„Alles für Deutschland“ – Politische Justiz oder Rechtsstaat?

Dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke wird vorgeworfen, mit dem letzten Teil des Dreiklangs „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“ wissentlich das Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation verwendet zu haben. In seinem Kommentar für FREILICH erläutert Alexander Wolf, welche historischen Fakten und grundsätzlichen rechtsstaatlichen Überlegungen gegen eine Strafbarkeit in diesem Fall sprechen.

Kommentar von
14.5.2024
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4 Minuten Lesezeit
„Alles für Deutschland“ – Politische Justiz oder Rechtsstaat?

Höcke am dritten Verhandlungstag vor dem Landgericht Halle (Saale).

© IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Björn Höcke steht derzeit vor Gericht – weil er vor drei Jahren eine Rede in Merseburg, Sachsen-Anhalt, mit folgenden Worten schloss: „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland.“ Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, mit dieser Aussage das Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation verwendet zu haben – was in der Bundesrepublik gemäß § 86a Strafgesetzbuch strafbar ist. Dieser stellt das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen unter Strafe. Dazu gehören Symbole wie das Hakenkreuz, aber auch das Heben des rechten Arms oder zum Beispiel der Ausruf „Heil Hitler“.

Der Versuch aber, den Aufruf „Alles für Deutschland“ auf einen NS-Gebrauch zu verengen, wie es die Staatsanwaltschaft und weite Teile der Medien tun, ist bösartig und falsch. Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur belastende, sondern auch entlastende Punkte zu ermitteln. Und hier sprechen historische Fakten, aber auch grundlegende rechtsstaatliche Überlegungen gegen eine Strafbarkeit.

Erstens: Reichsbanner und Eiserne Front

Der Spruch „Alles für Deutschland“ wurde über viele Jahre gerade von Organisationen verwendet, die den Sozialdemokraten nahestanden. Er war (manchmal mit dem Zusatz „Nichts für uns“, manchmal ohne) ein wichtiger Wahlspruch des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“, des Wehrverbandes in der Weimarer Republik, der den Sozialdemokraten nahestand. Ebenso war er Wahlspruch der „Eisernen Front“, einem Bündnis von wiederum den Sozialdemokraten nahestehenden Verbänden, darunter das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“. Das Ziel der Eisernen Front war die „Erhaltung und Erfüllung“ der Verfassung der Weimarer Republik und die Abwehr radikaler republikfeindlicher Bestrebungen, insbesondere durch die Nationalsozialisten. Der Bundesvorsitzende des Reichsbanners, Karl Höltermann, hat den Spruch wiederholt benutzt (zum Beispiel im Reichsbanner vom 26. Dezember 1931).

Was heißt das für den „Fall Björn Höcke“?

Gerade bei jemandem, der die demokratischen Farben Schwarz-Rot-Gold wertschätzt wie Björn Höcke, ist davon auszugehen, dass er seine Worte im gleichen Sinne wie das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gewählt hat – und nicht im Sinne der Nationalsozialisten, die diese Farben hassten, verunglimpften und nach ihrer „Machtergreifung“ sofort abschafften.

Zweitens: Wilhelm Hoegner

Wilhelm Hoegner, Sozialdemokrat und der einzige Bayerische Ministerpräsident seit 1945, der nicht der CSU angehörte, sagte: „Wenn ich ,alles für Bayern' tun wollte, geschah es in dem festen Glauben, auch alles für Deutschland zu tun.“*

Was hier der geschworene Hitlergegner Wilhelm Hoegner festhält, entspricht dem umstrittenen Dreiklang: „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland.“ Indem Höcke erst die engere Heimat, dann das Bundesland und schließlich Deutschland anführte, brachte er – ähnlich Hoegner – zudem einen basisdemokratischen Gedanken zum Ausdruck, zugleich ein Bekenntnis zum Subsidiaritätsprinzip und zum Bundesstaat des Grundgesetzes. Beides wiederum ist mit der NS-Ideologie unvereinbar, die ja gerade die Länder ausschaltete und Deutschland zentralisierte.

Nur ergänzend noch ein Blick über den Tellerrand des linken deutschen Michels:
Nicolas Sarkozy veröffentlichte 2016 (s)ein Buch unter dem Titel Alles für Frankreich – „Tout pour la France“ – auch darauf könnte sich ein – angeblicher – „Verwender“ des Spruches „Alles für D.“ berufen.

Und bei Höcke?

