Leitkulturdebatte zwischen Schnitzel, FKK und liberaler Islamkritik

In den vergangenen Tagen kochten gesellschaftliche Debatten hoch – und Vertreter patriotischer Fraktionen ernteten mit Fug und Recht einiges an Häme und Spott für ihre Parteinahme für die angebliche Leitkultur.
Julian Schernthaner
Kommentar von
28.7.2019
/
4 Minuten Lesezeit
Leitkulturdebatte zwischen Schnitzel, FKK und liberaler Islamkritik

Symbolbild: Pixabay [CC0]

In den vergangenen Tagen kochten gesellschaftliche Debatten hoch – und Vertreter patriotischer Fraktionen ernteten mit Fug und Recht einiges an Häme und Spott für ihre Parteinahme für die angebliche Leitkultur.

Kommentar von Julian Schernthaner.

Die kuriosesten Geschichten schreibt die Wirklichkeit. Denn die meisten Österreicher erinnern sich noch an ein infames Interview der Grünen-Politikerin Sigrid „Sigi“ Maurer im profil. Im Jahr 2017 hinterfragte sie die Existenz einer österreichischen Kultur jenseits eines Übergenusses von Schnitzel. Die Empörung war zurecht ähnlich groß als seinerzeit, als Thomas Bernhard befand, dass wir „nichts zu berichten“ hätten, außer dass wir „erbärmlich seien“. Zwei Jahre später fallen patriotische Parteien im deutschsprachigen Raum ganz freiwillig in dieses Framing.

Das Abendland wird am Essenstisch verteidigt

Irgendwie schien am Anfang der Debatte die Aufregung rund um den vorauseilenden Gehorsam zweier Leipziger Kindergärten, wegen zweier muslimischer Kinder jeden Genuss von Schweinefleisch zu streichen. Nachdem sich das halbe Land in einem Erguss des spontanen Widerstands über die Geste der Unterwerfung aufregte, kam es zur Rücknahme des umstrittenen Erlasses. Aber die Debatte war noch nicht vorbei.

Denn pünktlich dazu wärmte die österreichische FPÖ eines ihrer Lieblingsthemen auf: Die Islamisierung in Kindergärten und Volksschulen. Diese zeigt sich diesmal nicht durch Kopftücher am kindlichen Haupt, sondern durch die kulinarische Auswahl. Am Mittwoch bewarb der Bundesobmann der Freiheitlichen Jugend sein Konterfei neben dem Stockfoto eines panierten Fisches. Die wichtige Aussage dazu: „Jedes Kind soll in den Genuss eines Schnitzels kommen dürfen“.

Falsche Prioritäten treffen auf Peinlichkeiten

Mehr brauchte es nicht. Die gesamte linke Reichshälfte tobte vor Gelächter über den Fauxpaus: Abendlandverteidiger, die sich auf der heimischen Speisekarte nicht auskennen. Das konnte die Freiheitlichen natürlich nicht davon abhalten, den eigentlichen Nebenschauplatz der Schnitzelfrage zum wichtigsten Thema des Sommers zu machen. Man lädt zu eigenen Schnitzelabenden – und die steirische Landespartei gibt sich im Sujet kämpferisch: „Wir lassen uns nicht diktieren, was wir zu essen haben.“

Danke, wir auch nicht – ein Schnitzel mit Ketchup kann mir sowieso gestohlen bleiben. Wer das isst, bestellt sich morgen Wurstnudeln mit einer olfaktorisch dem Liebstöckel ähnlichen Würzsauce und meint, er verteidigt die heimische Küche. Dass es falsch ist, wegen der religiösen Befindlichkeiten einzelner Kinder anstelle von Alternativangeboten gleich ganze Fleischsorten zu verbannen steht außer Frage. Aber man darf die wesentlichen Fragen der Jetztzeit nicht darauf reduzieren.

Nacktbaden und die Schicksalfrage der Identität

Und auch nicht auf jene Ungeheuerlichkeiten, welche den rheinland-pfälzischen AfD-Leiter Uwe Junge in Alarmbereitschaft versetzen. Der Mann, wechselweise zwischen ‚Aufstand der Generäle‘ und ständiger Angst vor ‚Narrensaum‘ in seiner Partei, echauffiert sich nämlich über einen Vorfall in Berlin. Eine Frau, die sich außerhalb des FKK-Bereichs nackt sonnte, erregte das Gemüt einer Familie mit Migrationshintergrund. Sofort ist klar: Nie war eine Islamisierung deutlicher sichtbar!

