Vor Prozessauftakt: Rechtsexperten üben scharfe Kritik an Identitären-Anklage

Am Mittwoch beginnt am Landesgericht für Strafsachen Graz ein mit Spannung erwarteter Prozess gegen 17 Aktivisten der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ). Weiterhin gibt es breites Unverständnis für die Anklage.
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Vor Prozessauftakt: Rechtsexperten üben scharfe Kritik an Identitären-Anklage

Bild IB-Demo: Identitäre Bewegung Österreich / Logo „Der IB-Prozess“: Die Tagesstimme / Komposition: Die Tagesstimme

Am Mittwoch beginnt am Landesgericht für Strafsachen Graz ein mit Spannung erwarteter Prozess gegen 17 Aktivisten der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ). Weiterhin gibt es breites Unverständnis für die Anklage.

Der morgige Prozessauftakt ist der Startschuss zu einem Verhandlungsmarathon mit ingesamt 19 Gerichtsterminen im Juli. Vorgeworfen wird den Aktivisten unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung (§278 StGB) zur Begehung von Verhetzung (§283 StGB) und Sachbeschädigung (§125 StGB). Möglich ist dies auch durch eine Strafrechtsnovelle aus dem Jahr 2015, welche Verhetzung explizit zur Begehung im Zuge einer kriminellen Vereinigung fähige Straftat erkor.

Ex-OGH-Chefin Griss: „Mit Kanonen auf Spatzen“

Die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH) und nunmehrige NEOS-Mandatarin Irmgard Griss übte nun scharfe Kritik an der Anklage. Wenn es wie im vorliegenden Fall rein um die Verbreitung von Ideen gehe, halte sie eine Verfolgung wegen krimineller Vereinigung für ein „zu scharfes Schwert“. Man müsste aufpassen, dass man Menschen nicht wegen ihrer Gesinnung bestrafe, indem man „mit Kanonen auf Spatzen“ schieße.

Strafrechtsexperte warnt vor „Gesinnungsstrafrecht“

Auch weitere Rechtsexperten wie der Strafrechtler Helmut Fuchs sehen die Vorgänge als problematisch. Der frühere Vorstand des renommierten Strafrechtsinstituts der Universität Wien sieht in der Anklageschrift keinerlei Beleg für bestehende Verhetzungen. Dieses Rechtsgut, welche das „Aufstacheln zu Hass“ oder den Aufruf zur Gewalt als Bedingung nimmt sei ohnehin „sehr unbestimmt“. Er sieht die Gefahr, dass die Provision „ideologisch verwendet“  und damit zum „Gesinnungsstrafrecht“ werden könnte.

Ähnliches befürchtet auch der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk. Er empfindet beide zugrundeliegenden Straftaten im Gesetzestext als „sehr weit gefasst“. Er wünscht sich stattdessen Möglichkeiten für die Exekutive, ohne das „Fallbeil der Verurteilung“ Gruppen wie die Identitären „im Auge behalten“ zu können.

SPÖ & FPÖ: Justizsprecher übten scharfe Kritik

Bereits unmittelbar nach der Verkündung der Anklage kritisierten mehrere bekannte Journalisten die beabsichtigte Anwendung eines Gesetzes, das eigentlich zur Bekämpfung organisierter Kriminalität dienen soll. Wenig später stießen auch erste Stimmen aus der Politik hinzu. Der freiheitliche Justizsprecher Harald Stefan empfand das Vorgehen der Staatsanwaltschaft als „nicht nachvollziehbar“ und sei der Ansicht, die Demokratie müssen „so etwas aushalten“ – Die Tagesstimme berichtete.

Für SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim stellte die Anklage nach §278StGB damals überhaupt einen „Missbrauch des Gesetzes dar. Er stünde zwar nicht im Verdacht, Identitäre zu mögen, dennoch beobachte er „mit Sorge“, dass Staatsanwälte „vermehrt auf Instrumente zurückgreifen, welche eigentlich zur Bekämpfung „mafiöser Strukturen“ dienen. Angesichts des baldigen Prozessbeginns wiederholte er seine Kritik und erinnerte außerdem daran, dass nach diesem Paragraphen auch gerade gegen eine Gruppe von Erdogan-Gegnern ermittelt werde.

Die Tagesstimme berichtet vom Prozess

Aus Ansicht einiger Anklagekritiker unterscheiden sich die Aktionsformen der Identitären nicht maßgeblich von jenen anderer zivilgesellschaftlicher Akteure wie Greenpeace. Eine Verurteilung in diesem Fall könnte daher weitreichende Folgen für die heimische Protestkultur haben. Bereits vor einigen Jahren endete allerdings ein vielbeachteter Prozess gegen zehn Tierschützer des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) unter diesem Paragraphen mit einem Freispruch für alle Angeklagten.


Aufgrund der möglichen gesellschaftlichen Tragweite des Urteils berichten wir im Juli als Schwerpunkt tagesaktuell vom Fortschritt des Verfahrens. Außerdem beleuchten wir Entstehung und Entwicklung der Identitären Bewegung sowie die Hintergründe, welche zur Anklage führten. 

Verhandlungstage sind: 4. Juli, 6. Juli, 9.–13. Juli, 16.–20. Juli, 23.–27. Juli sowie 30.–31. Juli, jeweils von 9 bis 15 Uhr.

Mehr zum Thema bei Die Tagesstimme:

Vorlauf zum Prozess

Identitäre empört: Hausdurchsuchungen bei Aktivisten (27.04.2018)
Kolumne: „Durchsuchungen bei Identitären sind demokratiepolitischer Skandal (03.05.2018)
IBÖ-Leiter Lenart: „Wir lassen uns in kein kriminelles Eck drängen“ (Interview) (04.05.2018)
Auch Privatkonten beschlagnahmt: Identitäre starten Unterstützungsaufruf (06.05.2018)
§278 StGB: Journalisten kritisieren Anklage gegen Identitäre Bewegung (14.05.2018)
„Vorgehen nicht nachvollziehbar“: FPÖ-Justizsprecher kritisiert Identitären-Anklage (17.05.2018)
Kolumne: Auch linksliberale Journalisten können positiv überraschen (18.05.2018)

Ablauf im Prozess:

Identitären-Prozess findet im Juli statt (30.05.2018)

Hintergründe

Fallstudie: Ist die Identitäre Bewegung Österreich rechtsextrem? (Arbeitskreis Nautilus, 14.05.2018)
Österreich: 423 mal Terror – und eine kriminelle Vereinigung (14.06.2018)
BÜCHER: Sellners krimineller Masterplan (28.06.2018)

Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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