Bildhauer Fen de Villiers: „Kunst ist der Lebensnerv unserer Zivilisation“

Der Bildhauer Fen de Villiers sucht in seinem Werk nach Vitalität und Energie. Er hält die heutige Kunstwelt für längst erschöpft und will stattdessen eine neue Ära ästhetischer Kraft einläuten. Im FREILICH-Interview erzählt der gebürtige Schotte über seine Arbeit, was ihn inspiriert und wie er über Politik in der Kunst denkt.

Interview von
29.10.2023
/
6 Minuten Lesezeit
Bildhauer Fen de Villiers: „Kunst ist der Lebensnerv unserer Zivilisation“

Der schottische Bildhauer Fen de Villiers. Bild: Alain Six

FREILICH: Herr de Villiers, wie wurden Sie Künstler? Würden Sie sich überhaupt selbst als Künstler bezeichnen?

Fen de Villiers: Nun ja, ich komme aus einem künstlerischen Umfeld, und der kreative Drang ist in meiner Familie weit verbreitet. Meine Eltern haben beide eine Ausbildung als Bildhauer gemacht, und ich bin mit dem Prozess des Schaffens aufgewachsen. Von klein auf wurde ich immer dazu ermutigt, mich mit der Herstellung von Dingen aus Ton zu beschäftigen. Ich bezeichne mich selbst nicht als Künstler, da diese Bezeichnung in der heutigen Zeit ein Schimpfwort geworden ist. Ich bezeichne mich als Bildhauer, das ist in der heutigen Zeit direkter und weniger vernebelt.

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Ihre Skulpturen scheinen einen Bezug zur Kunst des Futurismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu haben. Ist die futuristische Bewegung, die von F. T. Marinetti gegründet wurde, eine Inspiration für Ihr Schaffen?

Ja, natürlich lasse ich mich vom italienischen Futurismus und anderen Bewegungen wie dem Vortizismus und dem Art déco inspirieren. Der Futurismus hat mich angezogen, weil er ästhetisch so direkt und selbstbewusst ist, er drückt Energie und Bewegung auf eine sehr explosive und ursprüngliche Weise aus. Das gefällt mir, weil ich glaube, dass diese rohe und direkte Energie es wert ist, wieder aufgegriffen und in die heutige Zeit projiziert zu werden. Ich glaube, dass der Ausdruck von Dynamik und Energie in diesem ästhetisch dunklen Zeitalter, in dem wir uns befinden, von entscheidender Bedeutung ist.

Gab es einen bestimmten Moment im Leben, der Sie diesen Kunstbewegungen näherbrachte oder war es eher eine Entwicklung?

Während meines Studiums an der Königlichen Akademie von Antwerpen fiel mir immer mehr auf, dass der allgemeine Trend in der Kunst darin bestand, Werke zu schaffen, die aus ästhetischer Sicht bewusst nicht kraftvoll waren. Das beschäftigte mich natürlich und ich hielt nach Kunstbewegungen Ausschau, die einen sehr rohen Ausdruck von Energie haben, Bewegungen, die das Feuer im Leben feiern. Natürlich stieß ich in den Bewegungen der frühen Moderne – italienischer Futurismus, Art déco, Vortizismus – auf immer mehr Beispiele dieser starken Energie, und sie sprachen mich direkt an. Allmählich wurde ich inspiriert, die Flamme, die sie hinterlassen hatten, wieder aufzunehmen und diese Bildsprache weiter zu erforschen. Ich glaube, dass es sich lohnt, in einer Zeit der ästhetischen Schwäche selbstbewusstere und unapologetische ursprüngliche Energien einzubringen. Von dort aus können wir später zu einem verfeinerten und realistischeren ästhetischen Ansatz übergehen. Wenn man es zyklisch betrachtet, kommen wir zum Ende eines Zyklus, und wir müssen nun einen neuen beginnen.

Ist Kunst in Ihren Augen politisch? Ist Ihre Kunst politisch?