Kurzum: Wenn jemand – wie vorliegend Björn Höcke – erstens die Gliederung des Bundes in Länder bekräftigt (was den Nationalsozialisten als Ausdruck der angeblichen „Systemzeit“ verhasst war) und zweitens die Farben Schwarz-Rot-Gold hochhält und mit beidem sein Engagement für das Grundgesetz bekundet, ist eine Auslegung als NS-Parole komplett fernliegend. Aber weiter und grundlegend, über den Einzelfall hinaus: 

Es ist rechtsstaatlich höchst fragwürdig (wenn nicht sogar abwegig) die Strafbarkeit einer bloßen Äußerung zu postulieren, bloß weil irgendein Gericht irgendwo in Deutschland irgendwann in einer Einzelfall-Entscheidung, die kaum jemand kennt, zu dem Ergebnis kam, das und das sei ein strafbares Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen … So aber war vorliegend das Oberlandesgericht Hamm in einer Einzelfall-Entscheidung in einem Jugendstrafverfahren im Jahre 2006 vorgegangen: Anstelle einer tragfähigen Begründung behauptete das Gericht dort in seiner Entscheidung schlicht, dass es sich bei dem Ausruf „Alles für Deutschland“ „wie allgemein bekannt ist, um die Losung der SA (…) handelt.“ Das ist schlankweg Unsinn – denn erstens ist beziehungsweise war das nicht allgemein bekannt, und zweitens ist die Zuspitzung, das sei „die“ Losung der SA, geradezu absurd.

Rechtsstaatliche Probleme

Das Ganze ist rechtsstaatlich und verfassungsrechtlich höchst problematisch. Denn damit wird nicht nur der Bereich des Sagbaren immer weiter eingeschränkt – und keineswegs aufgrund einer Entscheidung des Gesetzgebers, sondern aufgrund von Einzelfallentscheidungen einzelner Gerichte und von denen allenfalls wenige Strafrechtsexperten Kenntnis haben, aber nicht die Allgemeinheit. Wenn aber schon eine – angebliche – Strafbarkeit einem unbekannt ist – und Björn Höcke erklärte, ihm sei das Urteil aus Hamm aus dem Jahr 2006 (natürlich) nicht bekannt gewesen –, dann kann auch keine Strafbarkeit bejaht werden. Das berührt den altrömischen Rechtsgrundsatz „nulla poena sine lege“ – keine Strafe ohne (vorangegangenes) Gesetz –, ja es dürfte ihn sogar verletzen.

Und hier geht es um das Fundament unserer freiheitlichen Rechtsordnung: Der Bürger muss sich darauf einstellen können, was der Staat unter Strafe stellt und was nicht – sonst drohen Willkür und Einschüchterung.  

Der eine oder andere mag sich bei dem Übereifer mancher öffentlicher Forderungen nach einer Verurteilung von Herrn Höcke an die Pervertierung dieses altrömischen Grundsatzes durch die Nationalsozialisten erinnert fühlen, die da forderten: „Kein Verbrechen ohne Strafe“ – womit die Nationalsozialisten fundamental den freiheitlichen Rechtsstaat außer Kraft setzten. Das sollte uns allen eine Mahnung sein – im Zweifel ist für den Angeklagten („in dubio pro reo“) zu entscheiden – ob einem die Äußerung eines politisch Andersdenkenden gefällt oder nicht.

Wenn das Strafgericht sein Amt rechtmäßig ausübt und der alte römische Rechtssatz „in dubio pro reo“ nicht urplötzlich außer Geltung getreten ist, dann kann es gar nicht anders, als Björn Höcke freizusprechen von dem absurden Vorwurf einer – angeblichen – „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“.


*Quelle: Rainald Becker und Christof Botzenhart – Die Bayerischen Ministerpräsidenten: 1918-2018. Darin zitiert: Wilhelm Hoegner – Der schwierige Außenseiter. Erinnerungen eines Abgeordneten, Emigranten und Ministerpräsidenten.


Zur Person:

Dr. Alexander Wolf, Jahrgang 1967, studierte Jura, Philosophie, Geschichte und Politik in München, Speyer und Oxford. Er promovierte über ein verfassungsrechtliches Thema. Nach langjähriger Tätigkeit als Rechtsanwalt in einer internationalen Großkanzlei gründete er 2007 seine eigene Kanzlei in Hamburg. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft und stellvertretender Landesvorsitzender der AfD Hamburg.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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