Ein Sachse auf dem Frankenthron – Zum Jubiläum Ottos des Großen
Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hat in seiner fast tausendjährigen Geschichte unzählige Könige und Kaiser hervorgebracht, die sich dem Schutz und der Ehre des Reiches verpflichtet fühlten. Ohne Otto I. aus dem Geschlecht der Liudolfinger hätte es diesen Teil der deutschen Geschichte wohl nicht gegeben. FREILICH-Redakteur Mike Gutsing erinnert an den ersten deutschen Kaiser und zeigt, dass man als Herrscher im Mittelalter weit mehr benötigte als einen starken Schwertarm.
Der Ruhm Ottos des Großen stieg schon bald nach seinem Tod auf ein Niveau, das dem des damals schon legendären Karl des Großen in nichts nachstand. Bischof Thietmar von Merseburg (975-1018) erklärte nur wenige Jahrzehnte nach dem Tod des Kaisers: „In seinen Tagen brach die goldene Zeit an. […] Seit Karl dem Großen hat auf dem Königsthron kein gleichbedeutender Herrscher und Verteidiger unseres Vaterlandes gesessen.“ Diese Gleichsetzung ist keineswegs unberechtigt, und doch muss sie überraschen. Denn nur wenige Generationen vor dem Aufstieg der Liudolfinger zu einem der bedeutendsten Herrschergeschlechter Europas waren die Sachsen noch erbitterte Feinde des christlichen Frankenreiches. Erst die Zwangschristianisierung unter Karl dem Großen integrierte sie in den westeuropäischen Kulturkreis und legte den Grundstein für den Aufstieg der sächsischen Eliten.
Otto wurde als Sohn des ostfränkischen Königs Heinrich I. (876-936) geboren. Sein Vater hatte neben der ostfränkischen Königswürde auch den Titel eines Herzogs von Sachsen inne. Dieses war im weitesten Sinne territorial identisch mit dem heutigen Bundesland Niedersachsen und Teilen Schleswig-Holsteins, umfasste aber auch Teile der nordrhein-westfälischen Landkreise Münster und Detmold. Das Herzogtum Sachsen gehörte zu den größten Teilherrschaften des ostfränkischen Reiches, seine Herzöge standen damit automatisch an der Spitze des Adels. Das diplomatische Geschick, das Otto später nachgesagt wurde, scheint auch sein Vater besessen zu haben. Dieser sorgte nicht nur für die Thronfolge seines Sohnes, sondern vermittelte auch die Verlobung Ottos mit der englischen Prinzessin Edgith.
Unter den Großen Europas
Nach seiner Thronbesteigung im Jahr 936 musste Otto vor allem seine Rivalen in der eigenen Familie ruhig stellen. Vor allem sein Bruder Heinrich beanspruchte ein Stück vom Kuchen, und auch seine eigene Mutter hätte, wie Flodoard von Reims berichtet, lieber ihren jüngeren Sohn als Herrscher gesehen. Trotz dieser Widerstände und der Rebellion einiger Herzöge gelang es Otto mit einer Mischung aus Gewalt und Ausgleich, seine Herrschaft bis 941 zu sichern. In den folgenden Jahren besetzte Otto wichtige Ämter in seinem Reich neu, wobei er wenig auf angestammte Rechte und Privilegien achtete, sondern nur auf die Treue zur Krone. So konnte er eine Herrschaftspraxis entfalten, die weit über das übliche Maß der damaligen Zeit hinausging.
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Mit der gesicherten Herrschaft im Inneren seines Reiches konnte Otto den Blick nach außen richten. Zum einen schwelte immer noch der Konflikt mit dem westlichen Teil des alten Frankenreiches. Die Nachfahren Karls des Großen erhoben weiterhin Anspruch auf das Herzogtum Lothringen mit der Kaiserpfalz Aachen. Gleichzeitig plünderten die Ungarn im Osten immer wieder große Teile seines Reiches, und auch die Slawen östlich der Elbe wehrten sich erbittert gegen die Kolonisierungs- und Christianisierungsbestrebungen ihrer Nachbarn. Besonders gute Beziehungen pflegte Otto zum benachbarten Königreich Burgund und zum Byzantinischen Reich, an dessen Hof er zahlreiche Gesandtschaften unterhielt. So gelang es Otto, die sächsische Kontrolle über das Ostfrankenreich und damit die Stellung seiner Familie in Europa zu sichern.
Große Ambitionen
Den Wendepunkt des Ringens im Inneren des Reiches, bei denen sich sogar Ottos Sohn und Erbe Liudolf beteiligte, stellt ohne Zweifel die Schlacht auf dem Lechfeld (955) dar. Nach einer langen Pause griffen die Magyaren wieder im Süden des Reiches an, um die reiche Stadt Augsburg zu erobern. Liudolf umwarb die Reiterkrieger und richtete ihnen am Palmsonntag 954 sogar ein großes Festmahl aus. Dieser Frevel sprengte die antikaiserliche Opposition, und Liudolf musste noch im selben Jahr vor seinem Vater die Waffen strecken, der ihn und alle anderen Dissidenten wieder in seinen Kreis aufnahm. Erst die vereinten Kräfte des Reiches konnten die Ungarn in der weiten Ebene südlich von Augsburg stellen und vernichtend schlagen.
Mit diesem Sieg, der nicht nur das Ende der ungarischen Raubzüge in Europa bedeutete, änderte sich auch Ottos Herrschaftsverständnis. Er führte nicht nur sein Schlachtenglück auf Gottes Hilfe zurück, sondern erkannte auch die Untrennbarkeit des christlichen Glaubens von seinem Reich. Der Aufstand des italienischen Königs Berengar II. (900-966), der Italien formell als ostfränkisches Lehen hielt, veranlasste Otto zu seinem Italienzug, an dessen Ende die Krönung zum ersten römisch-deutschen Kaiser seit Karl dem Großen stand. Erstmals wurde auch die Ehefrau des Herrschers gesalbt und gekrönt und damit in den Rang ihres Mannes erhoben.
Otto als Kirchenreformator?
Unzählige weitere Abschnitte aus dem Leben Ottos des Großen ließen sich erzählen. Die späte eheliche Verbindung durch die Heirat seines Sohnes mit der byzantinischen Kaisertochter Theophanu, die bis in die Neuzeit nachwirkende Sage von der deutschen Kaiserkrone oder der Einfluss Ottos auf die Kirche. Das als „ottonisch-salisches Reichskirchensystem“ in die Forschung eingegangene Bündel von Maßnahmen zur Sicherung seiner Herrschaft über die geistlichen Lehen wird jedoch häufig überschätzt. Die Dienstbarmachung der Kirche durch großzügige Verleihung von Hoheitsrechten wie Zoll-, Münz- oder Marktrecht war zu Lebzeiten Ottos zwar einzigartig, im Kern aber keine kirchliche, sondern eine weltliche Herrschaftsreform.
Otto der Große steht als Scheidepunkt der deutschen Geschichte vor uns. Hinter ihm liegt die fränkisch-germanische Vorzeit - vor ihm liegt die germanisch-römische Zukunft. Auch wenn die Romantisierung des Mittelalters eher ein Phänomen des 19. Jahrhunderts ist, darf uns die gemeinsame Geschichte mit den Anfängen unserer Geschichte stolz machen. So sei dem alten Sachsenkaiser zum 111. Geburtstag herzlich gratuliert, auf dass sein Wirken auch in den nächsten tausend Jahren noch Staunen und Ehrfurcht hervorrufen möge.
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