Aufregung über ’sexistische‘ Karikatur entlarvt öffentliche Doppelmoral

Derzeit scheint eine Darstellung der SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner die halbe Republik in Atem zu halten. Die Krähen keifen von allen Dächern, das wäre ‚Sexismus‘. Wenns die „Richtigen“ trifft, sind aber (fast) alle still.
Julian Schernthaner
Kommentar von
9.7.2020
/
4 Minuten Lesezeit
Aufregung über ’sexistische‘ Karikatur entlarvt öffentliche Doppelmoral

Symbolbild Schulterzucken: Needpix (CCO), Symbolbild Schock: Pixabay, Karikaturen (2): Screenshot Twitter, Collage: Tagesstimme.

Derzeit scheint eine Darstellung der SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner die halbe Republik in Atem zu halten. Die Krähen keifen von allen Dächern, das wäre ‚Sexismus‘. Wenns die „Richtigen“ trifft, sind aber (fast) alle still.

Kommentar von Julian Schernthaner.

Die allererste Sozialdemokraten-Chefin hat es nicht leicht. Zwischen lauter Hähnen im Korb muss sie eine Wahlniederlage nach der anderen erklären. Nicht einmal, als die Corona-Krise der Ärztin ein Hausthema zuschanzte, wusste sie die Steilauflage zu verwerten. Und jetzt, als sie einen Forderungskatalog präsentiert, lässt ein OÖN-Karikaturist sie als „Nummerngirl“ aus der Tortenkiste springen.

Heuchelnde Empörungs-Maschinerie läuft an

Alle sind sich einig: Diese Zeichnung geht gar nicht. Nicht nur die SPÖ-Frauen sprechen von einem „unerträglichen Sexismus“, auch die ÖVP-Ministerinnen Susanne Raab und Elisabeth Köstinger springen ihrer Geschlechtsgenossin zur Seite. Der Frauenring empörte sich ebenfalls. Und für die grüne Justizministerin war das Ganze überhaupt „grindig“ und eine „Herabwürdigung von Politikerinnen“.

Empörung bei Ungeziefer-Karikatur überschaubar

So weit, so gut: Geschmäcker sind bekanntlich verschieden und das gilt doppelt beim Humor. Aber es stellt sich weniger die Frage, ob wirklich irgendwelche moralischen Grenzen überschritten wurden. Die Presse- und Kunstfreiheit geht recht weit, und erlaubt auch, hin und wieder einmal ins Klo greifen zu können. Teil der Meinungsfreiheit ist freilich auch, sich über etwas zu beschweren – allerdings sollte man eine gewisse Ehrlichkeit an den Tag legen.

Denn es ist nicht die erste umstrittene Karikatur des Cartoonisten. Derselbe Mann zeichnete im Vorjahr Identitäre als Ungeziefer, die Landeshauptmann Stelzer mit Giftgas zu bekämpfen habe. All jene, welche die Rendi-Karikatur jetzt als „unerträglich“ bezeichneten, schwiegen sich aus. Mehrere patriotische Medien, auch die Tagesstimme, liefen Politikern regelrecht nach, um eine Stellungnahme zur nicht ganz unproblematischen Darstellung zu erhalten. Man wurde mehrfach vertröstet, eine Antwort kam trotzdem nie.

(Un)Parteiisches Gremium zur Selbstkontrolle

Stattdessen gab es sogar von der selbsterklärten Moralinstanz des Journalismus, dem österreichischen Presserat, nur einen Klopfer auf die Finger. Zwar erkannte er eine „Grenzüberschreitung“ per entmenschlichender Darstellung an. Gleichzeitig verwies man darauf, dass die Zeichnung ohnehin bereits gelöscht sei und sich die Redaktion bereits distanziert habe. Langer Rede kurzer Sinn: Der Senat des Presserats entschied sich, erst gar kein Verfahren einzuleiten.

Das ist übrigens derselbe Senat, der kürzlich dem patriotischen Wochenblick eine „Pauschalverunglimpfung“ nachsagte, weil er die Täter einer Prügelattacke – laut Polizeiaussendung afghanische Staatsbürger – in der Überschrift auf „Afghanengruppe“ kondensierte. Das muss diese vielgepriesene Neutralität sein, an die manche Linke sogar die Presseförderungen koppeln wollen. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus – aber wehe, der unbotmäßige Mitbewerber kommt.

Sager ist nicht gleich Sager

Am Ende des Tages ist der polit-medialen Blase nicht wichtig, was gesagt wurde. Es scheint einzig und allein darum zu gehen, wer eine Aussage tätigt – und gegen wen sie sich richtet. Harmlose Rattengedichte werden als „widerlich“ gebrandmarkt, überspitzte Unkraut-Metaphern zur Bekämpfung der Massenmigration als „NS-Rhetorik“ dargestellt. Aus Liederbüchern wird selektiv zitiert, um sie aus dem Kontext zu reißen. Rücktrittsaufforderungen, und wenn man nur gegen „Mischkulturen“ ist, inklusive.

Wenn hingegen ein Grünen-Politiker einen Zusammenhang zwischen FPÖ-Hochburgen und der Verbreitung einer Seuche hinstellt, interessiert das niemanden. Und wenn der Kanzler höchstpersönlich den Einsatz von Polizisten beim Corona-Kontakt-Tracking mit deren „Verhörerfahrung“ begründet, ist das nicht einmal der mediale Fokus, sondern Beiwerk am Rande. Aber wehe, der Falsche will, dass das „Recht der Politik“ folgt. Dann steht wieder das vierte Reich vor der Tür, mindestens.


Weiterlesen: 

Bürgerliche Mischkulturen: Die Einseitigkeit der Empörungsmaschinerie (Kolumne, 03.09.2019)

Patrioten als Ungeziefer: Die völlige Enthemmung ist da (Kolumne, 03.07.2019)

Identitäre als Ungeziefer: Kritik an umstrittener OÖN-Karikatur (02.07.2019)

Gute Ratten, schlechte Ratten: Österreich als groteske Seifenoper (Kolumne, 24.04.2019)


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Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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