Die Generation Schneeflöckchen hat auszensiert

An vielen Universitäten des Westens haben sensible Studenten schon vor einiger Zeit sogenannte „Trigger Warnings“ für den Fall bewirkt, dass in Werken der klassischen Literatur Passagen vorkommen, die an ihren zarten Seelen anstreifen könnten. Nichts ist bezeichnender für die Generation Schneeflöckchen, die keinen schiefen Blick auslässt, um den sterbenden Schwan zu geben und die Gesellschaft in Geiselhaft der politischen Korrektheit zu nehmen. Doch dieses Schmierentheater, das unser gesellschaftliches Klima vergiftet hat, neigt sich dem Ende zu.
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11.8.2018
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4 Minuten Lesezeit
Die Generation Schneeflöckchen hat auszensiert

Symbolbilder: CC0 / Collage: Die Tagesstimme.

An vielen Universitäten des Westens haben sensible Studenten schon vor einiger Zeit sogenannte „Trigger Warnings“ für den Fall bewirkt, dass in Werken der klassischen Literatur Passagen vorkommen, die an ihren zarten Seelen anstreifen könnten. Nichts ist bezeichnender für die Generation Schneeflöckchen, die keinen schiefen Blick auslässt, um den sterbenden Schwan zu geben und die Gesellschaft in Geiselhaft der politischen Korrektheit zu nehmen. Doch dieses Schmierentheater, das unser gesellschaftliches Klima vergiftet hat, neigt sich dem Ende zu.

Kolumne von Patrick Lenart

Es geht dabei etwa um Gewaltszenen in William Shakespeares Titus Andronicus, sexuelle Inhalte in Ovids Metamorphosen oder politisch unkorrekte Wörter in Mark Twains Die Abenteuer des Huckleberry Finn, die eine ganze Generation zu traumatisieren scheinen. Sie gelten auf einigen Universitäten bereits als gefährlich und haben ernsthaft zu einer Debatte geführt, ob sie überhaupt noch behandelt werden sollen. Immerhin: Die Warnung vor den „verstörenden Inhalten, die Angstzustände auslösen können“, schützt die armen Studenten. Es ist bezeichnend für eine Generation von Schneeflöckchen, einer Generation von dauerempörten Mimosen mit Opferfetisch.

Allumfassende Betroffenheit

Ihr Wahlspruch: Unter keinen Umständen darf irgendwer (gemeint sind natürlich ausschließlich weiße Männer) irgendwo (nicht einmal im hintersten Raucherkammerl!) etwas sagen, durch das sich irgendjemand auf irgendeine Weise angegriffen fühlen könnte. Jede Geste und jeder Kommentar müssen analysiert und im Verdachtsfalle ausgemerzt werden.

Wenn Sie, lieber Leser, ein Mann sind und tagträumend in anmaßender Gemütlichkeit die Beine spreizen, zucken die Schneeflöckchen im Angesicht dieser patriarchalischen Unterdrückung („Manspreading“) furchtsam zusammen. Ein direktes Wort zur Schönheit einer jungen Dame und die sexuelle Anmaßung rührt sie zu Tränen. Ein raues Wort über die importierte Bandenkriminalität in unseren Großstädten und sie fallen in Schockstarre.

Verletzt in Stellvertretung

Natürlich: Es geht meist nicht darum, dass die Schneeflöckchen selbst die Adressaten sind. Das wäre zu trivial – und zu selten. Um der manischen Selbststilisierung dennoch gerecht zu werden, müssen sie sich also qua Stellvertretung verletzt fühlen. Das kann bizarrste Formen annehmen. Fühlen sie sich in Stellvertretung für Schwarze angegriffen, kann es schon einmal passieren, dass sie im Namen von Antirassismus schwarze Trump-Anhänger aus einem Lokal buhen.

Das Paradebeispiel schlechthin ist ein Vortrag von Prof. Norman Finkelstein mit einer Kritik an der Rezeption des Holocaust, bei der eine junge Dame einen Weinkrampf bekommt, weil die Kritik respektlos gegenüber den Opfern wäre. Weil die Dame die Folgen nur aus Büchern kennt, während Finkelsteins eigene Familie in Auschwitz und Majdanek ausgerottet wurde, liest er ihr nicht nur gehörig die Leviten, sondern die Pointe wird auf eindrucksvolle Weise vollendet.

Opferrolle im kämpferischen Umhang

Längst hat diese mimosenhafte Form der politische Korrektheit ihren Wendepunkt erreicht und wendet sich nun gegen das eigene Ideal, vor plumper Diffamierung zu schützen. Vielleicht ist das auch die Erklärung für einen Widerspruch an anderer Stelle. Während die Schneeflöckchen nämlich unter Tränen ihre ständige Opferrolle zelebrieren, wollen sie gleichzeitig im kämpferischen Umhang die mutige Heldenpose proben.

