HTS-Regime und EuGH-Urteil: Sind acht Millionen syrische Frauen jetzt asylberechtigt?
Die Vergangenheit von Vertretern der syrischen Übergangsregierung lässt vermuten, dass die neue Rechtsordnung im Land eine autoritäre und religiöse Prägung erhalten könnte – zum Nachteil der Frauen. Hier könnte ein jüngst vom EuGh ergangenes Urteil ins Spiel kommen.
Damaskus. – Die syrische Übergangsregierung unter Führung der islamistischen HTS (Haiʾat Tahrir asch-Scham) hat angekündigt, die bestehende Verfassung von 2012 sowie das Parlament für drei Monate außer Kraft zu setzen. Ziel sei es, eine neue Rechtsordnung zu schaffen, erklärte HTS-Sprecher Obeida Arnaout laut Medienberichten. Ein „Rechts- und Menschenrechtsausschuss“ soll die Verfassung überprüfen und über Änderungen entscheiden. Obwohl die aktuelle Verfassung die religiöse und kulturelle Vielfalt Syriens berücksichtigt und den Islam nicht als Staatsreligion festschreibt, ist unklar, auf welcher Grundlage die künftige Rechtsordnung basieren wird. Arnaout versprach jedoch, einen Rechtsstaat aufbauen zu wollen.
Rolle von Justizminister al-Waisi bei den Reformen
Der neue Justizminister der Übergangsregierung, Mohammad Shadi al-Waisi, wird eine Schlüsselrolle bei den geplanten Reformen spielen. Al-Waisi, der bereits Justizminister der HTS-Regierung in Idlib war, gilt als Vertreter islamistischer Ideologien. Er war am Aufbau von Scharia-Gerichten in den von Rebellen kontrollierten Gebieten beteiligt und fungierte dort auch als Richter. Seine Vergangenheit lässt vermuten, dass die neue Rechtsordnung eine religiöse Prägung erhalten könnte.
Reaktionen auf das geplante Rechtssystem
Die Ankündigungen der HTS stoßen auf Skepsis. Kritiker verweisen auf die autoritäre Führung der sogenannten „Heilsregierung“ in Idlib, der wiederholt vorgeworfen wurde, Frauenrechte zu unterdrücken. Al-Waisi ist einer von mehreren Ministern der Übergangsregierung, die aus der Verwaltung von Idlib stammen, darunter Innenminister Mohammad Abdul Rahman. Die Machtkonzentration bei der HTS und die Verbindungen ihrer Mitglieder zu autoritären Strukturen lassen Zweifel an der Demokratisierung aufkommen.
Auswirkungen des EuGH-Urteils auf syrische Frauen
Das kürzlich ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Situation afghanischer Frauen könnte auch auf die rund acht Millionen syrische Frauen anwendbar sein. Der EuGH entschied, dass Frauen in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts als systematisch verfolgt gelten und somit Anspruch auf Asyl haben (FREILICH berichtete). Gründe dafür sind unter anderem Zwangsverheiratung, fehlender Schutz vor häuslicher Gewalt, Zwangsverschleierung und Ausschluss von Bildung und Arbeit. Diese repressive Behandlung wurde als systematische Verletzung grundlegender Menschenrechte eingestuft.
Die geplanten rechtlichen Veränderungen unter der HTS könnten für Frauen in Syrien ähnliche Auswirkungen haben wie unter den Taliban in Afghanistan. Bereits jetzt gibt es unter der HTS in Idlib Gerichte, die auf islamischem Recht basieren und Frauenrechte stark einschränken. Sollten die Pläne der HTS umgesetzt werden, könnten auch syrische Frauen aufgrund des EuGH-Urteils vermehrt Asyl in anderen Ländern, etwa Deutschland, beantragen, da ähnliche Formen der systematischen Unterdrückung zu erwarten sind.
Politische Reaktionen auf das EuGH-Urteil
Das Urteil des EuGH wurde unterschiedlich aufgenommen. Die SPÖ-Europaabgeordnete Elisabeth Grossmann begrüßte es als „richtigen Schritt“, um Frauen in islamistisch regierten Staaten Schutz zu bieten. Petra Steger von der FPÖ kritisierte hingegen, das Urteil schaffe „ein generelles Asylrecht für alle Frauen“, was sie als „weltfremd“ bezeichnete. Auch der AfD-Politiker René Springer äußerte sich kritisch: „Afghanische Frauen haben Anspruch auf Asyl, nur weil sie Frauen sind. Über Familiennachzug können dann ALLE Angehörigen nachkommen.“ Diese Praxis gefährde die europäische Zivilisation.
Das EuGH-Urteil hat die Schutzanforderungen für Frauen aus Afghanistan grundlegend verändert. Sollten ähnliche Maßstäbe auch für syrische Frauen gelten, könnte dies die Zahl der Asylanträge deutlich erhöhen.