Der Fall Gerhard Kaindl – Linker Terror ohne Folgen
Den Berliner Politiker Gerhard Kaindl kennt heute kaum noch jemand. Die Umstände seines Todes sind auch nach 30 Jahren noch ein heißes Politikum. FREILICH-Redakteur Mike Gutsing zeichnet die Ereignisse rund um Kaindls Tod nach und wirft Fragen auf, die bis heute ungeklärt sind.
Ähnlich wie heute die AfD sorgten die Republikaner (REP) seit Ende der 1980er-Jahre für ein mittleres politisches Erdbeben in der Bundesrepublik. Gegründet von enttäuschten CSU-Mitgliedern, die eine „Kurskorrektur von außen“ erreichen wollten, entwickelte sich die Partei unter ihrem Vorsitzenden Franz Schönhuber ab 1985 zu einer tragfähigen Rechtspartei, die ihre Vorbilder im französischen Front National (heute Rassemblement National) fand. Zwar waren ihre Wahlergebnisse mit rund sieben Prozent bei der Europawahl 1989 oder 10,9 Prozent bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 1992 nie mit denen der AfD vergleichbar, doch setzten die Republikaner ein deutliches Zeichen: Der deutschen Parteienlandschaft fehlte eine Partei des rechten Spektrums.
Schnell formierte sich eine Einheitsfront gegen die REP, besonders prägend war der bis heute für die CSU konstitutive Satz des damaligen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß: „Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben!“. Anders als heute gerne behauptet, bedeutete dieser Satz jedoch nicht, dass die Christdemokraten der jungen Rechtspartei inhaltlich „das Wasser abgraben“, sondern sie auf allen Ebenen blockierten und ausgrenzten – ein aus heutiger Sicht fragwürdiges, damals aber erfolgreiches Konzept.
Todesfalle Berlin-Neukölln
Gerhard Kaindls politisches Engagement fällt in die politisch bewegten Nachwendejahre. Bis 1991 war er Mitglied der Republikaner, wechselte dann zur Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) und avancierte schnell zum Landesgeschäftsführer der Berliner Partei. Über die Gründe für Kaindls Austritt aus den REP kann nur spekuliert werden, doch wie so viele rechte Sammlungsbewegungen, Parteien und andere Strukturen litten auch die Republikaner unter internen Querelen. Als Grund wird beispielsweise der Rücktritt Schönhubers als Parteivorsitzender genannt, der sich unter anderem für eine Zusammenarbeit mit DVU und NPD ausgesprochen hatte.
In Berlin, Kaindls Geburts- und Heimatstadt, war dieser Spitzenkandidat der freien Wählergemeinschaft Die Nationalen, die im Mai 1992 zu den Abgeordnetenhauswahlen antrat. Am 3. April 1992 nahm er gemeinsam mit dem Autor der konservativen Wochenzeitung Junge Freiheit, Thorsten Thaler, dem REP-Landesvorsitzenden Carsten Pagel und dem Verleger Dietmar Munier an einer Vortragsveranstaltung teil. In einer Gaststätte kam es dann zu dem blutigen Überfall. Sieben Personen stürmen auf die drei Gäste zu, schlagen mit Baseballschlägern auf ihre Opfer ein und stechen mit Messern zu. Kaindl stirbt noch in derselben Nacht, die anderen werden schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht.
Die Alltäglichkeit der Gewalt
In einem Großverfahren wurden 1994 insgesamt sieben Personen türkischer und kurdischer Herkunft angeklagt. Aufgrund ermittlungstaktischer Fehler konnte die Staatsanwaltschaft eine Anklage wegen Mordes und versuchten Mordes nur noch wegen Körperverletzung mit Todesfolge durchsetzen. Dadurch erhielten die Angeklagten nur drei Jahre Haft und teilweise Bewährungsstrafen. Der Hauptangeklagte ist bis heute flüchtig, eine Verbindung zur kurdischen kommunistischen Partei PKK wird vermutet.
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Neben den erwartungsgemäß niedrigen Strafen sorgten vor allem die Begründungen der Täter für Aufsehen. Die Angeklagten gaben an, sie hätten es als „Provokation“ empfunden, dass rechte Kader in ihrer Nachbarschaft ungehindert ein- und ausgehen könnten. Ihr Angriff sei durch die Anschläge von Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen legitimiert worden, die allerdings größtenteils erst nach dem Mord an Kaindl stattfanden.
Militanz als strategischer Fehler?
Der „Fall Kaindl“ wurde in der linken Szene aufmerksam verfolgt. Nachdem die Versuche des Verteidigers, des Grünen-Politikers Hans-Christian Ströbele, das Verfahren als politischen Schauprozess zu delegitimieren, gescheitert waren, wurde in der Szene nach einem anderen Kurs gesucht. Die taz sammelte dazu einige Beiträge in einem Artikel vom 9. September 1992. Die Kritik am Vorgehen der Gesinnungsgenossen reduzierte sich auf einen zynischen Strategiefehler:
„Die Menschen, die sich aus rationalen Gründen für ein gewaltsames Vorgehen entscheiden, müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Dazu gehört auch die Wahl der Waffen, die so getroffen werden muss, dass nichts passiert, was nicht das eigentliche Ziel der Aktion war. […] Unter politischen Gesichtspunkten hat der Tod Kaindls gar nichts gebracht. Dieser Tod war für uns so nötig wie ein Kropf.“
Auch im weiteren Verlauf des Artikels wird Gewalt selbst in ihrer extremsten Form nicht abgelehnt, sondern nur als letztes „notwendiges“ Mittel des politischen Kampfes angesehen. Hier drängt sich der Vergleich mit der „Hammerbande“ auf.
Aus der Defensive
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Tod Gerhard Kaindls ist in der Linken bis heute ausgeblieben, im Gegenteil, seine Mörder erfahren nach wie vor ein Maß an Solidarität, das für rechte Organisationen undenkbar wäre. Wie eine politische Rechte, die nicht den Weg in die Illegalität und Militanz sucht, mit diesen Gefahren umgehen kann, bleibt eine gefährliche Leerstelle. Aktionen wie „Solidarität mit Lina“ und „Wir sind alle Linx“ zeigen, wie nahtlos die Netzwerke von Parlament und Straße innerhalb der politischen Linken sind, die trotz schlechter Umfragewerte wie eine gut geschmierte Maschine funktioniert.