Die Lichter der Wahrnehmung: Land Art in Oslo spielt mit den Sinnen
Beim Besuch einer von der Parapsychologie inspirierten Kunstinstallation des US-Amerikaners James Turrell kann man seine Wahrnehmung auf die Probe stellen. Nur durch Geometrie und Licht gelingt es dem Künstler, einen veränderten Bewusstseinszustand hervorzurufen.
von Tino Taffanek.
Unlängst stattete ich einer Lichtinstallation des US-amerikanischen Künstlers James Turrell im Ekebergparken in Oslo einen Besuch ab. Der Ekebergpark ist ein rund zehn Hektar großer Skulpturengarten im Südosten von Oslo. Während sich das Grundstück im Besitz der Stadt Oslo befindet, ist für Gründung des Parks und die Finanzierung der Skulpturen und Kunstinstallationen eine Stiftung zuständig. Gegründet wurde die Stiftung von Christian Ringnes, einem Abkömmling der Ringnes-Familie, welche vor knapp 150 Jahren die größte Brauerei Norwegens eröffnet hat.
Von den zahlreichen mehr oder weniger ansprechenden Skulpturen und Installationen, die im ganzen Park verstreut sind, ist das Kunstwerk von James Turrell sicher das hervorstechendste und auch das einzige, das nicht frei zugänglich ist. Es ist in einem aufgelassenem Trinkwasserreservoir untergebracht und kann jeden Sonntag nach vorhergehender Anmeldung kostenlos besichtigt werden.
Quäker und Lichtkünstler
James Turrell wurde durch seine Raum- und Lichtinstallation international bekannt. Turrell wuchs in einer Quäkerfamilie auf. Seine Beschäftigung mit dem Thema Licht könnte durchaus auf seine Wurzeln zurückzuführen sein, da das Licht auch im Quäkertum eine spirituell zentrale Rolle spielt.
„Ihr mögt sagen: Christus hat dies gesagt und die Apostel jenes – aber was kannst du selbst sagen? Bist du ein Kind des Lichts und bist du im Licht gewandelt, und was du sprichst, ist es im Innersten von Gott?“
Ausspruch der Quäker
Seine wahrscheinlich umfangreichste Serie von Werken mit der Bezeichnung Skyspaces beschäftigt sich ebenfalls mit Licht. Seine Skyspace-Installation finden sich weltweit, beispielsweise in Israel, Japan, Argentinien, Australien und China. Ein Teil der Installation im Ekebergpark gehört ebenfalls zur Serie der Skyspaces. Auch im deutschsprachigen Raum finden sich zahlreiche seiner Werke, unter anderem in Wien, Lech am Arlberg, Friedrichshafen, Bremen und Berlin.
Durch die Pforten
Aber nun zurück nach Oslo. Nach einer kurzen Einführung zum Künstler und einer Warnung über Klaustrophobie von einer mutmaßlichen Kunstgeschichtestudentin wurden die Pforten zum unterirdischen Wassertank geöffnet. Im Inneren herrscht Hausschuhpflicht und in einer kleinen Garderobe im Eingangsbereich standen Filzpantoffeln bereit.
Himmel und Erde
Der Skyspace mit dem Titel The Color Beneath ist ein eigentlich recht kleiner runder Raum mit Sitzbänken an den Wänden. Das zentrale Element ist eine kreisrunde Öffnung an der Decke, durch die man den Himmel beobachten kann. So weit, so unspektakulär. Nimmt man jedoch Platz und blickt durch die kreisrunde Öffnung gen Himmel, will man so gar nicht glauben, dass diese azurblaue Scheibe, die sich in der Tiefenwahrnehmung kaum von den kalkweißen Wänden abzuheben scheint, der Himmel sein soll.
Tischtennis und Parapsychologie
Weitaus spannender ist der zweite Teil der Installation mit dem Titel Ganzfeld: Double Vision. Das Konzept und der Name der Installation leiten sich vom sogenannten Ganzfeld-Experiment aus dem Bereich der Parapsychologie ab. Bei einem Ganzfeld-Experiment wird ein Proband rotem Licht und weißem Rauschen ausgesetzt, während seine Augen von halbierten Tischtennisbällen abgedeckt sind. Durch den Entzug von sensorischen Reizen mittels dieser Versuchsanordnung soll den „übersinnlichen Fähigkeiten“ des Probanden auf die Sprünge geholfen werden.
Das Ganzfeld
Der hierbei auftretende Effekt kann aber in dieser Kunstinstallation auch ganz ohne übersinnliche Fähigkeiten erlebt werden. Abgeschottet von natürlichem Licht sieht man sich in dieser Installation mit einem völligen Verlust der Tiefenwahrnehmung konfrontiert. Nicht selten ertappt man einen der Besucher bei dem Versuch, die milchige, scheinbar direkt vor Augen liegende Fläche zu berühren, um dann unvermittelt ins Leere zu greifen.
Blickt man längere Zeit ungestört auf die gleichförmige Fläche, so können einem die Augen schon den einen oder anderen Streich spielen. Durch die plötzlich auftretenden Farbwechsel der ansonsten ebenfalls gleichförmigen LED-Beleuchtung verändert sich schlagartig die Tiefenwahrnehmung und die undefinierbare Wand kommt schlagartig einen Sprung näher.
Wahrnehmung und Bewusstsein
Die ein oder andere Wahrnehmungsveränderung wurde wohl von fast jedem Leser schon erlebt, und sei es auch nur durch Alkohol. Es gibt aber auch noch zahlreiche andere Möglichkeiten, interessante Erfahrungen mit der eigenen Wahrnehmung zu machen. Diese Kunstinstallation ist eine davon. Jedem, der seinem Bewusstsein ein paar ungewöhnliche Eindrücke hinzufügen möchte, sei daher ein Besuch in diesem oder einem der gleichartigen Werke ans Herz gelegt.
Zu lange konnte man sich jedoch leider nicht mit der eigenen Wahrnehmung beschäftigen, denn an jenem Sonntag waren alle Führungen ausgebucht und die nächste Gruppe stand bereits in den Startlöchern, um sich in Filzpantoffeln den veränderten Sinneseindrücken zu stellen.