Vergangene Debatten, aktuelle Relevanz – der Sammelband „Nahe Vergangenheit“

Der Sammelband „Nahe Vergangenheit“ aus dem Ares-Verlag versammelt Texte aus der Zeitschrift Abendland, die historische Entwicklungen zwischen 1914 und den 1950er-Jahren beleuchten. Ein Muss für historisch Interessierte, wie Mike Gutsing in seiner Rezension für FREILICH festhält.

Kommentar von
1.3.2025
/
3 Minuten Lesezeit
Vergangene Debatten, aktuelle Relevanz – der Sammelband „Nahe Vergangenheit“

Der Sammelband ist 2024 im Grazer Ares Verlag erschienen.

© FREILICH

Wie gehen wir mit unserer Geschichte um? Auf diese Frage gibt es unzählige Antworten, die einander widersprechen, manchmal übereinstimmen und nicht selten einander ausschließen. Die Meinungen gehen umso weiter auseinander, je mehr man sich politisch oder emotional aufgeladenen, kontrovers diskutierten Themenfeldern nähert. Gesellschaftliche Tretminen lauern links wie rechts, und jede wissenschaftliche Erkenntnis muss sich vor dem ständig lauernden Revisionismusverdacht in Sicherheit bringen.

Thematischer Korpus, bekannte Autoren

Umso erfrischender sind Publikationen, die sich dieser Drohkulisse entziehen können, ohne ihren Anspruch auf Erkenntnisgewinn aufgeben zu müssen. Eine solche Publikation ist der im Ares-Verlag erschienene Sammelband „Nahe Vergangenheit“. Der Herausgeber und Ares-Verleger Wolfgang Dvorak-Stocker hat darin über 20 längere und kürzere Beiträge aus der hauseigenen Vierteljahresschrift Abendland ausgewählt und zu einem thematischen Korpus zusammengestellt. Abendland ist aus der 2020 umbenannten Zeitschrift Neue Ordnung hervorgegangen, aus deren Archiv zahlreiche Beiträge des Buches stammen.

Die Autoren, darunter bekannte Namen wie Hans-Dietrich Sander, Andreas Vonderach oder Benedikt Kaiser, nähern sich auf unterschiedliche Weise der Lieblingsneurose der Deutschen: Dem Dritten Reich beziehungsweise dem Faschismus in seinen verschiedenen Ausprägungen. Die von Dvorak-Stocker ausgewählten Texte beleuchten dabei sowohl explizit deutsche als auch europäische Perspektiven auf die Jahrzehnte zwischen 1914 und den 1950er-Jahren.

Alte Kader und junge Ideen

Die Qualität der Texte ist durchweg gut, insbesondere die prominenten Autoren liefern die von ihnen gewohnte Qualität. Unter ihnen sticht der Text von Werner Bräuninger hervor, in dem der Autor die Entwicklung der politischen Rechten in den gut zwei Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges skizziert. Alte Kader und junge Ideen, die vielen heute nicht einmal mehr dem Namen nach bekannt sind. Innere Zerrissenheit, systematische Ausgrenzung durch die Regierungsparteien – alles in allem eine Situation, die dem Leser auch mehr als 20 Jahre nach Erscheinen des Originaltextes bekannt vorkommen dürfte.

Die große Leistung des Sammelbandes und damit des Ares-Verlages überhaupt ist es, nicht nur eine Sammlung interessanter Texte zusammengestellt zu haben, sondern in den Beständen der letzten zwei Jahrzehnte wirklich zeitlose Themen mit Gegenwartsbezug gefunden zu haben. Der Titel der „Nahen[n] Vergangenheit“ hat dabei sprichwörtlich den Nagel auf den Kopf getroffen.

Weitere Beiträge befassen sich mit dem Verhältnis der Kirche zum NS-Staat, ihrer Architektur, ihrer Philosophie oder der Rolle ihrer Musik – immer ergebnisoffen, ohne Verklärung im Positiven wie im Negativen. Die zum Teil sehr ausführlichen Anmerkungen ermöglichen eine vertiefende Lektüre und unterstreichen den akademischen Eindruck des Buches. Hier wäre allerdings ein einheitliches Format beziehungsweise ein durchgehender Stil von Zitaten, Anmerkungen o. ä. wünschenswert gewesen. Kritik muss auch an der Reihenfolge der Beiträge geübt werden. Warum stehen die Beiträge zum Themenkomplex Russland/Ukraine am Anfang, in der Mitte und am Ende des Sammelbandes? Eine stichhaltige Notwendigkeit und damit eine Logik hinter der Platzierung der Texte sucht man vergeblich – der Lesequalität tut dies allerdings keinen übermäßigen Abbruch.

Einstieg in vernachlässigte Themen

Was bleibt von der Vergangenheit? Diese Frage stand am Ende der Lektüre vor dem geistigen Auge und kann doch nicht vom Buch, sondern nur von jedem Leser selbst beantwortet werden. „Wer die Geschichte nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten“, stellt Dvorak-Stocker im Vorwort der mittlerweile vierten Publikation dieser Art im Ares-Verlag fest. Das Buch „Nahe Vergangenheit“ lebt von der hohen Qualität der vom Herausgeber ausgewählten Texte, eine Leistung, die gerade angesichts des beträchtlichen Altersunterschieds zur Erstveröffentlichung nicht von der Hand zu weisen ist. Er eignet sich hervorragend, um einen Einstieg in Themen zu finden, die an deutschen Universitäten eher gemieden werden, und um Perspektiven kennenzulernen, die nicht von dieser vergifteten Geschichtskultur betroffen sind. Der Sammelband ist daher eine Pflichtlektüre für alle Historiker, die ihren Berufsstand ernst nehmen, und für alle, die über unsere Kultur, Geschichte und Identität nachdenken wollen.

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Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Mike Gutsing

Mike Gutsing, Jahrgang 1999, hat Geschichte studiert und lebt in Mitteldeutschland. Das besondere Interesse des Korporierten gilt der deutschen Geschichte und Kultur.

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