Wien: Linksradikale wettern über vermeintlich ‚rechtes‘ Neujahrskonzert
Am Dienstag leitete der renommierte Berliner Dirigent Christian Thielemann sein erstes Neujahrskonzert an der Wiener Staatsoper. Linke Akteure reagierten mit heftiger Kritik an Person und Veranstaltung.
Wien. – Für einige linksgerichtete Akteure im deutschsprachigen Raum war die traditionsreiche jährliche Veranstaltung ein willkommener Anlass, um Dampf abzulassen. Bei ihrer mannigfaltigen Kritik aus politischen Motiven richteten sich gleich mehrere Kommentatoren sowohl gegen die Geschichte des Konzerts als auch gegen den diesjährigen musikalischen Leiter. Thielemann gilt als Spezialist für Werke Wagners und der Familie Strauss. Die Werke Letzterer machen einen großen Teil des traditionellen Inhalts des Neujahrskonzertes aus.
Linksradikaler Journalist startet NS-Vergleich
Einerseits erinnerten Akteure der radikalen Linken an die Erstaufführung des Konzerts während des Zweiten Weltkriegs. Tatsächlich stimmt der Befund, dass das Konzert der Wiener Philharmoniker, das jährlich von mehr als 50 Millionen Menschen weltweit genossen wird, am 31. Dezember 1939 seinen Beginn nahm und damals dem NS-Winterhilfswerk gewidmet war. In den vergangenen Jahren arbeitete das renommierte Orchester seine Geschichte allerdings umfassend und transparent auf.
Für den Journalisten und linken Aktivisten Michael Bonvalot dennoch ein Grund, dies neu zu thematisieren. Ohne zu erwähnen, dass die Adaption des Radetzkymarsches mit verdickter Instrumentierung hauptsächlich musikalischer Natur ist und dessen heute bekannteste Variante darstellt, problematisiert er dies. Zur Unterstreichung seiner Argumente verlinkt er auf einen Artikel der offen marxistischen Tageszeitung junge Welt, welche zwischen 1947 als Zentralorgan der DDR-Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) fungierte:
Das #Neujahrskonzert fand erstmals 1939 statt und war Hitlers Kriegswinterhilfswerk gewidmet. 2019 wird es von einem Preußenverehrer geleitet. Bereits an sich bedenklich der Radetzkymarsch – und der wird bis heute in einer Version der NS-Zeit gespielt.https://t.co/3z6EwHAkgF
— Michael Bonvalot (@MichaelBonvalot) 1. Januar 2019
Vorwürfe gegen Dirigent Thielemann
Andere Kommentatoren übertrafen dessen Anspielungen auf den Dirigenten allerdings noch in der Schärfe. Ein deutscher Nutzer etwa ordnete den diesjährigen musikalischen Leiter direkt in die vermeintliche Tradition des NS-Kapellmeisters Clemens Krauss ein. Seiner Ansicht nach sei dies sogar mit der konservativ-patriotischen Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu erklären.
Schon sehr bedauerlich, dass mit Christian #Thielemann nach Clemens Krauss erstmals wieder ein Dirigent der extremen politischen Rechten das #Neujahrskonzert der @Vienna_Phil leitet – aber auch kein Wunder bei einer Bundesregierung unter @sebastiankurz …
— Eugen Duvier (@EugenDuvier) 1. Januar 2019
Zur Erklärung anhand welcher Ansätze er Thielemann als Vertreter der „extremen politischen Rechten“ einstuft, erwähnt er dessen angebliche Unterstützung der PEGIDA-Proteste in Dresden.
Thielemann verteidigte Versammlungsfreiheit
Entsprechende Vorwürfe gegenüber Thielemann sind keinesfalls neu. Sie beziehen sich auf einen Gastkommentar des damaligen und heutigen Chefdirigenten der Dresdner Staatskapelle in der linksliberalen Zeit. Darin erklärte er die Versammlungs- und Meinungsfreiheit als „hohes Gut“ und plädierte für einen Dialog mit den Demonstranten. Seitdem dichtet man Thielemann regelmäßig Sympathien in diese Richtung an.
Dieser wiederum weist solche Anwürfe weit von sich und sieht es als seine Aufgabe, auch Menschen ein Gehör zu schenken, welche „eine Meinung vertreten, die [ihm] total gegen die [sic] Strich geht.“ Bereits Jahre zuvor brachte ihn die Entscheidung, auch die Werke einiger historisch belasteter Komponisten aufzuführen, ins Zentrum der Kritik. Auch dazu verteidigte er dereinst lapidar: „Ist denn C-Dur nach den zwölf Jahren Hitler etwa anders zu hören als zuvor?“
Graz: Grünen-Stadträtin will Dirigentin
In eine andere Stoßrichtung zielte die Grazer Grünen-Stadträtin Tina Wirnsberger. Sie machte sich – ebenfalls auf Twitter – für eine weibliche Leitung des Neujahrskonzerts stark. Konkret regt sie in einem Folgekommentar Oksana Lyniv an. Die gebürtige Ukrainierin ist seit 2017 als Chefdirigentin an der Grazer Oper tätig.
Ich freu mich schon sehr drauf, wenn das erste Mal eine Frau das #Neujahrskonzert dirigiert. ❤ Wann ist es endlich soweit?
— Tina Wirnsberger (@tinawirnsberger) 1. Januar 2019
Wirnsbergers Wunsch würde allerdings ohnehin noch warten müssen. Denn für 2020 ist bereits der bekannte lettische Dirigent Andris Nelsons vorgesehen. Jener gilt, wie auch Thielemann, als ausgewiesener Strauss-Experte.