Benedikt Kaiser: „Das A und O ist immer die kommunale Verankerung“

Wer wissen will, wie die aktuelle politische und gesellschaftliche Lage bewertet werden kann, wie eine Positionierung des konservativen Mosaiks aus Partei und Vorfeld in Deutschland zukünftig aussehen könnte, wie der liberale gesellschaftliche Konsens durchbrochen werden kann, kommt an Benedikt Kaiser nicht vorbei. FREILICH hat mit ihm gesprochen.

Interview von
23.6.2023
/
5 Minuten Lesezeit
Benedikt Kaiser: „Das A und O ist immer die kommunale Verankerung“

Benedikt Kaiser auf dem Jungeuropa Verlagstreffen 2023

© Jungeuropa

Kaisers neuestes Werk „Die Konvergenz der Krisen“ beinhaltet die wichtigsten Aufsätze der letzten Jahre. Kaiser wiederholt seine prägnantesten Thesen zu Theorie und Praxis und liefert vor allem jüngeren Lesern rechter Lektüre einen kompakten Einstieg für die kommende Zeit.

FREILICH: Deutschland steht vor einer Zeit des Umbruchs, die gesellschaftlichen Gräben scheinen mehr denn je vertieft, die AfD fährt Rekordwerte in den Umfragen ein. Inwiefern hilft Ihr neuestes Buch dabei, diesen Krisentaumel zu verstehen? An wen richtet sich der Band?

Benedikt Kaiser: Die Texte des Bandes richten sich – erstens – an alle Leser, denen das „Dagegen-Sein“ nicht ausreicht, sondern die positive Begriffe, positive Strategien und positive Ziele einfordern. Zweitens an Leser, die wissen wollen, warum die Lage ist, wie sie ist, die also über eine reduktionistische Symptombeschreibung hinaus davon ausgehen, dass die Missstände tiefer liegen. Und drittens an Leser, die gleichermaßen keine Lust auf Elfenbeinturm-Romantik oder aber Flucht in den reinen Aktivismus um des Aktivismus willen haben; Leser letztlich, bei denen Theorie und Praxis keine Gegensätze sind, sondern die bereits ahnen, dass es komplizierter wird, es sich aber für den täglichen politischen Kampf lohnt, sich mit Theorie-Praxis-Widersprüchen fundiert auseinanderzusetzen.

Das Buch teilt sich in einen Theorie- sowie Praxisteil. Welchen Aufsatz würden Sie jungen Politikern, Studenten, Aktivisten usw. aus dem jeweiligen Teilbereich konkret empfehlen?

Empfehlungen sollen im besten Fall andere geben, das ist schwierig als Autor selbst. Wenn Sie aber darauf bestehen, würde ich mich besonders freuen, wenn der Eröffnungsaufsatz des Bandes – „Theorie und Praxis in Bewegung“ –, der exklusiv für diese Anthologie verfasst wurde, gelesen und diskutiert wird. Dort steckt die Quintessenz des gesamten Buchprojekts drin, das ist für mich der wichtigste Beitrag neben dem titelgebenden Essay „Die Konvergenz der Krisen“ selbst, der reichlich gekürzt bereits in der Sezession erschien.

Was können junge Politiker oder Aktivisten, die sich vor Ort im kommunalpolitischen oder kulturellen Umfeld bewegen, aus dem Buch lernen? Wie stark hängen Parteipolitik und kreative Arbeitsebene zusammen? Muss der Kommunalpolitiker das Vorfeld mitdenken und umgekehrt?

