AfD im Höhenflug: Die Partei ist mehr als Protest
Die Alternative für Deutschland befindet sich laut aktuellen Umfragen im Höhenflug. Kevin Naumann erörtert in seinem Kommentar für FREILICH die Chancen der AfD als Partei, die eine in der Bevölkerung tief empfundene Sehnsucht nach einem pragmatisch-konservativen Politikstil als auch nach Identität und Heimat anspricht.
Im kommenden Jahr wird in Ostdeutschland gewählt. Kein Wunder also, dass Medien und Politik nervös werden, wenn die Alternative für Deutschland in Umfragen bei 30 Prozent liegt, wie in Thüringen und Sachsen, oder gar bundesweit bei 20 Prozent. Woher kommt dieser neue Zuspruch? Sicherlich hat die politische Talfahrt der Bundesregierung einen großen Anteil an diesem Aufschwung, doch bleiben in den aktuellen Analysen wichtige Punkte unberücksichtigt, die sich einer empirischen Begründung entziehen.
Eine verkürzte Analyse
Medien und Politik sind sich relativ einig, dass die AfD von der miserablen Arbeit der Bundesregierung profitiert. Das ist wohl zum großen Teil richtig: Der Grund für das jüngste Umfragehoch ist die wirtschaftspolitische Fehlentwicklung seit der Bundestagswahl 2021. Die materiellen Belastungen durch die Inflation sind direkt spürbar und nachvollziehbar auf die Inkompetenz der Bundesregierung und ihrer Akteure zurückzuführen.
Der andere, vernachlässigte Teil der Analyse kann in zweierlei Hinsicht betrachtet werden. Zum einen kommt ein Gefühl der Übermacht ungelöster gesellschaftlicher Krisen hinzu, das mit dem Begriff der „Konvergenz der Krisen“ (Benedikt Kaiser) erfasst wird. Denn weder konnte die Migrationskrise gelöst, geschweige denn gestoppt werden, noch wurden die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen der Corona-Zeit angemessen aufgearbeitet. Die Menschen haben nicht mehr das Gefühl, dass politische Probleme gelöst werden können, sondern dass ihre negativen Folgen lediglich sozialdemokratisch verwaltet werden. Alles in allem bleibt das gegenwärtige Gefühl eines bleiernen Mantels auf den Schultern des Volkes.
Die emotionale Ebene
Zum anderen spricht die AfD eine in der (nicht nur ostdeutschen) Bevölkerung tief empfundene Sehnsucht sowohl nach einem pragmatisch-konservativen Politikstil als auch nach Identität und Heimat an. Die Anknüpfung an das verdrängte Eigene weckt die Hoffnung, dass die politisch Verantwortlichen den Zugang zum eigenen, verwehrten kulturellen Erbe öffnen können. Es ist der Glaube, sich dem Diktat der permanenten Selbstverleugnung und der Maske des politisch korrekten Bürgers entziehen zu können.
Sowohl der phrasenallergische ehemalige DDR-Bürger als auch der junge Deutsche vertreten durchaus konservative und nonkonforme Positionen und verlangen nach Einbindung und Rückkopplung in eine Gesellschaft, die sich positiv und durchaus stolz zur eigenen Identität bekennt. Warum sonst ist die Social-Media-Aktion „Stolzmonat“ gerade jetzt so erfolgreich? Die Aktion ist zum einen eine Reaktion auf den Überdruss an der emanzipatorisch-aggressiven Regenbogenagenda, zum anderen ein Ausdruck des inneren Wunsches nach Selbstvergewisserung eines gemeinsamen Ganzen. Der Stolzmonat als Musterbeispiel des metapolitischen Kampfes stellt durch diese anschlussfähige Provokation einen aufmerksamkeitsökonomischen Achtungserfolg der patriotischen Seite dar.
Warum auch die AfD profitiert
Im Jahr 2023 sind fast alle liberal-konservativen und systemtreuen Kräfte ausgeschieden und sowohl in der Mutterpartei als auch in der Jugendorganisation geben nun überwiegend nationalkonservative Stimmen den Ton an. Lerneffekte führen auch dazu, dass auf Distanzierungen und das öffentliche Austragen interner Konflikte ebenso verzichtet wird wie auf hysterische Rechtfertigungswellen aufgrund von Einschätzungen und Neubewertungen politischer Behörden (siehe Verfassungsschutz).
Die Partei kann nun versuchen, Themen zu setzen, nachdem sich die derzeitige Bundesregierung auf nationaler wie internationaler Bühne grandios blamiert hat und ihre inszenierten Wirklichkeiten auf eine in weiten Teilen völlig konträre Alltagsrealität der Bürger treffen. Vor allem gegenüber dem Osten offenbart sich ein fundamentaler Antagonismus. Auf der einen Seite konstruiert ein orthodoxes Regenbogenmilieu in den urbanen Zentren eine schöne neue Welt, auf der anderen Seite sind vor allem in den ländlich geprägten Räumen Mitteldeutschlands die Einheimischen nicht bereit, ihr Erbe und ihre Identität erneut in Frage zu stellen.
