Über den Zaun: Es ist der Dieter in uns allen!

Ob es in Deutschland „Fremdenfeindlichkeit“ in nennenswertem Ausmaß gibt, kann ich nicht beurteilen. Mein Eindruck über drei Jahrzehnte hinweg war eigentlich immer das genaue Gegenteil. Ich kenne kein Land, in dem man so wild entschlossen zur Xenophilie ist, und zwar nicht einmal annähernd.
Kommentar von
24.4.2020
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4 Minuten Lesezeit
Über den Zaun: Es ist der Dieter in uns allen!

Drei „Dieters“, wie sie sich die kurdisch-stämmige Journalistin Mely Kiyak vorstellt, stellen sich für ein lecker Fischbrötchen an. Symbolbild (Nordsee-Restaurant in Braunschweig): Vic Fontaine via Wikimedia Commons [CC BY-SA 3.0] (Bild zugeschnitten)

Ob es in Deutschland „Fremdenfeindlichkeit“ in nennenswertem Ausmaß gibt, kann ich nicht beurteilen. Mein Eindruck über drei Jahrzehnte hinweg war eigentlich immer das genaue Gegenteil. Ich kenne kein Land, in dem man so wild entschlossen zur Xenophilie ist, und zwar nicht einmal annähernd.

Kolumne von Bettina Gruber

Die Kehrseite ist die ebenso wilde Entschlossenheit, sich selbst so effektiv wie möglich herabzusetzen und sich jedem, der an den rituellen Herabsetzungsorgien teilnimmt, ungebeten vor die Füße zu werfen. Churchills Spruch, wonach man die Deutschen entweder zu Füßen oder an der Gurgel habe, wäre dahingehend abzuwandeln, dass jedenfalls der politkorrekte Neudeutsche allen anderen zu Füßen liegt und dafür seinen Landsleuten so kräftig wie möglich die Luft abschnürt.

Idealdeutscher „Dieter“ ist eine Konsum-Karikatur

Davon hat die letzte Woche zwei wunderbare Beispiele geliefert, weshalb ich noch einmal auf das Thema zurückkommen muss.  Auf Zeit Online lässt zunächst die kurdischstämmige Journalistin Mely Kiyak ihrem Ressentiment gegen das, was sie als den Durchschnitts-Deutschen wahrnimmt, freien Lauf. „Der Dieter“ wird zunächst durch seine Konsumgewohnheiten gekennzeichnet (Tchibo, Deichmann, Nordsee), die offenbar auf eine geheimnisvolle Weise typisch deutsch sein sollen.

So als würden nicht in allen Ländern, die an die Weltwirtschaft angeschlossen sind, Millionen von Menschen in Ladenketten kaufen. Und als würden diese von Menschen mit Migrationshintergrund im Lande nicht genauso genutzt. (Und schließlich: Als wären es nicht gerade Deutsche, und zwar „biodeutsche“ Ökos gewesen, die das Kaufen in kleinen, regionalen Läden in Mode gebracht hätten.)

Kiyaks Welt: Umso schlimmer für die Wirklichkeit…

All das kratzt Frau Kiyak aber nicht, sie hält es offenbar mit Hegel, der, als man ihm vorhielt, seine Philosophie würde der Wirklichkeit nicht entsprechen, gesagt haben soll: „Umso schlimmer für die Wirklichkeit.“ (Damit dürften sich die Parallelen zwischen Hegel und Frau Kiyak allerdings erschöpft haben.) Sie fährt daher in ihrer Schilderung von Dieters imaginärem Wochenende fort, wie folgt: „Ein gewöhnliches Dieterleben an einem gewöhnlichen Samstag, das ohne Kinderarbeit, Menschenausbeutung, Umweltverschmutzung, Konsumismus nicht auskommt.“

Ich hätte ja gesagt, dass ein „gewöhliches Dieterleben“ ohne die Erarbeitung von erklecklichen Beträgen, die weltweit genau gegen Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltverschmutzung  eingesetzt werden, nicht auskommt; und dass der Konsumismus, unabhängig davon, was man von ihm hält, eine auch von John, Marianne, Paolo, Li und Achmed fröhlich verfolgte Lebensmaxime darstellt.

Elfenbeinturm als Ausgangs-Blase der Projektion

Unter diesem Artikel applaudieren reihenweise Leser dieser Karikatur, wohl in der für Kotau-Liberale typischen Überzeugung, in Frau Kiyaks Augen wären alle anderen „Dieter“ außer ihnen.  Aus demselben Impuls speist sich der Artikel einer angehenden, diesmal offenbar herkunftsdeutschen, Journalistin, die ihre Abneigung gegen die Mehrheit ihrer Mitbürger derzeit an einer Münchner Journalistenschule weiter kultiviert.