Es ist absolut verständlich und sinnvoll, auch mit solchen Vorfällen zu argumentieren. Gerade Menschen, welche ein eher liberales Weltbild pflegen, sind empfänglich für die Botschaft, dass viele ihrer Freiheiten einer akuten Bedrohung entgegensehen. Nur als Kampfslogan im Sommerloch vermittelt es halt leider auch die Message: Wer kein Schnitzel isst und ohnehin etwas züchtiger badet, der braucht sich vor einer „Änderung der Struktur der Bevölkerung“ – Termini lässt man sich nämlich im Gegensatz zum Essen sehr wohl vorschreiben – nicht zu sorgen.

Bedrohung der Lebensart in Wirklichkeit tiefgreifender

Tatsächlich sind unsere Kinder im städtischen Bereich in ihren Klassen bereits in der Minderheit. Muslimische Mitschüler diktieren ihnen oft, was nicht alles „haram“ sei. Migrantenparteien formieren sich, wollen Geschlechtertrennung beim Schwimmen, in Freibädern kommt es durch einschlägige Jugendbanden zu Tumultszenen. Es bilden sich Parallelgesellschaften, die immer mehr Lebensbereiche vereinnahmen.

Viel wichtiger als die Gretchenfrage, ob wir überhaupt noch Herren im eigenen Haus sind, ist aber offenbar, dass Frauen im Freibad die Depf rausholen dürfen sollen. Wären Parallelgesellschaften also kein Problem mehr, wenn sie ganz liberal „Bier und Bikini“ anerkennen und Schafe nicht mehr schächten würden, sondern filetiert und mariniert beim eingesessenen Metzger kaufen?

Alle Teile der Leitkultur sind bedroht

Auch generell sehen wir einen Verlust unserer Kultur : Die Brauchtumsvereine überaltern, ganze Landstriche entvölkern sich. Ortskerne sterben aus, weil Menschen ihrem Konsumrausch in austauschbaren Shoppingtempeln frönen, die Backbox statt des Traditionsbäckers nutzen. Aber: Wir retten lieber das Schnitzel – vorausgesetzt wir finden noch einen Dorfwirten, der es uns überhaupt (ohne Ketchup!) servieren kann.

Oft steht an dessen Stelle nämlich längst eine Dönerbude oder Schnellimbiss amerikanischer Prägung. In der Stille, versteht sich, denn die halbe Blasmusik ist auch im letzten Jahr weggestorben oder zwecks Arbeit in die Großstadt verzogen. Es sind also nicht nur Stellschrauben – das ganze Gebilde kommt abhanden. Schnitzel und FKK sind nur Symptome dessen. Die Problematik ist viel tiefgreifender – und muss deshalb auch an der Wurzel angegriffen werden.

Erhalt der Leitkultur braucht eine Vision

Denn all diese Themen scheinen zwar lose verwandt, haben aber ebenfalls mit einem Verlust der Leitkultur zu tun. Und freilich, diese fängt nicht erst beim Bergfeuer und bei Perchtenläufen an, sondern meinetwegen wirklich beim Schnitzel. Aber unbestritten bleibt: für Neuankömmlinge muss sie intakt genug sein, um Assimilation erst zu ermöglichen. Und Alteingesessene müssen wissen, was sie verlieren würden, um sich für ihre Erhaltung einzusetzen.

Wenn ich will, dass sich die Jugend für Leitkultur einsetzt, anstatt gegen Kohle zu hüpfen, muss ich ihr Visionen geben, einen Grund sich zu exponieren. Sich zu beschweren, dass der neue Nachbar im Gemeindebau sein Kalbswiener lieber als Pute denn als Schwein (oder Fisch) isst, rüttelt niemanden wach. Wenn Schnitzel der Minimalkonsens ist, geben wir den Maurers und Bernhards recht, die unsere Kultur darauf reduzieren wollen – zeigen wir ihnen lieber, dass sie unrecht haben! Und dass unsere Kultur mehr ist als Bier, Bikini und Schnitzel.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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