So könnte es nach der Wahl in Spanien weitergehen
Nach der Wahl droht Spanien der politische Stillstand. Den Konservativen und Sozialisten fehlen jeweils die Mehrheiten. In seiner Analyse für FREILICH skizziert Marvin Mergard drei unterschiedliche Szenarien, wie es in Spanien nun weitergehen könnte.
Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Partido Popular und der PSOE deutete bereits in den letzten Wochen auf ein knappes und spannendes Ergebnis hin. Doch wer angesichts der vorgezogenen Neuwahlen auf einen klaren Sieger und eine schnelle Regierungsbildung gehofft hatte, der dürfte angesichts des Ergebnisses enttäuscht sein.
Theoretische Prognosen und praktische Ergebnisse
Bereits vor den Wahlen zeichnete sich eine Stärkung der jeweiligen großen Mitte-links- und der Mitte-rechtes-Parteien ab. Die PP wollte nicht nur ihr vergangenes desaströses Wahlergebnis von rund 20 Prozent vom November 2019 hinter sich lassen, sondern auch die bisherige Regierung aus Sozialdemokraten und Linken ablösen. So wie sich die PSOE einen Partner links von sich gefunden hatte, war für die politische Rechte mit Vox ein möglicher Koalitionspartner gefunden.
Diese Frontbildung zwischen PP und Vox auf der einen Seite und der PSOE und dem linken Wahlbündnis Sumar auf der anderen Seite, führte zu einem Anstieg der prognostizierten Wählerstimmen für die größere Partei des jeweiligen Lagers, die damit als Garant für den Sieg über das jeweils andere Lager galt. Das Lager rechts der Mitte wollte unbedingt den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez ablösen, das Lager links der Mitte wollte unter allen Umständen die rechte Vox von der Macht fernhalten.
Letztlich verloren beide Lager die Wahl. Während im Zweikampf der beiden großen Parteien die PP auf rund 33 Prozent und die PSOE auf knapp 32 Prozent der Stimmen zulegen und damit ihre schwachen Wahlergebnisse der Vergangenheit hinter sich lassen konnten, verloren die beiden (potenziellen) Koalitionspartner jeweils fast drei Prozent der Stimmen und kamen nur noch auf knapp über 12 Prozent. Das Ergebnis macht deutlich: Keines der beiden Lager konnte eine Mehrheit erringen. Die Anzahl der Sitze reicht weder für die eine noch für die andere Option – Alternativen sind gefragt.
Mögliche Szenarien
Eine Fortführung der linken Regierung unter Einbeziehung der Regionalparteien
Von den insgesamt 350 Parlamentssitzen entfallen 122 auf die PSOE und 31 auf die Sumar. Damit fehlen 22 Sitze für eine linke Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Da eine Große Koalition, wie sie in Deutschland häufiger anzutreffen ist, in Spanien eine bislang undenkbare Option darstellt und auch nicht absehbar ist, dass sie politische Realität werden könnte, wäre der Weg über die regionalistischen und separatistischen Parteien für Pedro Sánchez der einzige Weg, eine eigene Mehrheit zu erreichen, ohne den Schritt zu Neuwahlen riskieren zu müssen.
Diese Parteien mit ihren insgesamt 28 Sitzen sind jedoch nicht nur ideologisch breit aufgestellt (von linken bis konservativen Kräften ist alles vertreten) und verstehen sich nicht nur als Vertreter der jeweiligen Region, sondern zeichnen sich auch durch einen unterschiedlichen Grad an Kooperationsbereitschaft mit den größeren Parteien aus. Insbesondere zwischen den katalanischen Separatisten und der spanischen Zentralregierung ist das Verhältnis angespannt. Ohne die links-separatistische Esquerra Republicana de Catalunya oder die ideologisch gemischte Junts per Catalunya wird es unter den gegebenen Umständen jedoch keine Mehrheit für Pedro Sánchez geben.
Ob dies gelingt, ist höchst ungewiss. Es ist jedoch die einzige realistische Option für den Machterhalt der jetzigen Regierung, wenn der Weg über Neuwahlen als zu riskant eingeschätzt wird. Eine solche Koalition würde allerdings nur über eine hauchdünne Mehrheit verfügen, die ohne die Unterstützung eines regionalen Partners schnell zerbrechen könnte.
