„Wir kriegen euch!“ – Gewaltandrohungen und Hassparolen auf Anti-Sellner-Demo
In Marburg sorgte die geplante Lesung des österreichischen Aktivisten Martin Sellner aus seinem Buch „Remigration“ für Proteste, wobei die Veranstaltung letztlich in der hessischen Kleinstadt Gladenbach stattfand. Rund 3.500 Demonstranten zogen durch Marburg, um gegen die Lesung zu protestieren und verbale Entgleisungen lösten Ermittlungen der Polizei aus.
Marburg. – Der österreichische Aktivist und Autor Martin Sellner hatte angekündigt, am Montag in Marburg aus seinem Buch „Remigration“ zu lesen, doch Ort und Zeit waren nicht bekannt. Erst im Nachhinein wurde bekannt, dass die Lesung gar nicht in Marburg, sondern in der hessischen Kleinstadt Gladenbach stattfand. Eine Demonstration fand dennoch in Marburg statt. Rund 1.000 Teilnehmer einer Demonstration, zu der der Kreisverband der Linken und das Marburger Bündnis gegen Rechts aufgerufen hatten, zogen vom Marburger Marktplatz zu den Häusern der Marburger Burschenschaften Germania, Rheinfranken und Normannia, wo die Organisatoren der Demonstration die Lesung vermuteten. „Unser Ziel ist es, Martin Sellner aktiv den Raum zu nehmen und ihm möglichst keinen Raum zu lassen, damit er nicht auftreten kann“, sagte Jana Klein, Sprecherin des Marburger Bündnisses, bei der Kundgebung vor den Räumlichkeiten. Man wolle aktiv verhindern, dass die „Nazis“ mitten in Marburg über ihre „Remigrationsphantasien“ diskutieren und sich vernetzen. Bei einer Demonstration vor dem Rathaus kam es dann zu verbalen Ausfällen unter anderem gegen die Polizei.
„Burschenmützen zu Asche machen“
In einem Video, das die Burschenschaft Rheinfranken auf Instagram geteilt hat, ist die verbale Entgleisung deutlich zu hören. Ein Redner erklärt: „Diese Menschen sind unsere Feinde, nicht heute, sondern immer. Sie sollen Angst haben, nicht heute, sondern immer, und vollkommen zurecht. Zurecht soll sich keines dieser Schweine raus trauen. Heute nicht mal unter massivem Polizeiaufgebot. Wir wissen schon lange, dass deutsche Polizisten Faschisten sind. Nazis in Uniform. Die einen tragen Degen, die anderen Pistolen. Oder wie man im Fußball sagt: In den Farben getrennt, in der Sache vereint. (...) Heute ist der erste Tag, an dem wir den Faschisten zeigen werden, wie hoch die Flammen unserer Wut schlagen werden. Heute ist der letzte Tag, an dem Burschenschweine mit Mütze und Schärpe durch die Stadt trotten dürfen, ohne dafür aufs Maul zu kriegen. (...) Das Haus eurer Alten Herren, seniler Altnazis, die glücklicherweise ohnehin bald dran glauben müssen“. Auch diese Häuser werden man den Burschenschaften nehmen, wie der Reden erklärte und weiter betonte, dass man sie zu Orten der Begegnung und zu Frauenhäusern machen werde. Burschenmützen werde man zu Asche machen. „Wir sehen euch, wir dokumentieren euch, wir legen alles offen. (...) Wir kriegen euch! Der heutige Tag ist ein Versprechen.“ Wie die Tagesschau berichtet, hat die Polizei gegen den Redner Ermittlungen aufgenommen.
Stadt distanziert sich von Nazi-Vergleichen
Bei einer weiteren Kundgebung, zu der die Stadt Marburg und das Netzwerk für Demokratie und gegen Rechtsextremismus aufgerufen hatten, kamen rund 2.500 Teilnehmern vor der Stadthalle in der Marburger Innenstadt zusammen. Auch Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) hatte sich auf der Kundgebung geäußert, unter anderem zu Sellner: „Wir stehen hier, weil wir keine menschenfeindliche Propaganda dulden wollen und dulden werden“. Viel zu lange habe man verfassungsfeindlichen Aussagen Raum gegeben und weggeschaut. Jetzt müsse unmissverständlich klargestellt werden, was Grundkonsens des Gemeinwesens sei und was nicht. „Hass und Menschenfeindlichkeit sind in unserer Stadt nicht willkommen“, so Spies.
Bereits Anfang Juli hatte die Marburger Stadtverordnetenversammlung einen Beschluss zu Sellner gefasst, dem bis auf den AfD-Vertreter alle Stadtverordneten zustimmten. „Die Universitätsstadt Marburg missbilligt mit allem Nachdruck, dass Martin Sellner in Marburg Thesen zur Vertreibung eines Teils unserer Einwohner*innen propagieren will“, hieß es darin. Die Stadt hatte sich im Vorfeld von Sellners Besuch außerdem um ein Einreiseverbot bemüht, war damit aber gescheitert.
Nachdem bekannt wurde, dass bei der Demonstration in der Oberstadt Polizisten beleidigt und mit Nationalsozialisten gleichgesetzt wurden, hat sich die Stadt Marburg ausdrücklich von den dort getätigten Äußerungen distanziert. „Der Vergleich unserer Polizei mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten ist unerträglich. Wer solche Äußerungen über unsere Polizei tätigt, erweist damit unserer Demokratie und unserem Rechtsstaat einen Bärendienst – und beleidigt Menschen, die sich täglich für unsere Demokratie, für unseren Schutz und unsere Sicherheit einsetzen“, so Spies in einer Mitteilung, in der er den Beamten, die in der Stadt für Sicherheit gesorgt hatten, für ihren Einsatz dankte.
Richtigstellung: In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels hieß es, die diffamierenden Äußerungen gegenüber den Polizisten seien auf der Demonstration gefallen, zu der die Stadt Marburg und das Netzwerk für Demokratie und gegen Rechtsextremismus aufgerufen hatten. Das ist falsch. Die Äußerungen fielen auf der Kundgebung Dritter vor dem Rathaus. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.