Freilich #32: Süchtig nach dem Kick

Entwicklungshilfe: Afrika leidet unter den Oberlehrerfantasien der Helfer

In den vergangenen Wochen wurde wieder verstärkt über Entwicklungshilfe diskutiert. Die einen halten sie für notwendig, die anderen für schädlich für die Empfängerländer.

Kommentar von
16.3.2025
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5 Minuten Lesezeit
Entwicklungshilfe: Afrika leidet unter den Oberlehrerfantasien der Helfer

Trumps Vorgehen im Fall USAID hat in den vergangenen Wochen international für Schlagzeilen und Empörung gesorgt.

© IMAGO / Dreamstime

USAID wurde 1961 unter Präsident John F. Kennedy gegründet, um Entwicklungsländern zu helfen und den Einfluss der Sowjetunion während des Kalten Krieges einzudämmen. John J. Gilligan, demokratischer Politiker, ehemaliger Gouverneur von Ohio und USAID-Direktor von 1977 bis 1979, behauptete, die Organisation sei von CIA-Leuten unterwandert worden. Die zweite Trump-Administration hat kürzlich einen 90-tägigen Stopp der Auslandshilfe beschlossen, um fragwürdige Aktivitäten zu überprüfen. Erste Enthüllungen deuten darauf hin, dass USAID weit über normale Entwicklungshilfe hinausging. Auch die Struktur von USAID wirft Fragen auf – etwa Geldflüsse in die Steueroase Cayman Islands. Die Aktivitäten gehen damit weit über den Rahmen amerikanischer Wohltätigkeit hinaus, wie Diplomaten in den betroffenen Ländern, etwa in Afrika, schon lange vermuteten.

Vor allem deutsche Medien, die sich seit Jahren aus „moralischen Gründen“ davor drücken, die Wirkung von Entwicklungshilfe kritisch zu hinterfragen, sind empört über das Vorgehen von Elon Musk und Donald Trump. Sie wiederholen immer wieder die gleichen Narrative. Ich bin aber überzeugt, dass die Überprüfung in den USA auch eine Überprüfung der deutschen Entwicklungspolitik nach sich ziehen sollte, die seit Jahren schuldenfinanziert ist. Die Frage, wann Entwicklungshilfe in einem Land eingestellt werden kann, kann keine Organisation beantworten – auch weil sich niemand diese Frage stellen will. Deshalb biete ich hier einige Hilfestellungen aus meiner langjährigen Erfahrung in Afrika und Armenien an.

Keine selbstkritische Diskussion

Eine sachliche Diskussion erfordert zunächst die ernsthafte Auseinandersetzung mit fünf zentralen Fragen:

  • Warum konnte die Hilfe nicht die Eigenanstrengungen der Menschen und Gesellschaften stärken – insbesondere durch Bildung und bessere Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Aktivitäten? Die Wünsche, Bedürfnisse und Initiativen der Bevölkerung sollten stärker berücksichtigt werden, um von Kooperation statt von Hilfe sprechen zu können.

  • Warum werden Infrastrukturprojekte nicht nur in Ländern finanziert, die bereits gebaute Anlagen dauerhaft unterhalten, um möglichst viele Menschen in Arbeit zu bringen? Die derzeitige Praxis schafft sozialen Sprengstoff. Jedes Jahr drängen mehr als 30 Millionen junge Afrikaner auf den Arbeitsmarkt. Kein Wunder, dass afrikanische Autokraten ihre arbeitslosen jungen Männer nach Europa abschieben wollen.

  • Warum haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten den verschwenderischen Wettbewerb mit den Entwicklungsländern nicht beendet? An mangelnder Unterstützung kann es nicht liegen, dass Afrika zum Armenhaus geworden ist.

Warum erhalten Länder Hilfe, die ihre Einnahmen aus Bodenschätzen nicht offenlegen? Auch in Afrika wächst der Widerstand gegen Hilfsgelder und deren unkontrollierte Verteilung. Warum werden Länder wie China und Indien, die sich selbst helfen können, nicht längst nicht mehr unterstützt?