Eine rechte Regierung unter Einbeziehung der Regionalparteien
Der PP und der Vox fehlen nur noch sieben Abgeordnete zur gemeinsamen Mehrheit. Während einige separatistische Parteien eher links orientiert sind und vor allem Vorbehalte gegen nationalistische Tendenzen (vor allem bei der Vox) haben, gibt es auch eher bürgerliche Parteien, die eine Einigung für eine rechte Regierung mittragen könnten.
Dazu gehören die Coalición Canaria und die Unión del Pueblo Navarro, die jedoch jeweils nur einen zusätzlichen Abgeordneten stellen könnten. Möglich wäre unter Umständen die Einbeziehung der baskischen Eusko Alderdi Jeltzalea - Partido Nacionalista Vasco, die sich ideologisch gemäßigt-konservativ positioniert, in der Vergangenheit aber eher mit linken Parteien kooperiert hat.
Eine rechte Koalition unter Einbeziehung oder Tolerierung von Regionalparteien wäre für die PP und die Vox mit einigen anderen Parteien möglich, da weniger Sitze für eine Mehrheit notwendig wären, allerdings ist die Zahl der möglichen Partner sehr begrenzt. Da sich vor allem die Vox durch eine spanisch-nationalistische Politik auszeichnet, die einer Stärkung regionalistischer und vor allem separatistischer Tendenzen entgegensteht, ist diese Regierungsform noch unwahrscheinlicher als die erste Option.
Neuwahl
Die wohl wahrscheinlichste Option unter den dreien. Weder das eine noch das andere Lager kann sich eine sichere Mehrheit erreichen. Selbst die Einbeziehung der kleinen Regionalparteien wäre nur eine Regierung unter höchster Anspannung – die Gefahr des Koalitionsbruchs wäre allgegenwärtig.
Für eine stabile Regierung könnten Neuwahlen Ende 2023 oder Anfang 2024 ein gangbarer Weg sein. Dies böte die Chance auf eine klare Mehrheit des einen oder anderen Lagers und diese Koalition hätte das Potenzial, die gesamte Legislaturperiode durchzuhalten.
Vermutlich würden die kleinen linken und rechten Partner, Sumar und Vox, weitere Stimmen verlieren, während PSOE und PP ihre Stimmenanteile weiter ausbauen könnten.
Allerdings birgt diese Option immer das Risiko, dass der jeweilige politische Gegner davon profitiert und die Stimmung im Land bis zu den Wahlen in die eine oder andere Richtung kippt. Es ist nicht auszuschließen, dass kurzfristige politische Umstände im entscheidenden Moment über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Die verpasste Chance
Das patriotische Lager hatte aufgrund der Umfrageergebnisse auf eine Ablösung der Linksregierung gehofft, was jedoch nicht gelang. Vor allem das Wahlergebnis von Vox ist niederschmetternd:
Der Verlust von 15 Prozent auf 12 Prozent der Stimmen geht einher mit einem Verlust von 52 auf nur noch 33 Abgeordnete. Das spanische Wahlsystem bestraft die Vox durch ihr schwaches Abschneiden in den Wahlkreisen, das ihr nicht nur eine Koalitionsmehrheit mit der PP verwehrt. Es schwächt die Vox auch langfristig, sollte es nicht bald zu Neuwahlen kommen, bei denen die Vox wieder zulegen könnte.
Dann wäre die Koalition aus PP und einer starken Vox spannend geworden. Es wäre ein weiterer politischer Durchbruch in einem der wichtigsten europäischen Staaten gewesen und die Chance für eine konservativ-rechtsgerichtete Regierung, am Mittelmeer zu zeigen, wie konsequente Grenzschließungen und die Abschiebung illegaler Migranten umgesetzt werden können.
Nach den vergangenen und anhaltenden Enttäuschungen der Regierung Meloni in Italien wäre dies ein wichtiges Signal gewesen.
Zur Person:
Marvin Mergard, Jahrgang 1994, betreibt den Blog Vera Europa. Dort setzt er sich mit der politischen Rechten in Europa und der europapolitischen Lage aus rechter Perspektive auseinander.