Wir leben in einer Zeit der extremen Polarisierung, fast alles kann heutzutage politisch betrachtet werden. Kunst, wenn sie ehrlich und wahrhaftig ist, ist meiner Meinung nach nicht explizit politisch. Die metaphysischen Ideale, die das Werk darstellt, können als politisch konnotiert angesehen werden. Ich vermeide es, in meinen Werken politische Aussagen zu machen, denn dann wird es zu belangloser Propaganda und das Werk spricht nicht länger etwas an, das über die profanen Elemente des modernen Lebens hinausgeht. Natürlich geht der Trend heute bei den meisten Künstlern dahin, politische Botschaften zu vermitteln, aber ich denke, das ist der einfache Weg – nicht der zeitlose oder edle.

Wie läuft die Schöpfung einer Skulptur bei Ihnen üblicherweise ab? Gibt es eine Art Muse, eine bestimmte Inspirationsquelle?

Am Anfang des Schaffensprozesses einer Skulptur stehen immer ein Modell aus Ton und Skizzen in meinen Zeichenbüchern. Danach skaliere ich das in Stein oder Ton, der später durch Bronze ersetzt wird. Ich bin oft auf der Suche nach lebensbejahenden und energetischen Darstellungen. Ich bemühe mich, ästhetische Kraft und Stärke auszudrücken, oft auf eine direkte und ursprüngliche Weise.

Bei der Bildhauerei gehe ich größtenteils intuitiv vor, ich denke nicht gerne über Formen oder Kompositionen nach, sondern lasse mich von einem Werk organisch leiten. Vielleicht klingt es seltsam, aber ich folge beim Bildhauen wirklich nur meinem Bauchgefühl, ich vermeide es, zu viel nachzudenken.

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Hat Ihre Kunst eine bestimmte Botschaft, die sich durch alle Werke zieht?

Ich bin der Meinung, die Grundaussage meiner Werke ist eine Ästhetik des Strebens und des Willens weiterzumachen und vorwärts zu gehen. Ein Leben voll Kraft und Ruhm zu leben. Leben handelt vom Kampf und davon, diesen mit Energie und Feuer zu bestehen. Im Idealfall vermittelt meine Arbeit den Menschen ein lebensbejahendes Gefühl, aber natürlich sieht jeder am Ende das, was er sehen will.

Wenn Sie ein Museum besuchen, welche ist Ihre Lieblingsepoche?

Meine bevorzugte Kunstepoche ist die Zwischenkriegszeit. Die Kunstwerke dieser Zeit waren extrem vitalistisch und kraftvoll. Außerdem begeistere ich mich sehr für griechische, ägyptische und assyrische Skulpturen, aufgrund der Reinheit der Formen.

Also einerseits klassische Werke und andererseits Futurismus. Wie passt das zusammen? Oder passt das ausgesprochen gut?

Ja, es mag zunächst merkwürdig klingen, dass ich zwischen der antiken Welt und den alten avantgardistischen Gruppen des 20. Jahrhunderts schwankte, aber man darf nicht vergessen, dass zum Beispiel Art déco einfach eine Erneuerung oder Modernisierung der griechischen, ägyptischen und assyrischen Ästhetik der idealisierten Formen war. Mein Punkt dabei ist folgender: Ich möchte wieder an die geistige Wurzel der antiken Welt, der archetypischen Welt, anknüpfen, diese aber durch die rohe und gewalttätige Linse der frühen Modernisten betrachten.

Ich tue dies mit dem Bestreben, ein sehr direktes, fast primitives, energetisches, lebensbejahendes, unapologetisches und ungehobeltes Ergebnis in bildhauerischer Hinsicht zu destillieren. Ich würde nicht sagen, dass meine Arbeit zart und weich ist, sie ist nicht süß und zuckrig. Ich versuche nicht, sentimentale Ideen einzufangen, sondern die rohe Essenz unserer Welt zu erfassen: Vitalität, Energie und Kraft. Diese Grundlagen müssen erst geschaffen werden, bevor die weitere Entwicklung gedeihen kann. Mit der Zeit wird sich dies natürlich zu einem verfeinerten und weniger groben Stil entwickeln, aber wie jede künstlerische Bewegung oder Reise wird sie immer mit einem sehr rohen und chaotischen Ausdruck beginnen, bevor sich weitere Klarheit einstellt.

Ich bin der Meinung, dass Kunst niemals gekünstelt sein sollte und aus einem ehrlichen inneren Zustand heraus entstehen muss. Viele meiner Arbeiten entstehen aus einer sehr intuitiven und energetischen Reaktion, die ich in meinem Körper spüre. Ich denke, es ist eine Antwort auf diese Zeit der zutiefst uninspirierten und antidynamischen Kultur, von der wir heute umgeben sind. Der aktuelle kulturelle Strom ist versiegt, es gibt keinen fruchtbaren Boden mehr. Man muss zurückblicken, um vorwärts zu gehen.