Nachhaltiges Wachstum einer politischen Alternative zum falschen Ganzen wächst immer von unten. Das Wagenknecht-Projekt zum Beispiel hat ja den Geburtsfehler, dass es ein verkopftes „Von Oben“-Projekt ist. An solchen Ansätzen ist etwas dran, aber nicht viel. Man kann Erfolge feiern, aber nicht dauerhafte. Das A und O ist immer die kommunale Verankerung. Und das zählt für die Partei, die eine flächendeckende Verankerung bis in die kleinste Gemeinde hinein benötigt, ebenso, wie für das Vorfeld, das etwa durch Heimatvereine, lokale Aktivistengruppen oder auch kulturelle Initiativen Präsenz zeigen sollte. Denn Metapolitik heißt nicht (nur) Bücherlesen und Theoriearbeit, Metapolitik heißt immer auch Graswurzelstrategie und lokale sowie regionale Verwurzelung.

Der Praxisteil ihres Buches befasst sich ausführlich mit der AfD und ihren Möglichkeiten in Ostdeutschland. Nächstes Jahr finden dort unter anderem mehrere Landtagswahlen statt und die Partei genießt immer höheren Zuspruch. Wie kann das dortige Potenzial hinsichtlich einer langfristigen Verankerung maximiert werden? Welchen Stellenwert besitzt dabei die Theoriebildung?

Nun, ich habe den durchaus ambitionierten Anspruch, Texte nicht fürs Archiv oder die Dokumentation, sondern als Ansporn und Aufgabe geschrieben zu haben. Was ich damit sagen will: Die richtungsgebende Theoriebildung, die Vermittlung von Positionen und Begriffe, das Schaffen eines politischen Bewusstseins, das diesen Namen verdient – der Stellenwert dieser Aufgaben, die natürlich als Publizist die unmittelbar meinen sind, kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Nur ein Beispiel: Fiktive Koalitionsverhandlungen 2024 oder 2029 in einem Bundesland.

CDU-Profis nehmen sich AfD-Politiker vor. Einzelne AfD-Politiker taumeln vor Freude, dass es soweit ist: Man kann regieren, man darf regieren, man wird regieren! Wer wird hier einen kühlen Kopf bewahren: Der organische Politiker der AfD, der aus einem bestimmten patriotischen Milieu stammt, weltanschauliches Profil besitzt und klare Halteseile sein Eigen nennen kann – oder der vermeintlich „ideologiefreie“ Pragmatiker, der „ergebnisoffen“ diskutieren möchte? Ich sage es ganz klar: Bei vielen AfD-Verantwortungsträgern würde die Union lachen; die wissen, wie und wo sie die AfDler anpacken müssten, um sie über den Tisch zu ziehen.

Ein fest im Leben, auch im geistig-politischen Leben stehender AfD-Mandatsträger jedoch, der ideenverbundene Politik betreibt und weiß, wo Kompromisse legitim und wo unstatthaft wären, geht ganz anders, viel souveräner und gelassener also, in so eine Verhandlung. Jemand, der einfach nur den Posten will und gar nicht weltanschaulich weiß, um was es hier wirklich geht, würde durch die Schwarzen an die Wand gespielt. Das muss jedem bewusst sein.

Derzeit drehen sich die Repressionsmühlen gegenüber der AfD wieder besonders schnell und der Verfassungsschutzpräsident stufte sich per „freudschen Versprecher“ als gesicherten Wahlkämpfer ein. Was erwartet das rechte Mosaik aus Partei und Vorfeld angesichts der offen zur Schau gestellten Haltung seitens des systemischen Milieus und finden sich zum besseren Verständnis Ansätze in Ihrem Buch?

Diese Entwicklung war absehbar und genau deshalb skizziere ich das auch im vorliegenden Band oder 2022 auch im „kaplaken“ Die Partei und ihr Vorfeld. Verkürzt kann man es so sagen: Es wäre absurd, würde man annehmen, dass die herrschende Klasse, die seit Jahrzehnten durch List, Wohlstandsstreuung und „Reeducation“ ihre Hegemonie absichert, freiwillig abdankt. Je mehr Erfolge, auch und gerade sichtbare, AfD und „Neue Rechte“ gegen diese herrschende Klasse, den vielfältigen Block an der Macht, erzielen können, desto stärker wird folglich die Repressionsgefahr.