Sie schreibt: „Ich werde nie wissen, wie es ist, Teil einer Minderheit zu sein, denn ich bin weiß, cis, hetero und westdeutsch. Bei mir laufen alle Privilegien einer politischen Realität zusammen, und ich werde niemals allein sein. So wie ich auch in meiner Klasse nicht allein bin, denn dort sitzen 14 weitere weiße, cis, hetero Journalistinnen und Journalisten aus Westdeutschland.“ Unhaltbare Zustände, wenn eine Gruppe von sage und schreibe fünfzehn Nasen tatsächlich die Mehrheitsgesellschaft abbildet, statt divers zu sein!

Diversität: Das Studentenfutter künftiger Schreiberlinge?

Der Münchner Journalist Werner Friedmann, der die DJS begründete, kämpfte, ausweislich der Homepage des Vereins, „für die Überwindung des Nationalsozialismus, für Toleranz und Liberalität. Ihm ging es darum, Journalisten auszubilden, die Wahrheit und Gerechtigkeit leidenschaftlich verpflichtet sind.“

Letztere ist ein dehnbarer Begriff, aber dass Friedmann in den masochistischen Verrenkungen des Lehrredaktions-Nachwuchses das eine oder das andere gefunden hätte, darf man bezweifeln.  „Gerecht“ ist an künstlicher Selbstbenachteiligung nichts, an erzwungener „Diversität“ ist nichts liberal und an der rassistischen und sexistischen Diskriminierung weißer Heterosexueller nichts, aber auch gar nichts, tolerant.

Vom Wagnis, der Mehrheit anzugehören

Einer Mehrheit anzugehören ist auch in Deutschland (noch) kein Verbrechen; immerhin, der mediale Mainstream arbeitet daran und hat gute Aussichten, dem Rest des Landes seine Perspektiven aufzuzwingen.   Die DJS rühmt sich, ein weitgespanntes Netzwerk zu haben: Wenn das der Fall ist, können „ganz normale“ deutsche Bürger sich künftig auf einen Journalismus einstellen, der die Hetze gegen sie zu seinem wichtigsten Inhalt erhebt. Wenn die kursierenden Vorschläge, Zeitungen mit Staatsgeldern zu stützen, Wirklichkeit werden sollte, darf er diese Dauer-Diskriminierung dann nicht mehr nur bei den Öffentlich-Rechtlichen zwangsfinanzieren.

Den „Dieter“ auf die Rote Liste setzen…

Um mit der frommen Einsicht eines Kommentators zu Kiyaks Ressentiment-Orgie zu schließen: „Es sind nicht nur die Nachbarn, die ins Bild passen. SO einfach sollte man es sich nicht machen. Der Dieter steckt in jedem von uns auch selbst drin.“ Der böse, weiße, heterosexuelle und zu allem Übel noch deutsche Dieter, den Kiyak und der Kommentator austreiben wollen, ist (frei nach einem anderen bösen weißen Mann, nämlich Otto Waalkes) der Dieter in uns allen?!  Na, dann: Höchste Zeit, ihn unter Schutz zu stellen, bevor die Rollkommandos der moralisch Höherstehenden vor der Tür halten.


Über die Autorin:

Bettina Gruber hält in ihrer alle zwei Wochen erscheinenden Tagesstimme-Kolumne „Über den Zaun” ihre Eindrücke aus dem deutschen Nachbarland fest. Die Wienerin und Wahlsächsin hat lange Jahre sowohl im Westen als auch im Osten Deutschlands gelebt und dabei immer wieder festgestellt, wie verschieden die Mentalitäten doch sein können. Unter Klarnamen und wechselnden Pseudonymen Beiträge für TUMULT, Sezession und andere. Auf dem TUMULT-Blog bespielt sie in wechselnden Abständen die genderkritische Kolumne „Männerhass und schlechte Laune.“ Der letzte Artikel für die Printfassung, „Die Wissenschaft und ihr Double.“ TUMULT. Vierteljahresschrift für Konsensstörung Heft 1 / 2020 Frühjahr 2020, widmet sich der grundsätzlichen Schwierigkeit, wissenschaftliche Ergebnisse in der Mediengesellschaft zur Geltung zu bringen und ist damit thematisch hochaktuell.

Vergangene „Über den Zaun“-Ausgaben: 

Nr. 1: Schadenfreude auf Deutsch und Englisch. Nationalmasochismus geht immer (10.4.2020)

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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