Andere Perspektiven im Osten
Wo man vor der letzten Landtagswahl 2019 noch miteinander diskutieren konnte, haben Migration, Corona, Krieg und Klimahysterie eine unversöhnliche Konstellation geschaffen – öffentliche Debatten zwischen rechten und linken Meinungen oder zwischen kulturellem Mainstream und nonkonformen Akteuren sind heute undenkbar. Diese Geschichte der Krisen ist ein Grund dafür, dass zum Beispiel Äußerungen des Verfassungsschutzes kaum Empörung in der Bevölkerung hervorrufen und dennoch die Zustimmung zur AfD wächst. Die erlebten Brüche und das Gefühl, wie die AfD in Teilen abgewertet worden zu sein, sowie der Widerstand gegen die Gefahr, eine Transformation erneut nicht bewältigen zu können, gehören zur Wahrheit über die Stimmungslage und die damit verbundene Zustimmung zur AfD. Diese ist somit nicht nur Ausdruck des Protests, sondern inzwischen auch mit Hoffnungen vieler Menschen verbunden.
Sie erleben die tonangebende Gruppe in Medien und Politik als übergriffigen und geschlossenen Block, der ausschließlich für sich und seinesgleichen Politik macht und seine Kritiker diffamiert und ausgrenzt. Das große Medienspektakel wird deshalb gar nicht erst konsumiert oder seine Legitimität als solches zunehmend in Frage gestellt. Zu groß ist der Vertrauensverlust in die Rhetorik der Machtmilieus, zu absurd die Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrheit und bürgerlichem Alltag, zu groß die Kränkung der Menschen, die sich beschimpfen lassen müssen, weil sie ihre Kultur bewahren wollen und denen der Blick auf ihre Heimat schlaflose Nächte bereitet. Sie haben längst nicht mehr nur das Gefühl, dass sie (ständig) belogen werden, sondern dass ihre Heimat mutwillig zerstört wird.
Identitätsverlust der Jugend
Vor allem junge Wähler blicken heute in eine ungewisse Zukunft. Während die Jugend vor zehn Jahren noch Hoffnungsräume vorfand, in denen sie halbwegs beruhigt Pläne für Familie, Ausbildung, Beruf und Eigentumsbildung schmieden konnte, sieht sie sich heute angesichts vielfältiger Krisen mit einem Gefühl der Unsicherheit konfrontiert, das sich negativ auf ihre psychische und physische Konstitution auswirkt. Die zunehmende Entfremdung der Kinder und Jugendlichen von einem gefestigten Milieu und der Verlust öffentlicher Ordnungen und Werte lassen ein Identitätsvakuum entstehen, das mit Ersatznarrativen wie „weltoffen, bunt und vielfältig“ oder Klimarettung gefüllt wird.
Flankiert wird dieser Entfremdungsprozess von einer Volkspädagogik, die den Wert der Herkunft selbst kriminalisiert und den Blick junger Deutscher auf die eigene Geschichte auf die Zeit des Nationalsozialismus verengt. Die „historische Schuld“ ist Staatsräson, ein positiv verstandenes Deutschtum wird im „Kampf gegen Rechts“ auf allen staatlichen und halbstaatlichen Ebenen frühzeitig bekämpft und durch bildungspolitische Ideale einer kosmopolitisch orientierten Vertragsgesellschaft ersetzt.
Ohne Jugend keine Zukunft
Laut Wahlanalyse der Forschungsgruppe Wahlen/ZDF hat die AfD in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt die Stimmen der jungen Wähler gewonnen. Doch warum wählen die jungen Ostdeutschen sie? Im Gegensatz zur inszenierten Jugend der grünlinken PR-Maschinerie ist den meisten Jugendlichen ein „normales“ ergo bodenständiges und planbares Leben sehr wichtig und grundlegende Themen wie (traditionelle) Familie, Bildung, innere und äußere Sicherheit sowie ein positives Kultur- und Nationalbewusstsein spielen sicherlich eine entscheidende Rolle. Anders als die CDU, die nach ihren jüngsten Äußerungen den Wandel zu einer konservativen Positionierung im Osten nicht vollziehen wird und die Ankunft des grünlinken Narrenschiffs herbeisehnt, könnte eine professionalisierte AfD vor allem in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands dauerhaft die Stimmen der jungen Wähler gewinnen.
Die AfD, sofern sie sich auch in Zukunft mehr als Bewegung denn als Partei versteht, ist der Hoffnungsträger vieler junger Konservativer, die ihre deutsche Identität wiederentdecken, bewahren und weitertragen wollen, die nicht zurück in vergangene Zeiten wollen, die aber klar einfordern, was ihnen verwehrt wird und wer den Schaden verursacht. Ein gesundes Leben braucht ein identitäres und materielles Minimum und eine sinnstiftende Zukunftsidee. Die AfD sollte ihren Blick auf die junge Generation richten, sich strukturell und verhaltensmäßig weiter professionalisieren, Ressourcen für Jugend und kreativ-idealistisches Vorfeld klug einsetzen, damit junge Menschen über den derzeitigen Höhenflug hinaus bereit sind, sich politisch und aktivistisch einzubringen. Der Osten bietet dafür die besten Voraussetzungen und einen fruchtbaren Boden, um den Wandel vom Protest- zum Hoffnungsraum zu gestalten.
Zur Person:
Kevin Naumann, Jahrgang 1988, ist ein Patriot aus Mitteldeutschland.