Was ist Ihren Augen Schönheit? Ist sie etwas Subjektives oder Objektives? Ist die Schaffung von Schönheit ein Ziel Ihrer Arbeit?

Schönheit ist für mich, wenn man ein rohes Material nimmt – beispielsweise Stein, Ton, Holz – und man diesem Material Ordnung und Harmonie einhaucht. Der Bildhauer bringt seine Energie in das Material ein und ordnet es, wir Menschen erfreuen uns daran, eine Art von Ordnung in der Welt zu sehen. Während Material geordnet wird, wird eine Poesie in dieses Material gebracht.

Ich glaube nicht, dass es mein Ziel ist, Schönheit zu schaffen, ich glaube, dass Schönheit ein natürliches Ergebnis ehrlicher Kunst ist. Aber ich würde sagen, dass ich derzeit in meinen Arbeiten versuche, eine rohe Essenz einzufangen, die ungeschliffen und grob ist. Was ich einfangen möchte, ist mehr „Energie“, die in Form gegossen wird. Ich glaube, dass mit der Zeit, wenn meine Werke ihre nächste Entwicklungsstufe erreichen, eine gewisse Schönheit erreicht wird. Ich verwende gerne das Beispiel der antiken griechischen Bildhauerei: Die frühen Werke waren sehr geometrisch, direkt und roh, aber im Laufe der Jahre wurden die Werke geordneter und raffinierter. Ich glaube, ich arbeite nach demselben Ansatz, auch wenn es nicht Hunderte von Jahren dauern wird, bis ich mich entwickelt habe. Ich habe nur eine menschliche Lebensspanne, und ich befinde mich noch in der geometrischen Periode, die sich zur archaischen entwickelt.

(...)

Zur Zeit ist im Netz und in den Sozialen Netzwerken Kunst basierend auf sogenannter Künstlicher Intelligenz recht beliebt. Was halten Sie als handwerklicher Künstler davon? Und wie stehen Sie der Computerisierung und Robotisierung der Industrie und Gesellschaft generell gegenüber?

Ich denke, dass die Systeme Künstlicher Intelligenz, die heute und in Zukunft eingesetzt werden, als Hilfsmittel betrachtet werden können, wie etwa Photoshop oder andere Bildbearbeitungsprogramme. Richtig angewandt, können sie bei der Entwicklung von Konzeptskizzen außerordentlich hilfreich sein. Ich würde aber niemals ein von Künstlicher Intelligenz erzeugtes „Gemälde“ oder eine „Skulptur“ an sich als Kunst akzeptieren. Ich möchte nach wie vor sehen, dass ein Künstler wirklich etwas Eigenes schafft.

Die Computerisierung in Industrie und Gesellschaft ist ein interessanter Bereich. Meiner Meinung nach hängt es davon ab, wie sie eingesetzt wird und zu welchem Zweck. Wenn sie als eine positive Unterstützung der Gesellschaft und für eine gesunde Gesellschaft eingesetzt wird, kann sie meiner Meinung nach gut sein. So wie es derzeit aussieht, werden aber viele dieser Technologien leider nicht wirklich zum Wohle der Menschheit eingesetzt. Mehr und mehr sieht man, dass die Technologie einfach dazu benutzt wird, Menschen zu leiten und ihr Verhalten zu überwachen usw. Das ist die dystopische Wirklichkeit der Technologie, aber ich glaube, dass es auch eine positivere Nutzung geben kann. Der Einsatz von Robotern und Automatisierung kann zum Beispiel die Last der alltäglichen Aufgaben in der Industrie erleichtern.

Meiner Ansicht nach kann eine lebensbejahende und gesund eingestellte Gesellschaft die Technologie, die sie hervorbringt, zu etwas Gutem einsetzen, aber das ist heute noch nicht in größerem Umfang zu beobachten.

Vielen Dank für das Gespräch!


Das vollständige Interview mit Fen de Villiers lesen Sie in der FREILICH-Ausgabe 22 „Die digitale Revolution“.

Über den Autor

Jörg Dittus

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