Kurios: Syrische Islamisten wollen „diverses“ Syrien
Die dschihadistische Gruppierung Hayat Tahrir al-Sham (HTS) präsentiert sich in Syrien zunehmend als „staatliche“ Instanz und überrascht in jüngster Zeit mit einer positiven Haltung zu „Diversität“.
Die dschihadistische Gruppierung Hayat Tahrir al-Sham (HTS) hat sich in den letzten Jahren von einer militärischen Organisation zu einer politischen Akteurin entwickelt, die nun offiziell mit dem Aufbau staatlicher Strukturen in Syrien beginnt. Besonders bemerkenswert ist dabei der Versuch von der HTS, sich als „vielfältig“ darzustellen – ein Begriff, der eher mit westlichen Büros als mit Dschihadisten in Verbindung gebracht wird.
HTS übernimmt Kontrolle über Aleppo
In einer symbolischen Geste hat die HTS am Montag die Verantwortung für die syrische Stadt Aleppo an die von ihr unterstützte syrische Übergangsregierung übergeben. Aleppo mit seinen rund zwei Millionen Einwohnern war zuvor unter der Kontrolle der Assad-Regierung. Mit der Übergabe sollte nicht nur die militärische, sondern auch die politische Kontrolle dokumentiert werden. Die HTS präsentierte sich als eine Art Verwaltungseinheit, die das Leben der Stadtbewohner organisieren kann.
Der Anführer der HTS, Abu Mohammad al-Jolani, hat in den letzten Jahren versucht, das Image seiner Gruppierung zu verbessern. In einem Interview 2021 erklärte er, die Verwaltung unter der syrischen Übergangsregierung sei islamisch, aber „nicht nach den Maßstäben des IS oder auch Saudi-Arabiens“. Besonders auffällig ist, dass Jolani das Prinzip der „Vielfalt“ betont: „Vielfalt ist eine Stärke“, verkündete er in einer Erklärung nach der Einnahme von Aleppo.
HTS präsentiert sich als staatliche Macht
Die HTS tritt in den von ihr kontrollierten Gebieten zunehmend als „staatliche“ Instanz auf. Neben der Wiederherstellung der Grundversorgung wie Müllabfuhr und Wasserversorgung hat die HTS auch bürokratische Strukturen aufgebaut. Die Zakat-Kommission verteilt Nothilfe und Bäckereien werden mit Brennstoff versorgt, um die Brotproduktion aufrechtzuerhalten, wie der britische Telegraph berichtet. Dieser Schritt hin zu einer „funktionierenden“ Verwaltung soll vor allem der lokalen Bevölkerung, aber auch internationalen Akteuren zeigen, dass die HTS mehr ist als eine militante Organisation.
Im Gegensatz zu anderen radikalen islamistischen Gruppierungen, die wenig Raum für religiöse oder kulturelle Vielfalt lassen, betont die HTS die Bedeutung der Vielfalt in den von ihr kontrollierten Gebieten. Nach der Eroberung Aleppos versicherte Jolani, dass der kulturelle und religiöse Reichtum der Stadt respektiert werde: „Aleppo ist ein Treffpunkt der Zivilisation mit kultureller und religiöser Vielfalt für alle Syrer“, sagte er. Vor allem die christliche und kurdische Bevölkerung solle sich sicher fühlen und ermutigt werden, weiterhin ihren Bräuchen nachzugehen.
HTS und der Umgang mit Frauen und Rauchern
Ein weiteres Beispiel für die von der HTS propagierte „Toleranz“ ist der Umgang mit Frauen und anderen gesellschaftlichen Normen. Während die Taliban in Afghanistan Frauen strikt zur Verschleierung verpflichteten, erlaubte Jolani den Frauen in Idlib, keinen Schleier zu tragen. Ebenso erlaubte er das Rauchen.
Trotz dieser Bemühungen, sich als „diversitätsfreundlich“ zu präsentieren, bleibt die Integration von Minderheiten in die Verwaltung der HTS fraglich. Zwar hat Jolani bereits Kontakt zu Christen und Drusen in Idlib aufgenommen und in der Übergangsregierung wurde eine Direktion für Minderheiten eingerichtet, politisch sind diese Gruppen jedoch unterrepräsentiert. Auch Frauen sind in der Regierung kaum vertreten, obwohl sie in der Gesellschaft deutlich aktiver sind als unter anderen islamistischen Regimen.