Keine Lösung für Armutsprobleme

Missstände in der Entwicklungspolitik werden gerne mit humanitären Phrasen übertüncht. Auch hier sitzen die Deutschen oft auf einem hohen moralischen Ross. Es ist an der Zeit, die Naivität abzulegen und die Dinge substanziell zu hinterfragen. Das wäre lohnend, aber es fehlt an Interesse, Geduld und offenbar auch an fachlicher Kompetenz. Ständig wachsende Geldströme von außen lösen keine Armutsprobleme – im Gegenteil: Die Umverteilung von Nord nach Süd zerstört Anreize, verschüttet lokale Potenziale und verführt talentierte Menschen, ihr Glück in der Entwicklungshilfe statt im Unternehmertum zu suchen.

Wir sollten uns Afrika unbefangener nähern und den Afrikanern zutrauen, ihre Probleme selbst zu lösen. Wir – in Deutschland, in Europa – müssen uns fragen, warum wir so versessen darauf sind, dass Subsahara-Afrika am Entwicklungstropf hängt. Viele Afrikaner empfinden das westliche Gutmenschentum inzwischen als militanten Egoismus. In der Entwicklungshilfe gibt es keine Patentrezepte. Die jahrzehntelange Realitätsverweigerung bringt die Länder nicht voran, schafft kaum Arbeitsplätze vor Ort, steigert den Wohlstand weniger, beseitigt aber nicht das Elend der Vielen. Das wissen wir, aber der Diskurs wird nicht differenzierter, sondern eintönig im Bemühen um politische Korrektheit.

Afrika am Tropf: Abhängigkeit statt Fortschritt

Stattdessen sollten wir den steinigen, aber realistischen Weg einer selbstkritischen Diskussion über die Wirkung von „Hilfe“ gehen. Dann würden wir erkennen, dass afrikanische Eliten weniger Hilfslieferungen oder Spenden brauchen, sondern einen Sinn für Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Wir brauchen eine neue Generation von Eliten, die Afrika managen können. Derzeit zerfällt in vielen Staaten das soziale Gefüge, die Kräfte der Menschen werden im täglichen Überlebenskampf aufgezehrt.

Die Entwicklungspolitik hat in vielen Ländern die Qualität der Regierungsführung verschlechtert und interne Reformen verhindert. Die Mittel steigen, aber die Empfänger werden nicht sorgfältiger ausgewählt. Auch in wohlmeinenden Helferzirkeln, die gerne Füllhörner über den Kontinent ausschütten, hat sich herumgesprochen, dass echte Entwicklung in Afrika nur autogen, aus eigener Kraft und eigenem Antrieb, erfolgen kann. Selbst geübten Schönfärbern fällt es schwer, nach fast 60 Jahren Hilfe von befriedigenden Ergebnissen zu sprechen. Afrika bleibt ein dunkler Kontinent: zu wenig Licht und Strom, zu wenig Bildung, zu wenig Gesundheitsvorsorge, zu wenig Familienplanung, zu wenig Industrie und damit zu wenig Arbeitsplätze.

Regierungsführung und Korruption als Problem

Afrika ist voller Rohstoffe, menschlicher Potenziale und Lebensfreude – trotz teilweise bedrückender Armut durch schlechte Regierungsführung und Korruption. Der Kontinent hat alles, um seine Probleme zu lösen. Er muss und kann es aus eigener Kraft schaffen – dann kann man über Unterstützung reden. In einigen Staaten (zum Beispiel Botswana, Äthiopien, Senegal, Namibia, Ruanda, Togo) hat es Verbesserungen gegeben. Aber gemessen an dem, was möglich wäre, schneiden die meisten afrikanischen Länder schlecht ab. In vielen Staaten herrscht das Recht des Stärkeren.

