Hörsaalgeflüster (1) – Trotz allem Geisteswissenschaftler!
Ein geisteswissenschaftliches Studium steht oft unter dem Verdacht der Nutzlosigkeit. Doch abseits von Karrierefragen und Ideologie bietet die Universität noch immer Raum für die Auseinandersetzung mit der abendländischen Tradition. Eine Kolumne von Marc Brunner.
„Und was willst Du eigentlich mal damit machen?“ Die Miene des Fragestellers ist besorgt, interessiert, bisweilen verunsichert. Fast immer ist er ein etwas älterer Herr, selbst hat er in den Bereichen Finanzen oder Unternehmensberatung reüssiert, vielleicht ist er auch Anwalt. Gegebenenfalls macht er mittlerweile Politik. Jedenfalls ist das für ihn nicht zusammenzukriegen: jung und ambitioniert sein – und Geisteswissenschaftler.
Doch warum Geisteswissenschaften?
Ob Partei oder Burschenschaft: junge Studenten der Philosophie, der Geschichte oder der Germanistik sehen sich in guter Regelmäßigkeit mit der Skepsis jener konfrontiert, die etwas „gescheites“ gelernt haben. Natürlich ist diese eigentlich sehr berechtigt: es gab und gibt im Grunde kaum Berufe jenseits des Lehramtes, für die der sogenannte Bachelor of Arts eine notwendige Qualifikation darstellt. Zudem ist die ideologische Situation an den Hochschulen zwischen „All Gender“-Toiletten und dem „Ring Christlich Demokratischer Studenten“, welcher jüngst in die CDU eingegliedert wurde, als einziger vermeintlich konservativer hochschulpolitischer Option, nach wie vor prekär.
Und doch gehören Theologie und Philosophie – neben Medizin und Jura – zu den vier klassischen Disziplinen, mit denen das abendländische Projekt der Universität im Mittelalter begonnen wurde. Es wäre ahistorisch, aus diesem Umstand ein prononciert geisteswissenschafliches Profil der alten Universität herauszulesen – der Bildungsbegriff war damals schließlich ganz anders gelagert. Und doch sei die Frage erlaubt: ist mit der Kaperung der Universität auch das große Erbe der Philosophie und Theologie, die sich dann über die Jahrhunderte in die anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen ausdifferenziert haben, passé? Ist es wirklich so abwegig, mehrere Jahre darauf zu verwenden, eine intellektuelle Auseinandersetzung mit diesem in den Vordergrund zu stellen? Gibt es tatsächlich keine Alternative zum Verständnis des Studiums als schlichtweg notwendiger Berufsausbildung?
Eine Empfehlung
Eines muss natürlich bei aller humanistischen Bildungsromantik klar sein: wer sich wirklich für ein geisteswissenschaftliches Studium entscheidet, haftet selbst für die Konsequenzen. Dazu gehören nicht nur die vergleichsweise schlechten Berufsaussichten, auch inhaltlich stößt der idealistische Geist schnell an methodische und bürokratische Schranken, welche an der deutschen Universität des 21. Jahrhundert unausweichlich sind. Aber als jemand, der diese Erfahrung bereits fast gänzlich hinter sich gebracht hat, würde ich doch eine klare Empfehlung an all jene aussprechen, denen gewisse Themen einfach keine Ruhe lassen.
Dem tristen Lehrbetrieb muss wahre geisteswissenschaftliche Bildung zwar bisweilen schon fast abgetrotzt werden, dennoch gibt es Stand jetzt keinen besseren Rahmen, um sich rückhaltlos (und das heißt zunächst mal: ohne jedes über den Gegenstand hinausgehende Interesse) der abendländischen Tradition zu widmen – zumindest, wenn man vorausschauend genug ist, die besonders verbrämten Veranstaltungen zu meiden und ein Gefühl dafür entwickelt, von welchem Professor es vielleicht mehr zu lernen gibt. Dabei braucht aber eigentlich gar nicht der hehre humanistische Bildungsbegriff rehabilitiert oder das Studium zum vermeintlich naiven Selbstzweck verklärt werden; Text-, Lese- und Schreibkompetenz sind Fähigkeiten, ohne die ein geisteswissenschaftliches Studium auch heute nicht möglich sind und deren Ausbildung bisweilen essentielle Vorteile auch in der beruflichen Auseinandersetzung mit Mitbewerbern bietet.
Der Vorteil des Geisteswissenschaftlers
Weiterhin mag die Universität als (vor-)politischer Raum längst gänzlich in fremden Händen liegen und entsprechende Betätigung an den Fakultäten im Grunde unmöglich sein. Aus diesem Umstand aber die strenge Abstinenz von den akademischen schönen Künsten für musische junge Leute im rechten Spektrum zu fordern, ist aus zwei Gründen absurd. Zunächst besorgt man so das Geschäft des politischen Gegners und hält ideologisch anknüpfungsfähige Studenten fern von der Universität – eine Tatsache, welcher der fortschreitenden Korrumpierung des akademischen Lehrbetriebs selbst Vorschub leistet. Sodann sind alle ideologischen Versatzstücke – sei es Gender, Klima oder Migration –, welche in den Universitäten entwickelt wurden, längst auch in weiten Teilen der Privatwirtschaft über spezifische Programme derart einflussreich, dass sich eine Konfrontation im Grunde nicht vermeiden lässt.
Ich kenne fast keinen politischen Mitstreiter, der sich im beruflichen Leben nicht auf die eine oder andere Weise tarnen und Kompromisse an den Zeitgeist konzedieren muss. Die Lage ist hier sogar sehr ernst: wer sich zu sehr exponiert, dem droht im Zweifel die Kündigung. Es scheint allein daher nicht von Nachteil zu sein, das ohnehin herrschende ideologische Klima einmal aus der Binnenperspektive des geisteswissenschaftlichen Lehrbetriebs kennengelernt zu haben, auch wenn hierfür sicherlich eine besondere Toleranz von Nöten ist. Nicht jeder begeisterte junge Goethe-Leser kann sich damit auseinandersetzen, was die zeitgenössische Germanistik über ihn zu sagen hat, nicht jeder angehende Gehlen-Rezipient erträgt das belanglose Gerede an den Lehrstühlen der derzeitigen Kultur- und Sozialanthropologie.
Es bleibt also eine Typenfrage. Das Anstreben eines fachspezifischen, also gerade nicht für das Lehramt qualifizierenden Bachelor of Arts ist sicherlich das Privileg einer Minderheit. Dieser aber sei es überlassen: als Vorbereitung auf ein anschließendes Studium, als zugestandene Entwicklungsjahre, als Zeichen, dass der deutsche Geist noch nicht völlig entflogen ist aus der höchsten Bildungsanstalt.