Wie Romantik und Mittelalter Tolkiens Werk beeinflussten

Anlässlich des 50. Todestages J.R.R. Tolkiens widmet sich FREILICH-Autor Mike Gutsing der Frage, inwiefern Romantik und Mittelalter die Werke des britischen Schriftstellers beeinflussten. Dabei kritisiert er die Umsetzung der Amazon-Serie „The Rings of Power“, die seiner Meinung nach den für Tolkien typischen Ton völlig verfehlte.

Kommentar von
28.4.2023
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3 Minuten Lesezeit
Wie Romantik und Mittelalter Tolkiens Werk beeinflussten

Elijah Wood als Frodo Beutlin

© IMAGO / United Archives

In diesem Jahr jährt sich der Todestag des britischen Philologen und Schriftstellers J.R.R. Tolkien zum fünfzigsten Mal. Was auf den ersten Blick kein Grund zur Freude wäre, ist angesichts der ungebrochenen Popularität seiner Werke ein Trost für alle, die sich intensiv mit der Welt der Elben, Zauberer und Orks beschäftigen. Die „Faszination Mittelerde“ ist ungebrochen, manche sehen in der Serie des Streaming-Dienstes Amazon sogar eine Tolkien-Renaissance, wie es sie seit dem Erfolg der Kinofilme nicht mehr gegeben hat. Gleichzeitig hält sich unter den Fans die eiserne Haltung, dass nur die Bücher ein adäquates „Herr der Ringe“-Erlebnis vermitteln können. Woran liegt das? Handelt es sich dabei nur um die Meinung eingebildeter Möchtegern-Intellektueller oder offenbaren Tolkiens literarische Darstellungen eine Wahrheit, die auf der Leinwand verborgen bleibt?

Als bibliophiler Mensch liegt die Vermutung einer „geheimen Wahrheit“ zwischen den Zeilen eines Buches natürlich nahe, aber diese innere Gewissheit muss auch begründbar sein, sonst bleibt sie ein Hirngespinst eines Einzelnen. Im Gegensatz zu heutigen Wissenschaften hätte Tolkien diese „Lücke“ durchaus gemocht, er selbst hat nur wenigen Figuren seines „Herrn der Ringe“ ein endgültiges Ende gegeben oder sie durch spätere Schriften ergänzt. Immer wieder fragt sich der Leser auf seiner literarischen Reise durch Mittelerde, was wohl der Hintergrund für dieses oder jenes ist, oder in welchem Zusammenhang bekannte mit weniger bekannten Elementen von Tolkiens Geschichte stehen. Dabei gelingt es dem Autor allein in seinen drei bekanntesten Werken, ein so umfassendes und doch in sich stimmiges Gesamtwerk zu schaffen, dass man fast glauben könnte, Mittelerde sei nur ein vergangener Ort aus einer vergessenen Zeit und nicht das Produkt der Phantasie eines einzelnen Mannes. Tolkien selbst hatte einmal geschrieben, er wolle „anderen Geistern und Händen“ Raum geben, aber Elben, Zauberer und Orks machen noch keinen „Herrn der Ringe“.

Tolkiens eigene Lebenseinstellung

Die idyllischen Wiesen des Auenlandes oder die weiten Ebenen des Reitervolkes der Rohirrim lassen Film- und Buchliebhaber bis heute ins Schwärmen geraten. Auch die Drehorte ziehen mit ihren imposanten Kulissen jährlich tausende Touristen an. Tolkiens Naturschwärmerei erinnert an die Stimmungen der Romantik, jener ästhetischen Epoche, die mit den Bildern Caspar David Friedrichs und den Gedichten Joseph von Eichendorffs den Zauber der Natur in das Leben der Menschen zurückholen wollte. Der deutsche Literaturwissenschaftler und Tolkien-Experte Oliver Bidlo attestiert Tolkien sogar eine „romantische Geisteshaltung“, die er auf die epochentypischen Merkmale von Sehnsucht und Kreativität in Tolkiens Literatur zurückführt. Auch der Mittelalterkult der Romantik schlägt sich nieder, schließlich ist die Ringgemeinschaft um den Hobbit Frodo nicht umsonst die Neuauflage der Gralsritter, die an der Tafelrunde über das Schicksal der Welt beraten.

Wie für die Romantiker, insbesondere in Deutschland, war der „Herr der Ringe“ für J.R.R. Tolkien kein Eskapismus zum Selbstzweck. Auch wenn der Autor selbst eine „englische Mythologie“ schaffen wollte, spielten für ihn politische Themen wie die Ökologie eine wichtige Rolle. Mit dem Auenwald der Hobbits oder den tiefen Wäldern, in denen seit Jahrtausenden Elben oder ganz andere Wesen leben, setzte er seiner eigenen Heimat ein Denkmal. Tolkiens Geschichten atmen bis heute die Luft eines Menschen, der sich seiner Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt stets bewusst war, der nicht zum Spießer mit erhobenem Zeigefinger wurde, sondern Erzähler blieb. Die Bedeutung von Geschichten für die Welterkenntnis beschreibt auch einer der bekanntesten deutschen Dichter der Romantik, Georg von Hardenberg, genannt Novalis:

„Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Sind Schlüssel aller Kreaturen,

Wenn die so singen oder küssen

Mehr als die Tiefgelehrten wissen

Wenn sich die Welt ins freie Leben,

Und in die ‹freie› Welt wird zurückbegeben,

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten

Zu echter Klarheit werden gatten

Und man in Märchen und Gedichten

Erkennt die ‹alten› wahren Weltgeschichten,

Dann fliegt vor Einem geheimen Wort

Das ganze verkehrte Wesen fort.“

Die Serie entfernt sich von Tolkien

Das Motiv der Erinnerung an frühere, meist bessere Zeiten spielt für das Verständnis von Tolkiens Büchern eine entscheidende Rolle. Nicht umsonst befindet sich Mittelerde zur Zeit des „Herrn der Ringe“ in einem stetigen Niedergang, der Auszug der Elben und die zunehmende Dunkelheit bis zum endgültigen Sieg des Guten spiegeln deutlich Tolkiens eigene Lebenseinstellung wider. Das bedeutet nicht, dass Tolkien vom Untergang des Abendlandes überzeugt war. Aber Tolkien, der als Soldat im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, war entscheidend von dem Eindruck geprägt, dass die Welt spätestens im Großen Krieg etwas von ihrem alten Glanz verloren hatte.

Während die Filme des Regisseurs Peter Jackson der Geschichte um den Einen Ring zweifellos gerecht werden, verlieren sich die romantischen Motive in den meist bildgewaltigen Kinofilmen zusehends im Actionrausch. Genau dieses Missverhältnis könnte den überwältigenden Erfolg der Amazon-Serie erklären. Diese versuchte vor allem im spektakulären Staffelfinale mit den Kinofilmen gleichzuziehen, verfehlte dabei aber völlig den für Tolkien typischen Ton. Die „Ringe der Macht“ sind das genaue Gegenteil dessen, was Tolkiens romantischer Vorstellung seiner Geschichte entsprach: ein auf Technik und Äußerlichkeiten reduziertes Kunstobjekt ohne Sinn für Mythos, Tradition und Magie, dem schlicht die Seele fehlt. Das Gehirn kann ein Buch entziffern, aber das Herz muss es erklären.


Zur Person:

Mike Gutsing, Jahrgang 1999, hat Geschichte studiert und lebt in Mitteldeutschland. Das besondere Interesse des Korporierten gilt der deutschen Geschichte und Kultur.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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