Eine übermächtige Minderheit bereichert sich schamlos auf Kosten der oft ohnmächtigen Mehrheit. Bodenschätze werden verscherbelt, die Stärksten sichern sich den Löwenanteil. Trotz eines durchschnittlichen Wachstums von sechs Prozent leiden Millionen Menschen unter Ernährungsunsicherheit und Armut. Missmanagement und Misswirtschaft sind die Hauptursachen. Mit Gerechtigkeit und Arbeit haben afrikanische Regime am wenigsten zu tun. Die Menschen leiden unter der Selbstbereicherung politischer Eliten, die das Potenzial des Kontinents nicht nutzen. Im frankophonen Afrika heißen sie „grandes légumes“, in Südafrika „fat cats“.

Betreuung statt Befähigung

Afrika leidet nach wie vor unter zu viel Fürsorge. Was haben deutsche Gelder in Afrika wirklich zur Armutsbekämpfung, Demokratieförderung und zum „institution building“ beigetragen? Eine kritische Erfolgskontrolle fehlt. Die Kriterien sind nicht nachvollziehbar. Jahresberichte zeigen nur, wie viel Geld in Projekte geflossen ist – nicht, was sie bewirkt haben.

Ich behaupte, dass allein die Katastrophenhilfe den Betroffenen etwas gebracht hat, aber auch das nur begrenzt. Wenn sie zur Dauereinrichtung wird, richten sich die Menschen darauf ein. Gefährlich wird diese „Hilfe“, wenn sie sicherer ist als der Ertrag aus eigener Arbeit. Heute gilt: Je bedürftiger ein Land ist, desto mehr können die Verantwortlichen kassieren. Bedürftigkeit ist ein Trumpf in den Verhandlungen mit den Gebern. Wenn eine Bevölkerung über Generationen auf Hilfe von außen angewiesen ist, verfestigt sich die Abhängigkeit. Entwicklungshilfeorganisationen werden zum Selbstzweck.

Keine „Hilfe zur Selbsthilfe“

Seit Jahrzehnten zeigt sich, dass Entwicklungshilfe meist das Gegenteil ihrer Ziele erreicht. Hilfe ist ein gefährliches Suchtmittel und macht abhängig. Sie ist ein unwürdiges Geschäft, nützt der Entwicklungsindustrie und schadet den sogenannten Entwicklungsländern. Dem Steuerzahler wird sie perfider Weise als „Hilfe zur Selbsthilfe“ verkauft. Die Bekämpfung korrupter Staatsapparate wäre die beste Selbsthilfe für afrikanische Regierungen.

Oberstes Ziel unserer Entwicklungshilfe sollte es sein, sich selbst überflüssig zu machen. Sie scheitert nicht an Geldmangel. In allen Ländern, in denen ich gearbeitet habe, hatten wir Probleme, sinnvolle Projekte zu finden, um die Mittel loszuwerden („Mittelabflussdruck“). Entwicklung kann man nicht erzwingen. Dennoch fließen Milliarden von Hilfsgeldern in Prestigeprojekte oder versickern in der Bürokratie. „Die hydraulische Vorstellung von Entwicklungshilfe – wenn vorne Wasser in die Leitung fließt, kommt hinten die gleiche Menge heraus – ist eine gefährliche Illusion“, sagte Angus Deaton, Wirtschaftsnobelpreisträger 2015.

Entwicklungshilfe sei ein Gebot der Menschlichkeit, heißt es. Wer anderer Meinung ist, gilt als inkompetent oder voreingenommen. An der Idee, Gutes zu tun, wird festgehalten, obwohl die Realität sie widerlegt. Gegen die schädliche Entwicklungshilfe-Ideologie ist schwer anzukommen. Wo Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte fehlen, blüht die Korruption.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Volker Seitz

Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv 11. Auflage 2021, war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das Auswärtige Amt tätig. Er schreibt für verschiedene Medien wie Achgut und Pragmaticus.


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