Ebene schließlich verfolgt Reconquête eine Außenpolitik, die sich stärker an den Interessen des Westens orientiert, insbesondere über die NATO. Marion Maréchal erklärte, der Wunsch nach einem Sieg der Ukraine dürfe nicht dazu führen, dass man sich selbst am Krieg beteilige. Darüber hinaus wird Israel uneingeschränkt unterstützt, was im Gegensatz zur Mäßigung der RN in diesen beiden Fragen steht. Die Bewegung befürwortet eher eine multilaterale Diplomatie und betont die Zusammenarbeit mit europäischen Partnern über internationale Institutionen, um globale Herausforderungen zu bewältigen.
Alte Partei mit guter Struktur
Der Rassemblement National (RN) ist eine ältere Partei und verfolgt daher eine andere Strategie. Die Partei von Marine Le Pen hat Erfahrung mit nationalen Wahlen. Sie ist dreimal angetreten, davon zweimal im zweiten Wahlgang. Der RN hat den Anspruch, eine Regierungspartei zu sein.
Die wirtschaftspolitischen Positionen des RN unterscheiden sich deutlich von denen der Reconquête. Der RN neigt dazu, eine Steuerpolitik vorzuschlagen, die sich auf die Besteuerung von Großunternehmen und hohen Einkommen konzentriert und gleichzeitig eine Umverteilung des Reichtums zugunsten der benachteiligten Franzosen befürwortet. Der RN befürwortet einen starken, provisorischen und interventionistischen Staat, der in der Lage ist, die nationalen Interessen zu schützen, die Wirtschaft zu regulieren und der Bevölkerung umfassende öffentliche Dienstleistungen anzubieten. In diesem Sinne ist die Handelspolitik des Rassemblement National protektionistisch und geht zulasten des Freihandels. In der Währungspolitik gibt es eine Zweideutigkeit. Früher wollte der RN die Europäische Union und die Eurozone verlassen. Heute scheint dies weniger der Fall zu sein. Der RN hat starke souveränistische Vorbehalte gegenüber dem Euro und der Währungsunion.
Zweitens auf sozialer Ebene. In der Einwanderungsfrage vertritt der RN in der französischen Politik eine strikte Position. So will der RN die illegale Einwanderung bekämpfen und gleichzeitig die legale Einwanderung reduzieren. Dennoch haben sich viele aufgrund der Nachgiebigkeit des RN in diesem Punkt entschieden, sich Reconquête anzuschließen. Die Ablehnung der Remigration, die seit 2022 vor Zemmour und 2024 von der AfD unterstützt wird, stellt für einen Teil der Wähler einen Verrat dar. Für Marine Le Pen ist dieses Konzept „völlig antirepublikanisch“. Der RN setzt sich für eine starke nationale Identität ein, um Ausländer mit legalem Aufenthaltsstatus zu assimilieren. Die Assimilation ist von grundlegender Bedeutung für die Bewahrung der nationalen Identität, die das französische Ideal verkörpert. Der Rassemblement National verkörpert diese Idee sehr gut. Sie umfasst sowohl gebürtige Franzosen als auch europäische Einwanderer und Nichteuropäer wie Schwarze und Araber aus verschiedenen Einwanderungsländern. In Bezug auf LGBT- „Rechte“ ist der RN weit weniger konservativ als Reconquête. Marine Le Pen, einst Gegnerin der Ehe für alle, erklärte 2022: „Ich werde den Franzosen keine Rechte wegnehmen“ Außerdem stimmte die Mehrheit der RN-Abgeordneten für die Konstitutionalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und für die Verlängerung der Frist von 12 auf 14 Wochen.
EU-Ablehnung und gaullistische Außenpolitik
Drittens gibt es Unklarheiten auf europäischer Ebene, etwa in der Währungspolitik. Die Partei ist traditionell euroskeptisch und hat sich für einen Austritt Frankreichs aus der EU ausgesprochen. Der RN kritisiert die EU für ihren Mangel an Demokratie, ihren negativen Einfluss auf die nationale Souveränität und ihren Liberalismus. Im Gegensatz zu Reconquête, die offenbar die Grenzverwaltung mit den europäischen Ländern koordinieren will, strebt der RN eine größere Unabhängigkeit bei der Verwaltung der nationalen Grenzen an, was auch die Infragestellung der europäischen Abkommen über Freizügigkeit und Grenzverwaltung einschließt.
Auf geopolitischer Ebene schließlich steht der RN internationalen Bündnissen, insbesondere der NATO, skeptisch gegenüber. Vorwiegend wird die Orientierung Frankreichs an der Außenpolitik der USA kritisiert. Der RN tendiert zu einer unabhängigeren Außenpolitik, die den direkten Dialog mit anderen Staaten dem Dialog über internationale Institutionen vorzieht. Es gibt also einen isolationistischeren Ansatz in der Außenpolitik, der eine größere Autonomie in der Entscheidungsfindung befürwortet. Marine Le Pen ist eher russlandfreundlich, auch wenn sie sich in dieser Frage seit der Invasion der Ukraine durch Putin allmählich bewegt.
Im Zusammenhang mit den Europawahlen haben wir offene Angriffe des RN auf Reconquête wegen einer angeblichen „Offenheit“ gegenüber der Einwanderung erlebt. Die Unterstützung für Reconquête lässt sich jedoch mit einer härteren Haltung gegenüber der Einwanderung erklären. Trotz der politischen Unterschiede zwischen den beiden Strukturen ist die Wählerbasis also relativ ähnlich (die von R! sind gebildeter und wohlhabender; die vom RN sind traditionell eher Handwerker – aber auch das ändert sich in letzter Zeit), und oft können die Wähler diese politischen Angriffe nicht verstehen.
Zur Person:
Matisse Royer, Jahrgang 2001, studiert Medizin in Südfrankreich und engagiert sich für soziale und politische Belange auf Korsika, in der Bretagne und darüber hinaus in ganz Europa.