Kein Establishment dieser Welt schafft sich gerne selbst ab oder lässt es bereitwillig zu, den Zugang zur „Macht“ mit Ausgestoßenen des Mainstream-Diskurses zu teilen. Eins darf man zudem nie vergessen, und darauf gehe ich im neuen Buch explizit ein: Das Establishment wird immer versuchen, Spaltung hineinzutragen in das rechte Mosaik. Dass es so kommt, ist ein natürlicher Prozess. Wie man aber damit umgeht, ist die Gretchenfrage. Distanzierungen von benachbarten Projekten, um sich vermeintlich selbst zu retten? Solidarität, um soweit es geht geschlossen zu agieren? „Which way“, deutsche Rechte?

Auch hierfür bedarf es eines klaren weltanschaulichen Verstandes, stabiler politischer Kenntnisse und einer Abkehr von jedweder Naivität, wie sie so penetrant in Teilen des „Liberalkonservatismus“ kultiviert wird. Auch dies ist freilich ein wichtiges Thema meines neuen Buches.

Sie heben in dem Band die Notwendigkeit der Wiederholung als geistig-politische Festigungsübung hervor. Wird auf der Rechten allgemein zu wenig oder wird das „falsche“ gelesen?

Gramscis geistiger „Lehrer“ Antonio Labriola hat es mal so auf den Punkt gebracht: „Die Ideen fallen nicht vom Himmel; nichts fällt uns im Schlaf zu.“ Also: Ja, es wird zu wenig gelesen, und nochmal ja, es wird auch das Falsche gelesen. Ich übe in einem Aufsatz des Bandes beispielsweise explizit Kritik am Konsum sogenannter Selbstvermarkter in Zeitungen und Zeitschriften, Podcasts und YouTube-Formaten.

Sie doktern an Symptomen herum, verkürzen publikumswirksam, sammeln dann Spenden ein und führen ein bequemes Leben am Rande des Establishments, dem sie oft angehörten und wo sie einst wieder dazu gehören wollen. Opposition ist für sie nicht Herzensangelegenheit, nicht Dienst am und für das Volk, sondern eine lukrative Spielwiese. Dass auf derlei Leute hereingefallen wird, liegt auch daran, dass zunächst kein politisch-weltanschauliches Grundgerüst vorhanden ist und daraus dann eine theoretische Unfähigkeit entsteht, die Gründe für die Ungerechtigkeiten und Widersprüche unserer Gesellschaft zu begreifen.

So wird man dann anfällig für die Propaganda der Selbstvermarkter, die ihre symptomorientierte Spielwiese gefunden haben. Dagegen hilft die richtige Lektüre, viel Lektüre, konzentrierte Lektüre. In Büchern steckt Wissen: Dieses Wissen müssen wir uns selbst vermitteln und dann den potenziell Aufgeschlossenen. Nichts fällt uns im Schlaf zu heißt eben auch: Jeder muss an sich arbeiten, kontinuierlich. Lesen ist ein Baustein auf diesem Weg zum Erfolg; nicht der einzige, keineswegs, aber ein entscheidender.

➡️ Benedikt Kaiser: Die Konvergenz der Krisen: Theorie und Praxis in Bewegung 2017–2023*


 Zur Person:

Benedikt Kaiser, Jahrgang 1987, studierte in Chemnitz Politikwissenschaft mit europaspezifischer Ausrichtung (M.A.). Er arbeitet als Lektor und Publizist, wirkt als politischer Kommentator und Analyst. Regelmäßig schreibt Kaiser für Zeitschriften des In- und Auslands wie Die Kehre und Sezession, Kommentár (Ungarn), Tekos (Belgien) und Abendland/Neue Ordnung (Österreich). Für wichtige Magazine der Nouvelle Droite aus Frankreich – éléments und Nouvelle Ecole – gilt er als deutscher Ansprechpartner.


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