Doch solche Figuren taugen höchstens in schlechten Marvel-Verfilmungen zum Schmunzeln, in der Wirklichkeit können normale Menschen aber nicht anders, als die Bilder völlig gestörter „Social Justice Warriors“ irgendwo zwischen belustigend, bemitleidenswert und psychopathisch einzuordnen.

Öffentlich-wirksame Berufswahl

Doch so einfach kann man sie nicht beiseite wischen. Denn zwei Berufsfelder haben es den Schneeflöckchen besonders angetan: Journalismus und linke Politik, was beim ganzen Missionierungspathos von „Aufklärung“ und Weltverbesserung auch nicht sonderlich verwundert. Jetzt ist es so, dass beide Gruppe seit vielen Jahren an Macht und Geld verlieren.

Wer tief in die Augen ihrer Funktionäre blickt, kann hinter einer Maske der Humanität die Dollarzeichen aufblitzen sehen. Weshalb sie zwar internationale Konzerne bei ihren zur Normalität gewordenen, echten Schweinereien in Ruhe lassen, aber aufheulen wenn sich dort Meinungen und Informationen finden, die ganz und gar nicht ins eigene Schema passen.

Gesellschaftliche Geiselhaft

Nicht zuletzt deshalb spielen Politaktivisten und Journalisten ein Schmierentheater, das seinesgleichen sucht. Wer unangenehme Wahrheiten und konkrete Verantwortliche ausspricht, wird darin zum großen Schuft. Wer Probleme hingegen verschleiert, herunterspielt und bis zur Unkenntlichkeit in ganz viel Watte verpackt, gilt als besonders mutig und menschlich. Ahja, bevor ich es vergesse: die alten, weißen Männer dürfen natürlich stets zum Sündenbock gemacht werden. Sie sind ja auch keine richtigen Menschen und ganz prinzipiell auf der falschen Seite.

Dass die Probleme dadurch nur noch viel größer werden, kümmert die Schneeflöckchen nicht, solange über niemanden (und insbesondere nicht über sie selbst) ein böses Wort verloren wird. Allzu lange waren die westlichen Gesellschaft in Geiselhaft dieser „politischen Korrektheit“ und die Schlinge des Sagbaren zog sich immer enger. Kein Wunder, dass heute jedes konkrete Ansprechen von Verantwortlichen so unfassbar brutal wirkt.

Festklammern an Deutungshoheit

Doch nun neigt sich das Theater dem Ende zu. Denn die Wirklichkeit schert sich einen Teufel darum, ob die Tatsachen den Schneeflöckchen bekommen oder nicht. Und weil die Wirklichkeit mit jeder Minute der Verleugnung bitterer wird, schmeckt sie auch dem geschundenen Wähler nicht mehr. An den Wahlurnen wurden den linken Politikern massenhaft die Quittungen ausgeteilt, alternative Medien feiern Leserrekorde.

Eine Folge war die Anordnung zum Zensur-Rundumschlag und die sozialen Plattformen sprangen brav dressiert übers Stöckchen von Journalisten und Politaktivisten. Nicht nur wir haben uns an die Zensur gewöhnt und sie als etwas Selbstverständliches zu akzeptieren gelernt, auch die Konzerne finden gar nichts mehr dabei. Es geht ja schließlich um die gute Sache und es muss sich doch JEDER wohlfühlen können, damit alles gut wird. Störer unerwünscht!

Es hat sich auszensiert

Doch nun passierte das Unvorstellbare: Während sich Facebook, Apple und YouTube brav ein neues Leckerli abholten, blieb Twitter einfach stehen und weigerte sich, auf Zuruf einen berühmt-berüchtigten Nutzer zu sperren. „Wir wissen, dass das für einige schwer zu verstehen ist, aber der Grund ist simpel: Er hat nicht gegen unsere Regeln verstoßen”, äußerte Twitter-Chef Jack Dorsey das Ungeheuerliche.

Es ist wie bei Des Kaisers neue Kleider, als die Kinder ebenfalls das Ungeheuerliche, aber Offenkundige aussprechen. Was ihr macht ist Zensur – und das ist nicht normal. Der hinter wohlklingenden Begriffen wie „Hatespeech“ und „Fakenews“ verschleierte Konsens steht nun nackt da. Die gefühlsduselige Rechtfertigung, „niemand dürfe sich angegriffen fühlen“, will nicht mehr so recht überzeugen. Auch wenn Twitter bei anderen Profilen wie Gavin McInnes munter weiter sperrt, der Vorhang geht zu, der letzte Akt beginnt.


Patrick Lenart ist politischer Aktivist und Blogger. Auf seiner Website www.patrick-lenart.eu berichtet er über Politik, Kultur und Aktivismus.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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